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Es war ein blutiges Osterfest für die Bundeswehr in Afghanistan. Drei deutsche Soldaten wurden „regelrecht abgeknallt“, so ein Offizier. Verteidigungsminister Guttenberg spricht nach dem tödlichen Gefecht von „Krieg“. Die Ereignisse werden die Abzugs-Debatte erneut anheizen.
Seit bald acht Jahren läuft der gefährlichste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Während sich die Soldaten in Afghanistan der Gefahren für Leib und Leben mit jedem Tag mehr nur allzu bewusst sind, tut man sich in der Heimat immer schwerer, mit der Mission und ihren Konsequenzen umzugehen. Vor allem dann, wenn es zum Schlimmsten kommt. Wenn, wie am Karfreitag geschehen, wieder deutsche Soldaten sterben. 39 sind es nun schon seit Beginn des Einsatzes Anfang 2002. Dutzende mehr wurden zum Teil sehr schwer verletzt. Hunderte kämpfen noch auf Jahre mit traumatischen Spätfolgen. Und jetzt das!
„Improvisierte Sprengfallen“
Die Ereignisse, in die die Bundeswehr über Ostern verstrickt wurde und die noch längst nicht im Detail analysiert sind, werden hierzulande die Debatte über einen frühzeitige(re)n Abzug der zurzeit 4500 dort stationierten Soldaten erneut anheizen. Und das mit Recht. Dabei spielen zwei Aspekte eine besondere Rolle.
Noch nie starben so viele deutsche Soldaten an einem Tag und unter solchen Umständen: Als die Minenräumer vom Fallschirmjäger-Bataillon 373 in Seedorf bei Bremen gegen 13 Uhr die Straßen im einschlägig bekannten Unruhedistrikt Char Dara nahe des Kundus-Flusses routinemäßig nach „improvisierten Sprengfallen“ (IED’s) absuchten, wurden sie „regelrecht abgeknallt“, wie ein hoher Offizier des Einsatzführungskommandos in Potsdam es ausdrückt.
Keine zivilen Opfer riskieren
Geheimdienstkreise wollen sogar wissen, dass die zunächst rund 40-köpfige Taliban-Gruppe, die die deutsche Patrouille in den Hinterhalt gelockt hatte, tschetschenische Scharfschützen mit El Kaida-Hintergrund in ihren Reihen hatte. Dass die Angreifer zum Teil aus zivilen Wohnhäusern heraus schossen, lässt Bundeswehrexperten darauf schließen, dass es sich um eine „minutiös geplante Aktion von einiger Logistik“ gehandelt haben muss. Die Philosophie dabei: Nach dem fatalen Bombenabwurf vom September vergangenen Jahres, der von dem deutschen Oberst Georg Klein befehligt wurde und ebenfalls in Kundus über 140 Tote, darunter auch Zivilisten, gefordert hatte, seien sich die Taliban sicher gewesen, dass die Nato „so schnell nicht ein zweites Mal zivile Opfer durch Luftangriffe riskieren wird“, heißt es in Berlin.
Sie sollten Recht behalten: Die eilig alarmierten amerikanischen Kampfflugzeuge begnügten sich bei ihren Tiefflügen über dem Kampfgebiet mit dem Prinzip „Show of force“ – zu Deutsch: Abschreckung. Was aber keine Wirkung zeigte. Im Gegenteil. Das Gefecht weitete sich zu einem mehrstündigen Kampf aus, den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nun auch „umgangssprachlich“ in das einsortiert, was es rund um Kundus seit geraumer Zeit schon ist: Krieg.
