Berlin. .

Nachdem das Vefassungsgericht die gültigen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, kehrt die Poliktik die Scherben der Gesetzgebung zusammen. Man spielt auf Zeit - denn noch ist offen, wie eine Novelle aussehen sollte. Karlsruhe hat die Datenschutzhürde hochgelegt.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sorgt sich um die innere Sicherheit, Grünen-Chefin Claudia Roth spricht dagegen von einem „großen Tag für die Grundrechte“: Mit der Entscheidung, die bestehenden Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung zu kippen, hielt das Verfassungsgericht an seiner Linie fest, Datenschutz und Bürgerrechte nicht beliebig der Angst vor Kriminalität und Terrorgefahren preiszugeben.

Das war schon bei den Entscheidungen zum Großen Lauschangriff, dem Luftsicherheitsgesetz und den Online-Durchsuchungen so und steht auch in der Tradition des Volkszählungsurteils vor nunmehr 27 Jahren. Doch diesmal gingen die Karlsruher Richter noch einen großen Schritt weiter und überraschten damit Freund und Feind der Vorratsdatenspeicherung.

In Bausch und Bogen verdammt

Nach der Einstweiligen Anordnung des Senats von 2008 war allgemein erwartet worden, dass das Gericht Auflagen für die Verwendung der gespeicherten Telefon- und Internet-Verbindungsdaten machen würde. Schließlich hatte es bereits mit der Eilentscheidung den Sicherheitsbehörden untersagt, die brisanten Daten selbst für Delikte wie das illegale Herunterladen von Musik abzurufen.

Dass das Gericht aber das ganze Gesetz in Bausch und Bogen für nichtig erklären und sogar die unverzügliche Löschung der bisher gespeicherten Daten anordnen wurde, war eine faustdicke Überraschung. In anderen Fällen hatte Karlsruhe auch für grundgesetzwidrig erachtete Bestimmungen oft noch für teils lange Übergangsfristen in Kraft gelassen. Bei seiner Entscheidung gegen die Regelungen zu den Überhangmandaten hatte sie der Zweite Senat sogar so weit bemessen, dass bis zum Auslaufen der angegriffenen Gesetzesteile letztes Jahr noch einmal eine Bundestagswahl nach verfassungswidrigem Recht stattfinden konnte.

Die Politik reagierte nun ensprechend verblüfft und erstmal abwartend: Es sei nun „nicht der Zeitpunkt für nationale Schnellschüsse“, sagte Bundesjustizminister Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag nach dem Paukenschlag aus Karlsruhe. Zunächst müssten die Karlsruher Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung genau geprüft werden. Die Gesetzgebung müsse „seriös, handwerklich sorgfältig und eingebettet in die europäischen Überlegungen“ erfolgen. Der Gesetzgeber könne es sich nicht erlauben, womöglich erneut zu scheitern.

Wirkung auf Europa

Das heiße nicht, dass eine mögliche Neuregelung auf den „Nimmerleins-Tag“ verschoben werde, fügte die Ministerin hinzu. Auf EU-Ebene sei im Herbst ein Bericht zur Vorratsdatenspeicherung zu erwarten. „Diese Entscheidung wird auch auf Europa ausstrahlen“, sagte sie.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) © ddp

Leutheusser-Schnarrenberger wies damit Forderungen aus der Union und von den Polizeigewerkschaften zurück, nun möglichst rasch gesetzgeberisch tätig zu werden, damit die Strafverfolgung nicht beeinträchtigt werde. „Wir haben hier keine rechtsfreien Räume, keine Sicherheitslücken, die jetzt zu wirklichen Gefährdungen in Deutschland führen“, sagte sie. Der Gesetzgeber dürfe über das Karlsruher Urteil nicht „leichtfertig hinweggehen und so tun, als ob wir nur etwas korrigieren könnten und dann wäre schon wieder alles im Lot“.

Die Ministerin erwartet durch das Karlsruher Urteil auch Auswirkungen auf andere Gesetzesvorhaben zur inneren Sicherheit. Durch das Urteil würden die Anforderungen an ein hohes Datenschutz-Niveau vorgegeben, auch wenn es etwa um die Speicherung von Fluggast-Daten in der EU gehe. Dies gelte ebenso für weitere Vorhaben, die womöglich noch nicht so konkret konzipiert seien. Es werde somit „schrittweise eine andere Gewichtung geben“. Doch sei schon im Koalitionsvertrag von Union und FDP festgelegt, dass mit der Weiterentwicklung von Sicherheitsgesetzen „Schluss“ sein und der Datenschutz einen höheren Stellenwert erhalten solle.

Von 4:4 bis 7:1 Stimmen

Die Karlsruher Richter ließen den Parteien nicht viel Spielraum: Zwar erging die Entscheidung zur sofortigen Nichtigkeit bei der Vorratsdatenspeicherung nur mit 4:4 Richterstimmen. Doch bei der Verfassungswidrigkeit der wesentlichen Teile des Gesetzes waren sich die Senatskollegen mit 7:1 weitgehend einig. Und bei den strengen Auflagen für die jetzt anstehende Neuregelung betrug das Verhältnis immerhin noch 6:2. Nur die beiden von der Union benannten Richter Wilhelm Schluckebier und Michael Eichberger gaben dazu abweichende Voten ab. Darin beklagten sie, mit den Auflagen des Gerichts werde der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nahezu vollständig eingeengt.

Das sieht der zu den Klägern zählende ehemalige Bundesinnenminister und FDP-Politiker Gerhart Baum nicht anders. Nur findet das der in Karlsruhe wieder einmal zusammen mit seinem Parteifreund Burkhard Hirsch angetretene Altliberale ausgesprochen positiv. Für das Parlament werde das jetzt „eine ganz schwierige Kiste“, sagte Baum nach der Urteilsverkündung. Und Hirsch pflichtete bei, so strenge Auflagen habe es noch nie gegeben.

Zwar ist die massenhafte Speicherung der Verbindungsdaten laut Papier nicht schlechthin verfassungswidrig. Es handele sich aber um „einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kannte“. Und daher sei ein Abrufen der Daten nur zulässig, wenn ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer schwerwiegenden Straftat vorliege. Und die müsse der Gesetzgeber konkret benennen. Ansonsten könne auf die Daten nur zurückgegriffen werden, wenn eine hinreichend belegte konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes vorliegt oder zur Abwehr einer „gemeinen Gefahr“.

Den Unternehmen wird das Ganze zu teuer

Verfassungsrechtlich geboten ist dem Urteil zufolge auch, zumindest für einen engen Kreis ein grundsätzliches Übermittlungsverbot der Daten vorzusehen. Genannt werden in sozialen oder kirchlichen Bereichen Tätige, die Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und selbst zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Weiter schreiben die Verfassungsrichter vor, dass ein Richter die Datenfreigabe genehmigen muss und die Betroffenen zumindest nachträglich informiert werden müssen. Zudem stellten sie viel höhere Anforderungen an die Datensicherheit der bei Providern und Telefongesellschaften gespeicherten Verbindungen von deren Kunden. Den betroffenen Unternehmen graut schon jetzt vor den Kosten dafür, falls tatsächlich ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zustandekommt. Schließlich haben sie nach eigenen Angaben schon in der Vergangenheit dreistellige Millionenbeträge für die Bereitstellung der Daten ausgegeben, die sie jetzt erst einmal allesamt wieder löschen müssen. (ap)