Karlsruhe. .

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Praxis der Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Alle bislang gespeicherten Daten müssen unverzüglich gelöscht werden.

Die Speicherung der Telekommunikationsdaten aller Bürger auf Vorrat ist in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig. Alle bislang gespeicherten Daten müssen deshalb umgehend gelöscht werden, entschied das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe. Laut Urteil ist die Vorratsdatenspeicherung allerdings zulässig, wenn eine Reihe enger Vorgaben zur Verwendung der Daten, zur ihrer Sicherheit bei der Speicherung sowie zur Transparenz bei ihrer Verwendung erfüllt werden. (AZ: 1 BvR 256/08)

Nach Ansicht der Richter handelt es sich bei der Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten für sechs Monate um einen „besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis“, weil die Verbindungsdaten inhaltliche Rückschlüsse „bis in die Intimsphäre“ ermöglichten und damit aussagekräftige Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile gewonnen werden könnten. Weil zudem Missbrauch möglich ist und die Datenverwendung von den Bürgern nicht bemerkt werde, sei die Vorratsdatenspeicherung in ihrer bisherigen Form geeignet, „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen“.

Gesetzgeber muss strengen Maßstab entwickeln

Laut Urteil sind die Telekommunikationsdaten allerdings „für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung“. Daten dürfen deshalb künftig unter bestimmten Maßgaben gespeichert und verwertet werden.

Das Gericht befasste sich aus diesem Anlass erstmals ausführlich mit Fragen der Datensicherheit. Es forderte den Gesetzgeber auf, dazu einen strengen Maßstab zu entwickeln, der von den Telekommunikationsunternehmen auch technisch umgesetzt werden müsse. Der Datenschutz dürfe jedenfalls nicht „unkontrolliert“ in deren Händen liegen und von ihren „Wirtschaftlichkeitserwägungen“ abhängen. Die Kosten für diese Datensicherheit haben laut Urteil die Unternehmen zu tragen, da sie auch von der Telekommunikation profitieren.

Nur zur Aufklärung schwerer Straftaten

Der Bund muss zudem klarstellen, dass Vorratsdaten nur zur Verfolgung schwerer Straftaten genutzt werden dürfen und hat dazu einen abschließenden Katalog festzulegen. Überdies muss er den Ländern klare Maßgaben machen, inwieweit die Polizei zur sogenannten Gefahrenabwehr auf Vorratsdaten zugreifen darf. Den Richtern zufolge muss der Gesetzgeber die „diffuse Bedrohlichkeit“ der Datenverwendung durch „wirksame Transparenzregeln auffangen“. So müssen Betroffen in der Regel über die Auswertung ihrer Daten informiert und Verstöße dagegen sanktioniert werden.

Einzig bei den Daten zu Internet und E-Mail-Verbindungen, den sogenannten IP-Adressen, legte das Gericht den Maßstab nicht so streng an. Mit den IP-Adressen kann zwar der Absender einer anonymen E-Mail oder der Betrachter einer Kinderpornoseite ausfindig gemacht werden. Ein Persönlichkeitsprofil kann damit aber nicht erstellt werden, weil dieses Adresse bei jeder Verbindung im Internet neu vergeben werden.

Polizeigewerkschaft nicht erfreut über den Richterspruch

FDP-Chef Guido Westerwelle hat sich erfreut über das Urteil gezeigt. Es sei „hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben“, sagte der Außenminister am Dienstag in Berlin. Die Entscheidung sei auch eine „wirkliche Bestätigung“ des langjährigen Engagements von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für Bürgerrechte.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat den Richterspruch als „schallende Ohrfeige für den Gesetzgeber“ bezeichnet. Erneut habe eine schlampige Gesetzesformulierung dazu geführt, dass der Polizei ein notwendiges Ermittlungsinstrument „aus der Hand geschlagen wurde“, beklagte der GdP-Vorsitzende, Konrad Freiberg, am Dienstag in Berlin. (afp/ddp)