Duisburg. Viele Bulgaren und Rumänen erhalten in Duisburg Sozialleistungen, aber der Anteil der Beschäftigten unter ihnen steigt. Zahlen und Einordnungen.
Die Warnungen vor einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ durch „Armutsmigranten“ aus Südosteuropa sind vielerorts leiser geworden. Ende 2021 vertrat eine Studie im Auftrag des „Mediendienstes Integration“ gar die These, dass EU-Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien den deutschen Arbeitsmarkt bereichert und die Sozialkassen alles in allem eher gefüllt haben. In wirtschaftsstarken Großstädten sind Vertreter beider Nationalitäten selten arbeitslos. Ärmere Revier-Städte wie Duisburg, wohin es seit mehr als zehn Jahren viele Romnja und Roma aus Südosteuropa zieht, stehen dagegen vor einer dauerhaft großen Herausforderung. Davon zeugen auch Daten zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen in Duisburg. Darunter gibt es auch Statistiken, die Experten als Integrationserfolg interpretieren.
Ganz anders bewertet Enxhi Seli-Zacharias, integrationspolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Landtag, neue Zahlen. Die Daten hat die Gelsenkirchenerin auf eine Kleine Anfrage an die NRW-Regierung von Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) erhalten. Ihre Interpretation, auch für Duisburg: „Es findet weit überwiegend eine Zuwanderung in die Sozialsysteme statt, was nicht im Sinne der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit ist.“ Die Duisburger Abgeordneten Jule Wenzel (Grüne) und Frank Börner (SPD) etwa widersprechen (zum Bericht). Wir haben auch das Jobcenter und das Dezernat für Bildung, Arbeit und Soziales um eine fachliche Einordnung gebeten. Zu den Fakten:
Südosteuropäer in Duisburg: Nirgends in NRW leben mehr Bulgaren und Rumänen
Laut Ausländerzentralregister war die Zahl der bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen in Duisburg von Ende 2017 bis Ende 2020 weiter gestiegen: von 9670 auf 14.000 Bulgarinnen und Bulgaren, von 7890 auf 9910 Rumäninnen und Rumänen. Danach stagnierten die Zahlen: Ende 2021 waren 14.035 Bulgaren registriert, die Zahl der Rumänen sank sogar, auf 9225. Dennoch: Nirgends in NRW leben mehr rumänische und bulgarische Staatsangehörige in einer Kommune als in Duisburg (wir berichteten).
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Gestiegen ist unter diesen EU-Zuwanderern auch die Zahl der „Regelleistungsberechtigten (RLB)“: Darunter fallen alle erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Personen von Bedarfsgemeinschaften, die Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II erhalten (ab 1.1.2023: Bürgergeld); also auch Kinder.
Bulgarische Staatsangehörige: 40,9 Prozent Regelleistungsberechtigte
2017 waren dies 4050 bulgarische Duisburger RLB, vier Jahre später 5741. Setzt man diese Angaben ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, sank der Anteil der Regelleistungsberechtigten unter den Duisburger Bulgaren zwischen 2017 und 2021 von 41,9 auf 40,9 Prozent.
Auch unter den gemeldeten rumänischen Einwohner sank der Anteil der Leistungsberechtigten (auf deutlich niedrigerem Grundniveau): von 24,6 auf 23,9 Prozent. 2017 waren 1944 rumänische Duisburger im SGB-II-Bereich gemeldet, Ende 2021 waren es 2208.
Die Zahlungsansprüche solcher Bedarfsgemeinschaften sind dennoch deutlich gestiegen: Der jährliche Anspruch von Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einer rumänischen Person erhöhte sich von etwa 7,2 Millionen Euro (Jahressumme 2017) auf 9,6 Millionen Euro (2021). Bei den Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einer bulgarischen Person stieg diese Summe von etwa 18,1 Millionen Euro (2017) auf rund 29,8 Millionen Euro (2021).
Zur Einordnung zwei Duisburger Gesamtwerte:
■ Die Zahlungsansprüche aller vom Duisburger Jobcenter betreuten Bedarfsgemeinschaften stiegen von 463,8 Millionen Euro (Jahressumme 2017) auf 471,1 Millionen Euro (2021).
