Berlin. .
Für seinen Wahlkampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wurde er selbst als geistiger Brandstifter gegeißelt. Doch für Thilo Sarrazin hat auch Hessens Ministerpräsident Koch kein Verständnis. Seine Thesen seien „unerträglich“. Er stelle sich damit ins Abseits.
Der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch hat Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin wegen dessen jüngster Äußerungen über muslimische Einwanderer angegriffen. „Die Äußerungen Sarrazins sind unerträglich. Damit stellt er sich völlig ins Abseits“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“ laut Vorabmeldung. Zwar spreche Sarrazin Probleme an, denen die Gesellschaft nicht ausweichen dürfe. „Ihm selbst geht es aber offenbar nur noch um Verbalradikalismus und Tabubrüche.“
Kochs CDU startete im hessischen Wahlkampf 1999 eine Initiative gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gewann damit gegen die SPD. Die Grünen warfen ihm damals geistige Brandstiftung vor.
Sarrazin: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen“
Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin hat indes am Samstag nachgelegt. Der „Welt am Sonntag“ sagte er, muslimische Migranten integrierten sich überall in Europa schlechter als andere Einwanderergruppen. An anderer Stelle des Interviews sagte Sarrazin: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen.“ Zugleich lehnte der ehemalige Berliner Finanzsenator einen Austritt aus der SPD ab.
Auf die Frage, warum er in der Partei bleiben werde, antwortete Sarrazin in der „Welt am Sonntag“, seine Vorschläge seien sozialdemokratisch. Bei der Armutsbekämpfung entwerfe er ein Szenario, das den Arbeitslosen den Einstieg in die Arbeitswelt und sozialen Aufstieg ermöglichen solle. „Das ist sehr sozialdemokratisch“, sagte Sarrazin. Zudem wolle er alle fördern, und im Bildungsteil seines neuen Buches „Deutschland schafft sich ab“ vertrete er ein rigides Programm, von dem niemand sagen könne, dass dies nicht sozialdemokratisch wäre, sagte er laut Vorabbericht.
Noch vor Bekanntwerden seiner jüngsten Äußerungen hatte es am Samstag weitere Kritik und Rücktrittsforderungen gegen Sarrazin von vielen Seiten gegeben. Die türkische Gemeinde in Deutschland erwartet von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entschiedene Schritte gegen Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin, der mit seinen Äußerungen zu Ausländern für Empörung gesorgt hat. „Ich fordere die Bundesregierung auf, ein Verfahren zur Absetzung von Thilo Sarrazin als Bundesbank-Vorstand einzuleiten“, sagte Kenan Kolat, Chef der türkischen Gemeinde in Deutschland. Mit der Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ habe Sarrazin alle Grenzen überschritten. „Das ist die Krönung eines neuen intellektuellen Rassismus und es schadet Deutschlands Ansehen im Ausland.“
Rauswurf aus der SPD gefordert
Insgesamt zeigte er sich allerdings zufrieden mit der Reaktion der deutschen Politik und Gesellschaft. „Ich bin sehr froh, dass die Bundeskanzlerin so klar von Diffamierung gesprochen hat“ sagt er und lobte auch die Reaktionen der SPD-Parteispitze, der Grünen, der Linkspartei und der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer. Dank zollte Kolat auch dem Zentralrat der Juden für dessen klare Verurteilung von Sarrazins Äußerungen.
Als SPD-Mitglied sei Kolat zuversichtlich, dass seine Partei ein weiteres Ausschlussverfahren gegen Sarrazin anstrengen wird. „Er wird selbst gehen oder er wird gegangen werden“, ist sich Kolat sicher. Ansonsten werde die SPD Migranten verprellen und viele Wähler verlieren. Die Bundespressekonferenz rief er dazu auf, die Veranstaltung abzusagen, bei der Sarrazin am Montag sein Buch offiziell vorstellen will.
Die erste türkischstämmige und muslimische Ministerin in Deutschland, Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU), warf Sarrazin vor, Migranten mit seinen umstrittenen Thesen zu verletzen und pauschal zu diskreditieren. „Es gibt unendlich viele fleißige Zuwanderer - diese verdienen Respekt, nicht Häme“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. „Alle jene, die sich einbringen, die ihre Kinder motivieren, die Deutsch lernen, die als Arbeitnehmer Steuern zahlen, die als Unternehmer Arbeitsplätze schaffen - sie alle verdienen Respekt.“ Sarrazin aber verletze diese aufrichtigen Menschen mit seinen Pauschalurteilen, sagte die Ministerin, deren Eltern 1963 aus der Türkei nach Deutschland kamen.
Schwere Vorwürfe von der Integrationsbeauftragten
Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), erhob schwere Vorwürfe gegen Sarrazin. Sarrazin zeichne ein Zerrbild der Integration in Deutschland, das jeder ernstzunehmenden wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhalte, sagte sie. „In seinen Ausführungen nennt er stets nur die halbe Wahrheit: Es ist unbestritten, dass es gerade bei der Bildung vieler Migranten großen Nachholbedarf gibt! Um dies festzustellen, bedarf es nicht der Aussagen Sarrazins.“
Unterstützung erhielt Sarrazin dagegen von einem Wirtschaftsexperten: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, sagte: „Die Äußerungen von Herrn Sarrazin haben einen berechtigten Kern, wo sie auf unsere Fehler bei der Selektion und der Integration hinweisen“. Auch könne man eigene Integrationsanstrengungen von Zuwanderern einfordern. „Wir brauchen aber dringend qualifizierte Einwanderer auch aus anderen Kulturen. Das muss die Debatte klar erbringen“. Zimmermann argumentiert dabei ökonomisch: „Ohne Zuwanderung könnte der Wirtschaftsaufschwung schon bald wieder vorbei sein und sind unsere langfristigen Aussichten auf Wachstum und Wohlstand trübe.“ (apn/ddp)