Auffälliges Lob
In dem zeigt sich, dass die Bundeswehr entgegen allen offiziellen Beteuerungen der politischen wie militärischen Führung mitnichten so ausgerüstet ist, wie sie es sein müsste, um hier annähernd bestehen zu können. Nur ein Beispiel: Das, weil dick aufgetragene, überaus auffällige Lob des Verteidigungsministers für den Einsatz der Amerikaner am Karfreitag ist nur so zu erklären. Wären nicht sehr bald nach Beginn der Kämpfe US-Hubschrauber vom Typ Black Hawk trotz massiven Beschusses schnell an Ort und Stelle gelandet, um die deutschen Verwundeten unter hohem Risiko zu bergen – die Zahl der am Sonntagabend in Köln-Wahn gelandeten Zinksärge wäre wohl noch viel höher ausgefallen.
Dass die Deutschen in Nordafghanistan keine eigenen Kampfhubschrauber besitzen, die die Truppen am Boden im Falle eines Gefechtes schnell unterstützen könnten, ist Militärs und Verteidigungspolitikern seit langem ein Dorn im Auge. Geschehen ist bislang aber so gut wie nichts. Auch darum ist dem früheren Generalinspekteur Harald Kujat nicht völlig zu widersprechen, wenn er der Bundesregierung den Vorwurf macht, die Truppe in Afghanistan nicht optimal auszustatten. Der Konter von Minister Guttenberg, selbst modernste Aufklärungssysteme (Drohnen) müssten versagen, wenn, wie am Karfreitag offenbar passiert, Sandstürme dazwischenkämen, mutet jedenfalls sehr nach Ausflucht an.
Frage nach dem Strategiewechsel
Vor dem Hintergrund der Gewissheit, dass die Taliban im Norden rund um Kundus mit Beginn des Frühjahrs dazu ansetzen, die Internationale Schutztruppe (ISAF) erkennbar zu schwächen, stellt sich die Frage: Kann die Bundeswehr wirklich dagegen halten, wenn es in den nächsten Wochen darauf ankommt? Und: Wie passt eigentlich der jüngst beschlossene, so gar nicht auf Kampfhandlungen abzielende Strategiewechsel der Deutschen zusammen mit einer offensichtlich auf blutige Eskalation angelegten Taktik des Gegners?
Und hier kommt der zweite wichtige Strang dieses folgenschweren Wochenendes ins Spiel. Nachdem die 1. Infanterie-Kompanie nach über sechsstündigem Gefecht abgelöst wurde, geschah das, was nicht geschehen darf: Deutsche Soldaten töteten afghanische Soldaten. Gegen 19.30 Uhr kamen der von einem „Marder“-Schützenpanzer“ angeführten Bundeswehr-Kolonne zwei zivil anmutende Fahrzeuge entgegen. Die nachrückenden Soldaten, sagen Eingeweihte, „standen unter Schock, sie wussten von ihren bereits gefallenen Kameraden“. In dieser Ausnahmesituation wickelten sie die Identifizierungsverfahren ab; wozu auch Warnschüsse und/oder Leuchtsignale gehören. Die Autos hielten aber nicht an. Aus Sorge, es könnte sich um Selbstmordattentäter in fahrenden Bomben handeln, wurde Schießbefehl erteilt. Die Tragik: Nach Bergung der Fahrzeuge stellte sich heraus, dass es sich um zivile Autos der afghanischen Armee (ANA) gehandelt hat. Sechs afghanische Soldaten starben – durch deutsche Kugeln.
„Einladung zum Schützenfest“
Unterstellt auch keine der beiden Seiten der jeweils anderen Absicht oder Fahrlässigkeit und muss der Vorgang auch noch näher untersucht werden, so verstärkt sich doch der Eindruck einer deutschen Überreaktion mit möglicherweise unliebsamen Folgen. Ausweislich der neuen Strategie, die ab Sommer in Nord-Afghanistan zum Tragen kommen soll, werden deutsche Soldaten (und Bundespolizisten) ihre afghanischen Kollegen dann nicht mehr in hermetisch abgeriegelten Lagern ausbilden, sondern zunehmend draußen in den Dörfern und auf freier Strecke. Was genug Gefahren mit sich bringt, könnten die Taliban dies als „Einladung zum Schützenfest“ verstehen, wie ein ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses bewusst zynisch formuliert.
