Essen. Der Täter stammt aus Syrien, und da soll er bitteschön auch wieder hin, findet Duisburgs OB Sören Link. Doch so einfach ist das nicht.
Sören Link ist ein Klartext-Oberbürgermeister, schon deshalb mag ich ihn eigentlich. Wer in Duisburg politische Verantwortung trägt, landet irgendwann ganz automatisch bei einer Null-Toleranz-Strategie, um der zahlreichen sozialen Probleme Herr zu werden. Es gibt kaum eine Rede von Link, in der er nicht irgendwann in irgendeinem Zusammenhang und in irgendeiner Form für „null Toleranz“ plädiert. Insofern war und ist es nur konsequent, wenn er die Abschiebung jenes Syrers fordert, der innerhalb von zehn Tagen fünf Menschen in Duisburg mit Messern attackiert und eines seiner Opfer getötet haben soll. Er hoffe auf ein „schnelles Gerichtsverfahren“, eine „deutliche Strafe“ sowie eine „unmittelbar folgende Abschiebung des Täters“, hat Link auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Es zuckte mir in den Fingern. Nur zu gerne hätte ich auf den Gefällt-mir-Knopf gedrückt. Habe ich aber nicht.
Warum nicht?
Im besten Fall hat Link das Thema nicht zu Ende gedacht, im schlechtesten Fall war sein Post purer Populismus. Trifft Letzteres zu, muss man leider darauf hinweisen, dass Sören Link ein Wiederholungstäter ist. 2015 hatte er auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte folgenden – zynisch formuliert – „legendären“ Satz abgesondert: „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte.“ Nun muss man Link zugute halten, dass die Stadt in der Tat besonders unter dem ungebremsten Zuzug von Bulgaren und Rumänen leidet, die ihren Wohnsitz in der EU frei wählen dürfen – auch wenn sich die Situation inzwischen leicht entspannt. Und doch war der Satz eine populistisch-rassistische Entgleisung, für die sich Link entschuldigen musste und dann auch entschuldigt hat. Derart wenige Tassen im Schrank haben sonst nur AfD und Co.
Faeser will nicht mit Assad verhandeln
Und jetzt? Jetzt ist die Bundesinnenministerin und SPD-Parteifreundin Links, Nancy Faeser, ins Feld zu führen, wenn es zu erklären gilt, warum ein Syrer nicht nach Syrien abgeschoben werden kann – und zwar selbst dann nicht, wenn er ein verurteilter Straftäter ist. Erst vor wenigen Wochen stellte Faeser in einem Interview mit unserer Berliner Zentralredaktion klar: „Niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo ihm Folter oder Tod droht. Wir werden auch nicht mit dem Assad-Regime über solche Fragen verhandeln.“ Hinzu komme, dass viele Herkunftsstaaten „ihre Bürger nicht zurücknehmen“.
Link kann, Link muss das wissen. Er weckt Erwartungen, die keiner erfüllen kann, wenn man Recht und Gesetz, darunter fundamentale Menschenrechte, achtet. Und ja, diese gelten auch für den mutmaßlichen Messerstecher. Das Ergebnis allerdings, ich gebe es zu, ist spontan frustrierend. Da tritt einer sein Gastrecht mit Füßen; ein Flüchtling ausgerechnet, dem wir helfen wollen, verletzt und tötet. Das hätte jeden von uns treffen können. Link befördert diesen Frust. Das ist Wasser auf die Mühlen von Rechten, die auf unsere Verfassung genauso pfeifen wie islamistisch motivierte Extremisten.
Flüchtlingspolitik der Ampel gescheitert
Der Frust reicht freilich über Sören Link und Duisburg weit hinaus. Eine „Rückführungsoffensive“ hat die Berliner Ampelkoalition in ihren Koalitionsvertrag hineingeschrieben und dann hinausposaunt: Straftäter und Gefährder, also potenzielle Terroristen, sollten künftig rasch des Landes verwiesen werden. Die Realität sieht derweil ganz anders aus. Syrien, Afghanistan, Irak: Die Liste der Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge zu uns kommen, ist lang. Es sind genau diese Länder, in die nicht abgeschoben werden kann. Nancy Faeser lässt grüßen.
Joachim Stamp, unser ehemaliger glückloser NRW-Vize-Ministerpräsident von der FDP, wird daran auch nicht viel ändern können in seinem neuen Job. Er ist jetzt Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Bedeutet: Er versucht mit mehr oder weniger sanftem Druck, die Herkunftsländer von bei uns nicht mehr geduldeten Flüchtlingen dazu zu bewegen, diese zurückzunehmen. Die Aufgabe ist groß, vermutlich zu groß. Und mit einem wie Assad wird Stamp ohnehin nicht sprechen können und wollen. Siehe oben.
FDP-Fraktionsvize bläst sich auf
Verantwortliche Politiker in Berlin, Düsseldorf, Duisburg und überall wären also gut beraten, sachlich zu erklären und aufzuklären statt die Menschen mit unrealistischen Versprechungen zu blenden und zu enttäuschen – es sei denn, man heißt Marc Lürbke, ist Fraktionsvize der FDP im Düsseldorfer Landtag und bläst sich oppositionsmäßig auf, um gegen den in Sachen Duisburg etwas achselzuckenden Landesinnenminister Herbert Reul von der CDU vermeintlich zu punkten: „Ein vollendeter tödlicher Terroranschlag auf nordrhein-westfälischem Boden steht im Raum“, empörte sich Lürbke. „Da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen.“ Als ob das jemand täte.
Vor allem frage ich mich, woher Lürbke sein Mehrwissen nimmt. Dass es sich bei den Messerattacken um einen „vollendeten Terroranschlag“ handelt, ist ja keineswegs ausgemacht und auch wieder nur so eine populistische Erregungspille fürs Publikum. Ja, jetzt ermittelt sogar die Bundesanwaltschaft aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls. Aber von einem Terroranschlag können wir seriös doch erst dann sprechen, wenn er nachweislich politisch motiviert ist, wenn er einer Strategie folgt (nämlich in der Regel möglichst große Teile der Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen), wenn es direkte oder indirekte Verbindungen zu einem terroristischen Netzwerk gibt und wenn der Täter – und hier gibt es die meisten Zweifel – psychisch halbwegs zurechnungsfähig ist. Ein vorschnelles Urteil verbietet sich schlicht, wenn man nicht schlicht ist oder schlicht sein will.
„Wegschließen, für immer!“
Insofern endet diese Kolumne leider unbefriedigend. Es wäre schön, wenn Sören Link richtig läge. Tut er aber nicht. So wenig übrigens wie ein anderer Populist, der mal im Hinblick auf Kinderschänder gesagt hat: „Wegschließen, für immer.“ Es war der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, noch ein Sozialdemokrat, auch wenn das kaum noch ein Sozialdemokrat hören mag. Immerhin könnte es für einen verurteilten Mörder maximal eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung geben. Dann würde der Duisburger Messerstecher für sehr lange aus dem Verkehr gezogen, ohne dass wir ihn abschieben und damit sein Leben gefährden müssten.
Lassen wir die Ermittlungsbehörden und anschließend die Richter ihre Arbeit tun. Und vergessen wir die Opfer und ihre Angehörigen darüber nicht.
Auf bald.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.
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