Berlin. .
Mit einem Spagat hat die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende versucht, den Unions-internen Streit um die Zuwanderung nicht weiter eskalieren zu lassen.
Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Potsdam stellte Angela Merkel sich zunächst demonstrativ hinter die scharfe Kritik von Horst Seehofer an der multikulturellen Gesellschaft: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert“, rief Merkel. Der CSU-Chef hatte am Abend zuvor gesagt: „Multikulti ist tot.“
Was beide genau damit meinen und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen wären, blieb unklar. Zugleich stellte sich Merkel aber auch an die Seite des wegen seiner Islam-Äußerung heftig kritisierten Bundespräsidenten Christian Wulff: „Er hat gesagt, der Islam ist auch Teil Deutschlands. Und er ist Teil Deutschlands!“ Beim Knackpunkt Zuzug von Fachkräften ließ Merkel im Detail offen, ob sie die restriktive Linie Seehofers komplett mittragen will.
Seehofers Sieben-Punkte-Papier
In einem Sieben-Punkte- Papier beharrt Seehofer darauf, dass „Deutschland kein Zuwanderungsland“ sei. Auch könne „ein prognostizierter Fachkräftemangel kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein“. Den Zuzug topqualifizierter Arbeitnehmer hält er für „ausreichend geregelt“ und warnt vor einer „Aufweichung“ bestehender Gesetze. Eine Zuwanderung nach Kontingenten oder Punktesystemen dürfe es nicht geben.
Aus Merkels Sicht muss die nachträgliche Qualifizierung von in Deutschland lebenden Arbeitslosen Vorrang haben vor der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Unter den 2,2 Millionen Langzeitarbeitslosen, für die Bund und Kommunen im Jahr 50 Milliarden Euro bezahlten, seien viele, die man wieder in Arbeit bringen könne, sagte die Kanzlerin. Ein kategorisches Nein zu mehr Zuwanderung war Merkel aber nicht zu entnehmen.
Bei einer CDU-Veranstaltung am Freitag hatte Merkel gesagt: „Wir haben kein Problem mit zu viel Zuwanderung.“ Als Beispiel nannte sie, dass 2009 „nur 2700“ ausländische Ingenieure aus Berufen der Informationstechnologie nach Deutschland gekommen seien. Zu wenig, befindet Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. „Wir wollen Einwanderung aktiv in dieses Land“, erklärte die CDU-Politikerin auf dem JU-Konvent. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kündigte sie an, die Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit unter die Lupe zu nehmen. Dort ist festgelegt, dass Deutsche oder EU-Bürger bevorzugt eingestellt werden müssen, wenn eine freie Stelle angeboten wird. Von der Leyen wirbt dagegen zusätzlich für Abkommen mit Drittstaaten, um gezielt qualifizierte Zuwanderer zu rekrutieren.
Ruf nach Punktesystem
Flankiert wird diese komplett gegen Seehofer gerichtete Linie von Bildungsministerin Annette Schavan. Sie hat einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, der allen Ausländern in Deutschland ein transparentes Verfahren zur Anerkennung ihrer in anderen Ländern erworbenen Bildungsabschlüsse garantieren soll. Nach Erkenntnissen Schavans sind 300 000 Migranten in Deutschland gehandicapt und können nicht adäquat in ihren Berufen auf dem Arbeitsmarkt agieren, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden.
Auftrieb erhält der Ruf nach einem moderneren Zuwanderungsrecht auch durch die Junge Union selbst. JU-Chef Philipp Mißfelder machte sich für ein Punktesystem nach dem kanadischen oder australischen Vorbild stark. Er stellt sich gegen Seehofer, der jeder Erleichterung für Zuwanderer eine Absage erteilt.
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hat seine Landsleute in Deutschland in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aufgerufen, Deutsch zu lernen, „und zwar fließend und ohne Akzent“. In diesem Zusammenhang will Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) von den Bundesländern wissen, in welchem Maße sie von Sanktionen gegen Migranten Gebrauch machen, die verpflichtenden Integrations- und Deutschkursen unentschuldigt fernbleiben. Das Gesetz ermöglicht es, in solchen Fällen die Sozialleistungen zu kürzen oder den diesen Personen das Aufenthaltsrecht zu entziehen.