Karlsruhe. .
Bürgerrechtler und Datenschützer haben die massenhafte Speicherung aller Telefon- und Internetdaten vor dem Bundesverfassungsgericht scharf kritisiert. Jeder Bürger werde wie ein potenzieller Straftäter behandelt. Wie erwartet, verteidigte die Bundesregierung die Massenspeicherung. Die Justizministerin blieb der Verhandlung fern.
Ein Bündnis von Bürgerrechtlern und Datenschützern hat die massenhafte Speicherung aller Telefon- und Internetdaten vor dem Bundesverfassungsgericht scharf kritisiert. Jeder Bürger werde wie ein potenzieller Straftäter behandelt, sagte der Altliberale Burkhard Hirsch am Dienstag in Karlsruhe. Die gespeicherten Daten beträfen den Kern der Persönlichkeit. «Und genau das wollen wir nicht», betonte Hirsch. Dagegen verteidigte ein Vertreter der Bundesregierung die Gesetzesänderung der damaligen Großen Koalition.
Hintergrund ist die Vorschrift, dass Internet- und Telefonanbieter neuerdings alle Verbindungsdaten von Millionen Bürgern speichern müssen. Die Beschwerdeführer sehen darin unter anderem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
Hirsch sprach von einem Dammbruch und befürchtet eine «schleichende Aushöhlung der freiheitlichen Substanz». Schon die Speicherung und nicht erst der Abruf der Daten verstoße gegen die Verfassung. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte äußerte massive Kritik an der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes.
Elektronische Spuren für Straftaten-Verfolgung
Die Bundesregierung verteidigte dagegen die massenhafte Speicherung. Elektronische Spuren müssten gesichert werden, um Straftaten verfolgen zu können, sagte der Prozessbevollmächtigte Chri
stoph Möllers am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erschien entgegen der Gepflogenheiten nicht vor Gericht, weil sie Beschwerdeführerin und Vertreterin der Bundesregierung zugleich ist. Die Gesetzesänderung wurde zu Zeiten der Großen Koalition maßgeblich von ihrer Vorgängerin Brigitte Zypries (SPD) gestaltet und geht über die Vorgaben einer entsprechenden Richtlinie noch hinaus. Leutheusser-Schnarrenberger ist eine von etwa 35.000 Beschwerdeführern.
Ihre Staatssekretärin Birgit Grundmann ging kaum inhaltlich auf das Gesetz ein und verwies darauf, dass die Bundesregierung in besonderer Weise dem Datenschutz verpflichtet sei. Möllers sagte, die Grundrechte hätten bei der Gesetzgebung von vornherein eine zentrale Rolle gespielt. Die bisherige Rechtsprechung aus Karlsruhe wurde demnach berücksichtigt.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, sagte im Hinblick auf Datenschutzbedenken, auch die bisherige Speicherung von Verbindungsdaten sei nicht ohne Risiken. Seine Behörde stelle sicher, dass Schutz gegen Zugriffe von innen und außen gegeben sei.
Dagegen erklärte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, er habe mit Erschrecken festgestellt, dass Telekommunikationsanbieter mehr Daten speicherten als vorgeschrieben. Ein großer deutscher Anbieter etwa speichere im 15-Minuten-Takt den Aufenthaltsort von Smartphone-Besitzern, auch wenn diese die Geräte nicht nutzten. Nach Schaars Analyse lassen sich so Bewegungsprofile über sechs Monate erstellen.
Protest von Medien
Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung erwarten nach eigenem Bekunden eine weitreichende Einschränkung der umstrittenen Vorschrift durch das Verfassungsgericht. Die Entscheidung werde wohl weit über die einstweilige Anordnung vom vergangenen Jahr hinausgehen, sagte einer der Prozessbevollmächtigten, Meinhard Starostik, vor Verhandlungsbeginn.
Selbst der bayerische Innenminister Joachim Herrmann rechnet nach eigenen Worten damit, dass die Richter den staatlichen Zugriff auf Telefon- und Internetdaten nur in engen Grenzen genehmigen werden. Im SWR sagte der CSU-Politiker, die Richter würden vermutlich an der Linie ihrer einstweiligen Anordnungen festhalten und die Dateneinsicht nur bei Gefahr für Leib und Leben für zulässig halten.
Kritik an der Pflicht zur massenhaften Speicherung der Daten kommt auch von Berufsverbänden von Ärzten, Anwälten oder Journalisten. Ein Bündnis von Medienverbänden und -unternehmen warnte vor negativen Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Deutschland, da Journalisten keinen Informantenschutz mehr gewährleisten könnten. Der staatliche Zugriff auf alle elektronischen Kontakte von Journalisten schrecke Informanten massiv ab, da ihre Anonymität nicht mehr gesichert sei. (ap)