Teheran. Das Regime in Teheran hat einen der Intenet-Pioniere des Iran verhaften lassen: Ex-Vizepräsident Mohammed Ali Abtahi verbreitete Nachrichten im Netz und wurde den Machthabern gefährlich.
Die Polizisten kamen kurz vor Sonnenaufgang. Für das Regime gehört der Verhaftete zu „den wichtigsten Drahtziehern” der Teheraner Unruhen. Seine Fans verehren ihn als „bloggenden Mullah” – ein Geistlicher, der so gar nicht passt ins Klischee eines iranischen Klerikers.
Mohammed Ali Abtahi versteht sich als Bürgerrechtler, er lacht gerne, führt ein Institut für interreligiösen Dialog und kämpft mit wechselnden Diäten gegen sein Übergewicht. Seit gut fünf Jahren bestückt er täglich seinen Blog – mit Indiskretionen von Empfängen, Lebensberatung für junge Leute oder Insidergeschichten aus den Korridoren der Macht. Von 2001 bis 2004 war der 51-Jährige Vizepräsident unter dem populären Reformer Mohammed Chatami, dann wechselte er vom politischen ins virtuelle Fach. Seither schreibt er täglich auf webneveshteha.com – selbst Zeitungen drucken seine Texte gerne. Abtahi ist gut vernetzt. Der Mann mit dem schwarzen Turban gehört zu den Internetpionieren des Iran und ist eine der Leitfiguren der Szene.
Motto: Jeder Iraner ist ein Medium
Über 100 000 Blogs gibt es inzwischen in der Islamischen Republik – damit ist das Land unangefochtener Spitzenreiter in der muslimischen Welt. Jeder Iraner ist ein Medium – das war dann auch das neue Konzept der Wahlkampfmanager von Mir Hossein Mussawi. Mit SMS-Botschaften, über Internetplattformen wie Twitter, Facebook und Flickr vernetzten sie sich mit der Bevölkerung, um das Infomonopol des staatlichen Radios und Fernsehens zu unterlaufen.
Doch was sich seit dem Wahltag auf den Straßen abspielt, setzt sich auch im Cyberspace fort. Das Regime macht mobil, vor allem gegen das digitale Informationsnetz der Opposition. Das Versenden von SMS geht seit Tagen nicht mehr, viele Internetseiten sind blockiert. Täglich liefern sich staatliche Zensoren und die jungen computerfitten Iraner ein Katz-und-Maus-Spiel. Denn trotz aller Störmanöver, auf Facebook und Flickr sammeln sich Handyfilme und Fotos von Straßenschlachten, Knüppeleinsätzen, blutenden Demonstranten, aber auch mit hoffnungsvollen Gesichtern, die an eine Wende glauben.
Twitter mit seinen 140-Buchstaben-Nachrichten ist inzwischen zur Informationsbörse Nummer eins avanciert. Ursprünglich wollte die Mikroblogger-Plattform am Montag seine Server für 90 Minuten für ein Update herunterfahren, verschob dies jedoch „wegen der Rolle, die Twitter gegenwärtig als Informationsmittel im Iran spielt”, wie es auf der Website hieß. „Iranelection”, „Tehran” und „Mousavi” stehen ganz oben auf der Trendliste, die nach dem Schneeballprinzip funktioniert. So machte Montag Mussawis geplante Kundgebung auf dem Freiheitsplatz genauso millionenfach die Runde, wie Dienstag die Botschaft des Reformkandidaten, alle sollten zu Hause bleiben „um nicht in die Falle organisierter Krawalle zu tappen”.
Sabotage der Freiheit
„Es war ein großer Schwindel” steht über Mohammed Ali Abtahis letztem Eintrag, den der bloggende Geistliche in der Nacht nach dem Wahltag verfasste. „Jetzt werden die jungen Leute wieder über Auswanderung nachdenken und tausend andere Dinge. Wir müssen versuchen, auf den Füßen zu bleiben.” Seither ist sein Blog vom staatlichen Internetprovider gesperrt. Normalerweise hat er pro Tag 30 000 Klicks und mehr als 100 Kommentare. In den letzten Monaten hatte Abtahi besonders die islamische Sittenpolizei aufs Korn genommen, die jungen Leuten das Leben zur Hölle macht. „Wer erzwingen will, dass alle religiös werden, erzeugt Hass”, sagte er vor einigen Wochen in seinem Büro. „Und wer die Freiheit sabotiert, macht die Religion kaputt – vielleicht der wichtigste Streitpunkt zwischen uns und Ahmadinedschad.”