Essen. Der Machtkampf im Iran verschärft sich. Ein Militärschlag der Regierung "ist nicht auszuschließen", schätzt Islamwissenschaftler Mehdi H. im Gespräch mit DerWesten die Lage ein. Er ist eben aus Teheran zurückgekommen: Auch die Ahmadinedschad-Gegner seien motiviert, weiter zu protestieren.
"Es ist ein Chaos", sagt Mehdi H*. Seit Dienstag ist der Islamwissenschaftler zurück in Nordrhein-Westfalen. Eine Woche war er in Teheran und der iranischen Provinz unterwegs. "Die Regierung ist jetzt zum Äußersten bereit", ist seine Einschätzung der dortigen Lage: "Sie könnte zum großen Schlag ausholen. Einen Militärputsch der Revolutionsgardisten würde ich nicht ausschließen. Sie wollen alles tun, damit Ahmadinedschad an der Macht bleibt", sagt er.
"Das Bedürfnis nach Freiheit ist riesengroß"
Auf der anderen Seite stünde die hohe Motivation der Ahmadinedschad-Gegner: "Das Bedürfnis der Menschen nach Veränderung, nach einer offenen, liberalen Gesellschaft, nach rationaler Politk, nach Freiheit der Meinungsäußerung ist riesengroß. Mussawi ist eine Metapher dafür gewesen. Er hat diese Idee getragen. Jetzt sind die Forderungen nach Neuwahlen eine Metapher." Es sei "sehr klug, dass Mussawi weiterhin zu friedlichen Demonstrationen aufruft. Die Menschen müssen weiterhin stetig ihren Protest kundtun können. Mussawi wird nicht aufhören, sie darin weiter zu unterstützen."
Die Sicherheitskräfte der Regierung könnten überdies eine Kommunikation ins Ausland ebenso wenig vollständig verhindern wie eine Organisation der Oppositionellen im Inneren: "Es gibt in Teheran immer noch Viertel, in denen Mobiltelefone noch funktionieren. Zwar wird versucht, die Internet-Verbindungen immer weiter zu verlangsamen, aber es ist immer noch möglich, über das Netz zu kommunizieren. Die komplette Blockade ist eine Illusion", meint Mehdi H.
Flugblätter mit Orts- und Zeitangaben
Überdies entwickelten Demonstranten "ganz primitive, aber sehr effektive Methoden", um den Widerstand zu organisieren: "Bei jeder Demonstration werden kleine Flugblätter verteilt, die auf die nächste mit Orts- und Zeitangabe hinweisen und die durch die Menge weitergereicht werden. Innerhalb von einer halben Stunde weiß jeder bescheid." Die Bereitschaft "für einen großen Wandel im Iran aufzustehen und zu kämpfen ist sehr präsent." Eine Revolution? "Ob es schon Revolution genannt werden kann, weiß ich nicht, aber ein großer Aufstand ist es allemal."
Eine wichtige Rolle spielten dabei die ausländischen Medien: "Es ist äußerst hilfreich, wenn im Ausland berichtet wird. Dadurch werden die Ahmadinedschad-Gegner bestärkt", sagt Mehdi H.: "Viele Menschen im Iran haben in den Wahlen ein Symbol gesehen, um zu Veränderungen zu gelangen." Jetzt seien die Demonstrationen und die Medienberichte Symbole.
*Name geändert
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