Berlin.
Mit der Vereidigung der ersten muslimischen Ministerin Aygül Özkan wollte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) einen Coup landen. Doch daraus wurde nichts. Noch bevor Özkan im Amt war, provozierte Wulffs Vorzeige-Migrantin die Partei. Wulff blieb nur die Rolle des Feuerlöschers.
Um die Güteklasse des Coups zu ermessen, den Christian Wulff am Dienstag landen wollte, muss man nur im Sozialministerium von Hannover anrufen. „50 bis 60 Interview-Anfragen“ trudeln dort täglich ein, manche aus Amerika und dem arabischen Raum, seit Niedersachsens CDU-Ministerpräsident vor einer Woche eine bundesdeutsche Premiere verkündet hat. Mit der 38-jährigen Aygül Özkan wird am Dienstagmittag zum ersten Mal in Deutschland eine türkischstämmige Muslimin - und Christdemokratin - als Ministerin vereidigt. Aygül heißt übersetzt „Mondrose“. Und der CDU blüht was.
Die Personalie, mit der Wulff seinem als Hardliner bekannten Innenminister Uwe Schünemann die Zuständigkeit für Soziales und Integration entzieht und die CDU als Motor für eine moderne Integrationspolitik positionieren will, gilt innerhalb der Union als Quantensprung, „den nicht jeder auf Anhieb schafft“.
Heftige Reaktionen bis in die Parteispitze
Umso heftiger fielen die Reaktionen aus, als die Juristin aus Hamburg sich noch vor Amtsantritt zum Reiz-Thema religiöse Symbole äußerte. Ihre Auffassung, Kruzifixe und Kopftücher hätten aus Gründen der Neutralität in Klassenzimmern öffentlicher Schulen nichts zu suchen, hat der Managerin eines Paketdienstes nicht nur Kritik bis hinauf zur Parteivorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel eingetragen, sondern vereinzelt auch die Aufforderung zum Amtsverzicht.
„Mit solchen abstrusen Ideen wird man jedenfalls in Bayern nicht Ministerin“, ätzte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und trat Ministerpräsident Wulff rhetorisch vors Schienbein: Vor der Berufung von Frau Özkan wäre ein Gespräch über christdemokratische Politik hilfreich gewesen. Tiefe Verunsicherungen in der konservativen Stammwählerklientel, wie sie auch der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach im WAZ-Gespräch ausgerechnet wenige Tage vor der NRW-Wahl befürchtet, hätten dann vermieden werden können. Für weite Teile der Union, sagte Generalsekretär Hermann Gröhe gestern, sei „das Kreuz das Symbol der kulturellen Prägung des Christentums im Gemeinwesen“.
Wulff sichtlich genervt
Wulff, der die Wortmeldung seiner künftigen Kabinettskollegin umgehend als persönliche Meinungsäußerung qualifizierte, hatte am Montag alle Hände voll damit zu tun, die Zündschnur auszutreten, bevor die Bombe hochgeht. „Frau Özkan akzeptiert, dass in Niedersachsen in den Schulen Kreuze willkommen und gewünscht sind“, ließ sich Wulff sichtlich genervt vernehmen, „sie trägt diese Linie mit, damit ist das Thema erledigt.“ Wohl kaum.
SPD und Grüne versuchen seit dem Wochenende Honig aus dem Fall zu saugen - und die Union als immer noch in alten Denkmustern gefangen darzustellen. Hintergrund: Özkan, die sich selbst als nicht strenggläubig bezeichnet, bewegt sich mit ihrer Haltung zu den Schul-Kruzifixen exakt auf dem Boden eines entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts.
Um das konservativ-liberale Wählerklientel in der türkischen Gemeinde Deutschlands für die Union besser zu erschließen, hatte Ministerpräsident Wulff über Wochen nach einer Vorzeige-Migrantin für sein Kabinett suchen lassen. Im besten Falle würde Niedersachsen damit, so ein Parteivorständler, „NRW den Rang ablaufen, wo unter CDU-Gesichtspunkten Minister Laschet die fortschrittlichste Ausländerpolitik macht“. Daraus wird nun erst einmal nichts, mag auch Maria Böhmer, Merkels Kanzleramtsministerin für Integrationsfragen, die Berufung trotz allem als „richtungsweisend“ bezeichnen und die CDU-Spitze Özkan zähneknirschend die Stange halten.
Erinnerungen an Emine Demirbüken
In der Union erinnert der Fall Özkan viele an den Umgang mit der in der Türkei geborenen Sozialarbeiterin Emine Demirbüken. Sie war die erste Migrantin, die in den CDU-Bundesvorstand gewählt wurde. Auch sie eckte, etwa in der Debatte über den EU-Beitritt der Türkei an und wandte sich gegen die einst von der Hessen-CDU propagierte Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Das war 2004. Das Jahr, in dem Aygül Özkan in die CDU eintrat.