Berlin. .

Zum Start der Regierungskommission zur Ge- sundheitsreform gibt sich Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) trotz Kritik von CDU und CSU optimistisch, seine Ziele zu erreichen. Höhere Ärztehonorare lehnt er ab. Und er greift die Kassenärztlichen Vereinigungen an.

Herr Minister, ist es möglich, in Ihrem Amt keine Lobbypolitik zu machen?

Philipp Rösler: Sie müssen einen klaren inneren Kompass haben. Den habe ich: 80 Millionen Versicherte brauchen ein gutes Krankensystem. Alles, was dem nützt, werde ich tun. Alles, was ihm schadet, werde ich versuchen, abzustellen.

Besonders in der Ärzteschaft sind die Erwartungen an Sie hoch. Viele Mediziner speziell an Rhein und Ruhr erhoffen sich Honoraraufschläge. Wie wollen Sie diesem Erwartungsdruck gerecht werden?

Eines vorweg: Ich bin nicht Bundesminister für Ärzte, sondern für die Gesundheit und damit für alle Menschen. Durch die Honorarreform der alten Regierungskoalition haben die Ärzte zuletzt 3,5 Milliarden Euro mehr bekommen. Dennoch hören wir, dass Hausärzte in Nordrhein-Westfalen über ihre Honorare klagen.

Wie erklären Sie sich das?

Obwohl es mehr Geld für Ärztehonorare gibt, ist es offenbar nicht bei jedem angekommen, weil es ein Verteilungsproblem gibt. Das können wir aber erst dann beurteilen, wenn wir vernünftige Zahlen haben.

Können die Ärzte also mit mehr Geld rechnen?

Wir können den Ärzten in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht einfach sagen: Ihr bekommt mehr Geld, weil ihr einen Nachholbedarf habt. Die Verteilung muss zielgerichtet überprüft werden. Dafür brauchen wir vernünftiges Datenmaterial von den Selbstverwaltungsorganen, wie den Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie sind aber - um es vorsichtig zu formulieren – etwas in Verzug.

Verteilungsproblem bei Ärztehonoraren

Das heißt?

Wir wollten am 15. November 2009 dem Bundestag über die Verteilung der Ärztehonorare Bericht erstatten. Das ist nicht gelungen, weil die Daten noch nicht aufbereitet waren, wie wir uns das vorstellen. Für die gesamte Bewertung der Honorarreform brauchen wir die Daten von allen vier Quartalen. Die haben wir bis heute nicht. Wir haben noch nicht einmal vorläufige Daten.

Hat die ärztliche Selbstverwaltung hier versagt?

So weit würde ich nicht gehen. Ich möchte aber, dass nun alle Kräfte dafür gebündelt werden, damit wir die Daten schnell bekommen. Das sind wir den Ärzten vor Ort schuldig. Deshalb mahne ich hier zu mehr Eile.

Den Haus-Ärzten in NRW schwebt ein Hausarztvertrag nach bayerischem Vorbild vor. Das würde die Krankenkassen rund 500 Millionen Euro extra kosten und ihren Sparbestrebungen diametral entgegenstehen.

Stimmt, aber die Selbstverwaltungsorgane können nach der Sozialgesetzgebung solche Hausarztverträge abschließen. Das können wir nicht verhindern. In drei Jahren werden wir die Hausarztverträge aber überprüfen.

Um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen einzudämmen, haben Sie sich Sparvorschläge von der Pharmabranche und Krankenkassen eingeholt. Nun wollen Sie zunächst bei den Arzneimitteln sparen.

Wir werden dazu in den nächsten Wochen ein Konzept vorlegen.

Mit einer reduzierten Mehrwertsteuer auf Medikamente?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das kein Thema. Das habe ich den Vertretern der Krankenkassen, die dies fordern, auch sehr deutlich mitgeteilt. Das ist kein echter Sparvorschlag.

Keine Chance für Apotheken-Ketten

Laut dem Koalitionsvertrag wollen Sie Versandapotheken aus dem Markt drängen. Wie passt das zusammen mit ihrer Forderung nach mehr Wettbewerb?

Es sind nicht die Versandapotheken, die wir kritisch sehen – wohl aber die Pickup-Stellen. Und wir sind für das Mehrbesitz- und Fremdverbot. Wir wollen die mittelständischen Strukturen auf dem Apothekenmarkt erhalten und keine Konzern-Konzentration wie im Einzelhandel. Medikamente sind sicherheitsrelevante Produkte. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Die Gesundheitsprämie der FDP gilt als unfinanzierbar.

Die Zahlen, die von interessierter Seite eingebracht werden, haben nichts mit der Realität zu tun.

Sie spielen auf Finanzminister Schäuble an, der vorrechnete, dass der Sozialausgleich bei der Gesundheitsprämie bis zu 35 Milliarden Euro kostet...

Es geht nicht um die Zahlen von Herrn Schäuble, der auf eine Anfrage der Grünen geantwortet hat, sondern auf die Zahlen des SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach und anderen. Sie stellen beliebige Ausgaben in den Raum. Diese haben eines gemeinsam – nämlich, dass sie nichts gemeinsam haben mit dem tatsächlichen Modell, das wir beabsichtigen.

Herr Schäuble piesackt Sie, wo er nur kann, die CSU leistet bislang beinharte Opposition gegen die Gesundheitsprämie. Sind Sie von Ihren Koalitionspartnern enttäuscht?

Nein, ich sehe das ganz gelassen. Am Mittwoch haben wir die Regierungskommission eingesetzt. Ihr Auftrag ist klar: Sie soll das umsetzen, was im Koalitionsvertrag steht.

„Ich sehe unsere Ziel nicht gefährdet“

Hätten Sie sich zuletzt mehr Rückendeckung von der Kanzlerin gewünscht oder gar ein Machtwort Richtung CSU?

Das brauchen wir an dieser Stelle nicht. Ich sehe unsere Zielsetzung in keiner Weise gefährdet.

Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder torpediert Ihre Pläne, wo er nur kann. Nehmen Sie ihn noch ernst?

Wenn man an der Sache kritisiert, ist es gerechtfertigt. Wenn man nicht an der Sache kritisiert, ist es nicht gerechtfertigt. Jeder kann sich Söders Kritik ansehen, die mal in diese, mal in jede Richtung geht - und seine Schlüsse daraus ziehen.

In den vergangenen Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, ihr Parteichef will den Sozialstaat abfackeln…

Herr Westerwelle will das Sozialsystem nicht abfackeln. Er hat darauf hingewiesen, dass Sozialsein nicht nur bedeutet, dass man soziale Sicherungssysteme finanziert. Diejenigen, die tagtäglich arbeiten, müssen auch das Gefühl haben: Es lohnt sich noch zu arbeiten. Das wird mehr für den sozialen Frieden beitragen, als Menschen zu alimentieren und sie danach zu vergessen. Das hat Westerwelle zwar in scharfen Worten, aber in der Sache richtig aufgegriffen.

...trotzdem scheint die FDP derzeit der Entsolidarisierung das Wort zu reden. Auch Ihre Gesundheitsprämie passt in diesen Kontext.

Das Gegenteil ist der Fall. Es ist gerechter, den Ausgleich zwischen Arm und Reich über das Steuersystem zu gestalten als über das bisherige GKV-System. Dann würde jeder - auch ein Privatversicherter - nach seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gesundheitssystems herangezogen werden, und eben nicht nur bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze. Klar ist aber: Wir dürfen die Menschen nicht überfordern und werden deshalb schrittweise vorgehen.