Essen. Über das Lehrerbewertungsportal Spickmich wird am Dienstag der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil gefällt. Im Interview erklärt Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, warum sich die Feedback-Kultur an deutschen Schulen ändern muss.
Herr Thöne, was halten Sie als Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft von dem Lehrerbewertungsportal Spickmich?
Ulrich Thöne: Ich halte das Portal für keine gute Einrichtung und für kein geeignetes Instrument, auf das Problem von den Schülern einzugehen, die auch mal sagen wollen: ‚Jetzt reicht’s aber. Ich werde dauernd bewertet, jetzt will ich auch mal.’
Wir müssen eher dazu kommen, diesem Wunsch im Alltag der Schulen zu entsprechen und das Portal so überflüssig zu machen. Dass die Schüler ins Gespräch kommen wollen, kann ich nur zu gut verstehen, aber wir müssen ein Gespräch eröffnen und keine Beschimpfung.
Durch Spickmich wird das nicht gerade begünstigt, sondern es treten eher andere Probleme auf. So etwa die Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Lehrerinnen und Lehrern. Das Unglückliche an diesem Portal ist, dass Dinge aus dem Zusammenhang gerissen werden, dass es keine Möglichkeit der Erklärung gibt.
Es kann kein Gespräch über eine konkrete Situation stattfinden, sondern es wird einfach ein Urteil wieder gegeben. Und das kann völlig falsch interpretiert werden. Die Überwindung liegt nicht darin, Spickmich besser zu machen, sondern zu mehr Austausch in der Schule zu kommen.
Missbrauch von Leistungstests
Was müsste sich konkret im Schulalltag Ihrer Meinung nach ändern?
Thöne: Man müsste den Schülern stärker die Möglichkeit geben, ihrem Ärger und ihrer Sprachlosigkeit auf anderem Wege als anonym im Internet Luft zu machen. Hinter dem Wunsch der Schüler, die Lehrer zu bewerten, steckt auch der Missbrauch von Leistungstest, Klausuren und Prüfungen.
Eigentlich sollten solche Tests dazu dienen, den Schülern zu zeigen, wo noch etwas falsch ist und wo man noch etwas besser machen kann. Die diagnostische Seite ist aus pädagogischer Sicht der oberste Gesichtspunkt. Leider sind die Lehrerinnen und Lehrer aber dazu verpflichtet, mit Benotungen der Schülerinnen und Schüler auch einer Auslese zu dienen.
Das kann nicht in unserem Interesse und nicht im Interesse des Systems sein. Das ist ein Punkt, den wir Lehrer gemeinsam mit den Schülern haben. Ein gemeinsames Auftreten wie jetzt zum Besipiel in Aktionen vom „Bildungsstreik“, könnten dann ein Anfang sein, die Sprachlosigkeit zwischen Lehrern und Schülern an dieser Stelle zu überwinden.
Mit Spickmich ist das Problem nicht gelöst. Ich kann zwar verstehen, dass es für Menschen, die nicht so recht in die Diskussion kommen, ein einfacher Weg ist, sich auszudrücken. Das Problem muss aber auf andere Weise überwunden werden.
Ist es nicht vielleicht auch für Lehrer ungewohnt, selbst kritisiert zu werden? Sie sind es ja immer, die Noten geben.
Thöne: Nein, die Frage ist nur, wie man mit der Kritik umgeht und wie man das erlernen soll. Und wenn man ständig in der Situation ist, zur Auslese führende Entscheidungen zu begründen, dann reagiert man nicht immer optimal auf die Kritik. Es gibt aber auch andere Lehrerinnen und Lehrer, die da anders mit umgehen.
Für eine Reihe meiner Kolleginnen und Kollegen war es zum Beispiel in der Beurfsschule, in der ich unterrichtet habe, gang und gäbe den Schülerinnen und Schülern mittels eines Fragebogens die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen und die Lehrerin oder den Lehrer zu beurteilen. Meine Schüler konnten so auch mir ein deutliches Zeichen geben, wo ich mich ändern muss.
Spickmich erschwert den Dialog
Macht das Portal dann nicht wenigstens auf einen Missstand aufmerksam?
Thöne: Leider ist das Gegenteil der Fall. Auf Spickmich wird auf gleicher Ebene, nämlich der der Zensuren, geantwortet. Hier werden Persönlichkeitsmerkmale anonym beurteilt. Das Portal geht nicht wirklich auf das Problem ein, dass eine Lehrerin oder Lehrer auch dazu da ist, eine Schülerin oder einen Schüler korrigieren zu müssen.
Nur von dieser Einsicht her, wird jemand lernen könne, korrigiert werden zu können und Kritik anzunehmen. Das Portal erfreut sich an der Auseinandersetzung und erschwert einen Dialog. Gerade deshalb rate ich zur Gelassenheit, denn Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler brauchen den Dialog. Die Suche danach ist eine Chance, aus der durch Spickmich scheinbar unlösbaren Situationen herauszufinden.