Aygül Özkan, die künftige Sozialministerin Niedersachsens sorgte schon vor ihrer Vereidigung für Schlagzeilen: Ihre Forderung, Kreuze aus Schulen zu entfernen, provozierte heftige Reaktionen. Nun musste sie zurückrudern. Die Richtung aber, für die die erste türkisch-stämmige Ministerin Deutschlands grundsätzlich steht, dürfte die Debatte um einen europäischen Islam befördern.
Der erste Versuch mit einer muslimischen Ministerin in Deutschland beginnt mit einem Rückschlag. Es war gedacht als Signal von Toleranz und Weltoffenheit. Doch dann stellt die Berufene eben jene Werte auf die Probe. Aygül Özkan sagt, was sie denkt über Kopftuch und Kruzifix. Ein Sturm bricht los, der Regierungschef Wulff, verantwortlich für die Minister-Personalie, geht auf Distanz. Das war dann augenscheinlich doch zu viel Toleranz für die traditionell konservative niedersächsische CDU. Am Ende muss sich die kommende Ministerin entschuldigen, damit sie überhaupt in ihr Amt darf. Ein liberaler Aufbruch sieht anders aus.
Wer eine Muslima zur Ministerin macht, darf sich eigentlich nicht wundern, wenn diese Frau nun nicht sofort damit anfängt, Kreuze in Klassenzimmern zu verteidigen. Zumal Özkans Position vom Bundesverfassungsgericht in seinem Kruzifix-Urteil und auch vom Europäischen Gerichtshof unter Hinweis auf die weltanschauliche Neutralität des Staates abgedeckt ist.
Gleichwohl ist Özkans Position angreifbar. Es gibt gravierende Unterschiede zwischen dem christlichen Kreuz-Symbol und dem islamischen Kopftuch. Kopftücher stehen nicht nur, aber auch, für einen Islam, von dem gerade Özkan wenig wissen will, die von ihren Eltern nie gezwungen wurde, es zu tragen. Das christliche Kreuz steht nicht für ein fundamentales Verständnis, das etwa die zehn Gebote über das Bürgerliche Gesetzbuch stellen will, wie es konservativen Moslems mit der Scharia vorschwebt. Im Gegenteil. Das Kruzifix steht heute für ein tolerantes, den christlichen Werten verpflichtetes Menschenbild. Die demgemäße Staatsform ist die Demokratie.
Özkan wird sich nach dieser schmerzlichen Erfahrung wohl klüger äußern. Fast schon vergessen, was sie auch noch sagte: dass Muslime selbst mehr tun müssten für ihre Integration. Eine durchaus unbequeme Botschaft vor allem Richtung islamischer Verbände. Die CDU wiederum, die doch so tolerant sein wollte, hat sich mit ihrer harschen Reaktion kaum einen Gefallen getan.
Özkan steht für eine bestimmte Richtung im Islam, einen aufgeklärten, laizistischen, der in Europa und in der Demokratie angekommen ist. Der nicht den Glauben absolut setzt oder ihn gar als politische Angelegenheit, als Ausgangspunkt für einen Systemkonflikt versteht, sondern als Privatsache. Sie dürfte die Debatte um einen europäischen Islam befördern. Darin liegt der eigentliche gesellschaftliche Fortschritt in dieser Personalie.