„Partnering“ heißt das Modell. Es setzt auf gemeinschaftliches Vorgehen. Vertrauen ist dazu unabdingbar. Wie aber soll Vertrauen entstehen, wenn ein afghanischer Soldat am Ende des Tages nicht sicher sein kann, ob er, wenn widrige Umstände zusammenkommen, von Kollegen seiner deutschen Ausbilder irrtümlich erschossen wird oder nicht?
Die Bundeswehr, das hat dieser Karfreitag wohl gezeigt, droht in einem immer erbitterter geführten Krieg zerrieben zu werden. Eigene Soldaten fallen, obwohl das durch den Bundestag ausgestellte neue Mandat zunehmend nicht-militärische Züge trägt. Sie fallen, weil die Taliban immer raffinierter vorgehen. Mit jedem zivilen Opfer aber, das bei offensivem Vorgehen gegen den Taliban kaum vermeidbar sein wird, wächst die Unglaubwürdigkeit der Deutschen. Das gilt umso mehr, wenn afghanische Soldaten oder Polizisten unter „friendly fire“ geraten. Ein Dilemma, das im politischen Berlin derzeit niemand auflösen kann, der nicht wie die Linkspartei einem beschleunigten Abzug das Wort redet.
Hochprofessionelle Gegner
Wie hilflos selbst führende Vertreter der Bundesregierung sind, zeigen die Reaktionen von Verteidigungsminister Guttenberg und Entwicklungshilfeminister Niebel. Mehr als Plattitüden („Der Einsatz dort ist und bleibt gefährlich“ oder „Wir bleiben in Afghanistan“) hat der CSU-Politiker derzeit nicht zu bieten. Wer aber als politischer Führer einer Parlamentsarmee „die Perfidie und gleichzeitig auch die Komplexität“ eines Anschlags betont und „umgangssprachlich“ von Krieg redet, dem sollte abverlangt werden, klipp und klar zu sagen, wie und mit welchen Mitteln seine Soldaten ab sofort auf kaltblütigste und im Handwerk des Töten hochprofessionelle Gegner reagieren sollen. Und dürfen.
Noch zweifelhafter erscheinen die Äußerungen des FDP-Politikers, der eigentlich in anderer Mission in Afghanistan unterwegs war. Dirk Niebel, selbst Reserve-Offizier bei den Fallschirmjägern, nutzte die traurige Aktualität nicht nur geschickt für die eigene Imagebildung - er verlängerte seinen Aufenthalt um einen Tag und nahm in seiner Regierungsmaschine die Särge der drei gefallenen Soldaten mit nach Deutschland. Der FDP-Politiker stieß zudem in eines der abgenutztesten Hörner, wenn es um die rhetorische Steigerung der Akzeptanz des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch geht. Die Soldaten, sagte er, wünschten sich für ihr Tun mehr Verständnis und Rückhalt in der Bevölkerung. Was für ein Ablenkungsmanöver gemessen an dem, was passiert ist!
Seit Jahren schon sind alle Argumente für und gegen den Einsatz in nahezu allen Medien erhältlich und ausreichend diskutiert. Dass die Mehrzahl der Deutschen die Soldaten am liebsten bald zuhause sähe, liegt nicht an fehlendem Rückhalt. Sondern daran, dass zumindest im Raum Kundus eine militärisch grundierte Außenpolitik offensichtlich an ihre Grenzen stößt. Deutsche Soldaten starben in einem Hinterhalt, dem sie militärisch nicht gewachsen waren. Deutsche Soldaten töteten wenig später im Eifer des Gefechts aus Versehen jene Soldaten, die bald schon die Sicherheit in Afghanistan aus eigener Kraft gewährleisten sollen. Das ist die realpolitische Bilanz dieses Wochenendes. Niederschmetternd.