Kairo/Teheran. Der Protest im Iran ist auch Frauensache. Die Gattin des Reformkandidaten wettert gegen das Regime.
Die Bilder gingen um die Welt: Mir Hossein Mussawi inmitten der unübersehbaren Menschenmenge auf einem Autodach – winkend und mit einem Mikrofon in der Hand. Und neben ihm eine Frau in schwarzem Schador und Blumen besticktemKopftuch, die aufmerksam die Menschen musterte und sich eine rote Rose vor die Lippen hielt. Wie immer in den letzten Wochen, auch bei dem Millionenmarsch am letzten Montag auf dem Platz der Freiheit in Teheran,war sie an seiner Seite. Zahra Rahnavard, die Frau des Reformkandidaten, bekannte Malerin und Bildhauerin, promovierte Politologin und für viele iranische Wählerinnen der eigentliche Star der „grünen Bewegung“.
"Miese, dreckige Bevormundung"
So wie sie auf den Wahlveranstaltungen redete, ihr Mann traute sich das nicht. „Das ist die mieseste und dreckigste männliche Bevormundung von Frauen“, geißelte sie das rabiate Vorgehen der Sittenpolizei gegen so genannte unislamische Kleidung. Frauen würden im Iran systematisch erniedrigt und behandelt wie Bürger zweiter Klasse, setzte sie in den jubelnden Beifall hinzu. „Ihr seid hier, weil ihr die Nase voll habt von der Diktatur. Ihr seid hier, weil ihr Fanatismus hasst. Ihr seid hier, weil ihr von einem freien Iran und friedlichen Beziehungen mit dem Rest der Welt träumt“, rief sie aus. Auch frage sie sich, warum der Wächterrat noch nie einer Frau die Kandidatur für das Präsidentenamt erlaubt habe. Die Menschen antworteten mit stehenden Ovationen und skandierten in Sprechchören „Wir lieben dich, Rahnavard!“
Wortgewaltige First Lady
Wie schon in den aufgewühlten Mussawi-Versammlungen während des Wahlkampfs, so auch bei den grünen Großdemonstrationen in dieser Woche: Ob jung oder alt, ob mit traditionellemSchador oder modischemKopftuch plus Chanel-Sonnenbrille – vor allem Frauen setzen ihre Hoffnungen auf den Reformkandidaten Mussawi und seine wortgewaltige „First Lady“.
Denn der Frust ist enorm, zehntausende junger Leute haben das in den letzten vier Jahren am eigenen Leibe erfahren. Wer als unverheiratetes Paar Hand-in-Hand spazierengeht, wer mit seinem Freund auf dem Moped fährt, wer auf einer Party beim gemeinsamen Tanzen erwischt wird oder in einem Keller Rockmusik macht, wer sein Kopftuch zu locker trägt oder etwas Dekolletee zeigt, der landete schnell in den Verhörzimmern von Basij-Milizen oder Revolutionären Garden. 24 Stunden in Gewahrsam der Moralpolizei von Religionsführer Ali Chamenei und seinem Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, darunter ging es selten ab. Oft wurden auch noch die verängstigten und geschockten Eltern einbestellt, mussten eine Strafe zahlen und ein vorgedrucktes Formular unterschreiben, dass sie sich im Namen ihrer Kinder verpflichten, das so etwas nie wieder vorkommt.
Hoch qualifiziert und chancenlos
Iranische Frauen haben zwar bei dem Sturz des Schahs 1979 eine zentrale Rolle gespielt, eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft sowie eine echte Beteiligung an der Macht jedoch haben sie nie bekommen. Eine Handvoll Abgeordnetensitze und zwei Kabinettsposten – mehr sind in den dreißig Jahren Islamischer Republik nicht herausgesprungen. Dabei ist der Iran im ganzen Mittleren Osten die Nation mit der höchsten Frauenbildung. 60 Prozent aller Studenten sind weiblich, hochbegabt, bestens qualifiziert und doch ohne Chancen auf einen Aufstieg in Spitzenpositionen. So haben die meisten Iraner auch keine Ahnung, wie die Frauen ihrer Spitzenpolitiker überhaupt aussehen, geschweige denn wie sie heißen. Das gilt für die Frau von Hardliner Mahmud Ahmadinedschad ebenso wie für die Frau des populären Reformpräsidenten Mohammed Chatami. Im Westen ist ein gemeinsam auftretendes Politikerpaar in Wahlkämpfen ein vertrauter Anblick. Im traditionellen Iran jedoch betrat Zahra Rahnavard damit Neuland. „Mussawi ist gut zu seiner Frau,und das ist mir wichtig“, sagt Mariam Fathali, die von einer Karriere im Judo träumt. Wie die 22-Jährige hüten viele junge Leute das eine Wahlplakat, was Rahnavard Hand-in-Hand mit ihrem Mann zeigt, wie einen kostbaren Schatz. „Das habe ich noch nie bei einem Politiker gesehen“, sagt sie. „Und er hält ihre Hand mit Liebe und Respekt und nicht, als sei sie sein Besitz“.
Das Paar lernte sich 1969 auf einer Kunstausstellung kennen. Als der Druck des Schahs auf die Regimegegner immer brutaler wurde, floh Rahnavard 1976 mit zwei Töchtern in die Vereinigten Staaten. Dort lebte sie drei Jahre und kehrte 1979 kurz vor der Revolution in ihre Heimat zurück. Wie viele andere Anhänger Chomeinis, war sie in junge Jahren geprägt von dem Denker Ali Schariati, einem in Paris ausgebildeten iranischen Philosophen, der marxistische Ideen und anti-koloniale Rhetorik zu einer Art islamischer Befreiungstheologie verschmolz. Von 1997 bis 2005 war die Autorin von 15 Büchern Beraterin von Reformpräsident Chatami, gleichzeitig Dekanin an der Al-Zahra Frauenuniversität in Teheran. Ein Jahr nach der Machtübernahme von Achmadinedschad wurde sie von den Hardlinern aus dem Amt gedrängt und widmete sich wieder ganz ihrer Kunst. Der vorgeschobene Grund: Sie hatte Shirin Ebadi, die iranische Friedensnobelpreisträgerin, zu einem Vortrag auf den Campus eingeladen.
Frauen sollen über das Kopftuch entscheiden
Im Wahlkampf ihres Mannes war es dann die 64-jährige Akademikerin, die die frauenpolitischen Akzente setzte. Jede Frau solle selbst entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen wolle oder nicht. Ihr Mann werde, falls gewählt, Frauen zu Ministerinnen und zu Botschafterinnen ernennen, versprach sie. Und er werde alle Frauenrechtlerinnen sofort aus dem Gefängnis entlassen. Allein in den letzten beiden Jahren waren über fünfzig weibliche Aktivistinnen festgenommen, verhört und zu Haftstrafen verurteilt worden, nur weil sie auf den Straßen, in der Metro, in Bussen oder in Stadtparks für die Kampagne „Eine-Million-Unterschriften“ geworben haben. Die 2006 gegründete Bewegung kämpft für ein Ende der rechtlichen Diskriminierung von iranischen Frauen - im Ehe- und Scheidungsrecht, beim Sorgerecht für Kinder sowie beim Erbrecht.
Weitermachen bis zum Ende
„Rahnavard ist unsere Hoffnung“, sagt die 19-jährige Sima Honarwar, bevor sie am Montag zusammen mit einer Million Mussawi-Wählern wieder auf die Straße ging. Ihr Idol Zahra Rahnavard jedenfalls lässt keinen Zweifel aufkommen: „Wir werden nicht aufgeben. Wir machen weiter mit den Protesten - bis zum Ende.“