■ Die Stadt musste für den SGB-II-Bereich und Leistungen für Personen im SGB-II-Bezug 2021 insgesamt 199,7 Millionen Euro aufwenden, darunter rund 172,2 Millionen Euro für Kosten der Unterkunft. Den Großteil davon übernimmt der Bund, so dass die kommunalen Kosten der Stadt 2021 alles in allem etwa 57,21 Millionen Euro betrugen.
Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Rumänen und Bulgaren kontinuierlich gestiegen
Die absolute Zahl der arbeitslosen Bulgaren beziehungsweise Rumänen war trotz der Zuwanderung zwischen 2017 und 2019 jeweils leicht gesunken, seit dem Corona-Jahr 2020 aber wieder gestiegen. Zu den Arbeitssuchenden zählt das Jobcenter unter anderen die arbeitslos gemeldeten sowie „Ergänzer“, die in Arbeit sind, aber dennoch Arbeitslosengeld II zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes bekommen:
Die Zahl der arbeitssuchenden Rumänen in Duisburg war von 731 (2017) auf 611 (2019) gesunken, danach stieg sie auf bis zu 853 (2022). Unter den Bulgaren war die Zahl Arbeitssuchender zunächst von 2214 (2017) auf 2144 (2019) zurückgegangen, danach jedoch auf 3204 (2022) gestiegen.
Belegen diese Zahlen eine systematische Zuwanderung in Sozialsysteme?
„Nein, aus meiner Sicht lässt sich das aus diesen Zahlen nicht ableiten“, antwortet Frank Böttcher. Der Geschäftsführer des Duisburger Jobcenters wirbt für eine differenzierte Betrachtung. Auch in Duisburg arbeiteten „viele Rumänen und Bulgaren, deren Arbeitskraft hier dringend benötigt wird – von Ärzten bis hin zu Kranken- und Altenpflegerinnen“.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig angestellten Rumänen und Bulgaren sei in Duisburg zudem kontinuierlich gestiegen: von 2467 (2018) auf 3646 (2022) Bulgarinnen und Bulgaren, und von 1829 (2018) auf 2877 (2022) Rumäninnen und Rumänen (siehe Grafik). „Da sind Selbstständige und Minijobber nicht mit drin“, betont Böttcher.
Jobcenter: Arbeit des Spezialteams Südosteuropa zeigt Wirkung
Er wertet auch eine Quote als Zeichen dafür, dass der Aufwand seines Spezialteams Südosteuropa Früchte trägt: 2022 habe das Jobcenter 3722 erwerbsfähige und leistungsberechtigte bulgarische und rumänische Staatsangehörige betreut, was 745-mal zu Aufnahmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung geführt habe. Das entspreche einer „Integrationsquote“ von 19,8 Prozent – über alle Kunden der Duisburger Behörde hinweg habe diese Quote bei 18,9 Prozent gelegen.
Schönreden wolle er nichts, versichert Böttcher. Gerade in der Minderheit der Roma, die in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden, gebe es mitunter Bildungsdefizite, Sprachbarrieren, aufgrund schlechter Erfahrungen oftmals Angst vor Behörden. „Es ist eine große Herausforderung für uns, diese Kundinnen und Kunden zu begleiten.“ Es gebe unter ihnen auch solche, „die wir nicht in den Arbeitsmarkt integrieren können“. Seriös beziffern könne er deren Zahl nicht.
Böttcher verweist aber auch auf eine Entwicklung, „die uns bei der Integration in den Arbeitsmarkt in die Hände spielt“, wie er sagt: „Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Kräftemangel.“ Gesucht würden inzwischen auch Mitarbeitende für Tätigkeiten, die Ungelernte übernehmen können.
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>> LEICHTERER ANSPRUCH DURCH NEUE EU-VERORDNUNG
- Ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bestand im Falle vieler EU-Zuwanderer bis 2021 erst, wenn der Antragsteller über einen Arbeitnehmerstatus verfügt. Arbeitnehmer müssen dafür eine bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung eine Tätigkeit ausüben – und dafür eine Vergütung erhalten.
- Das Jobcenter untersucht bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus darum Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen, führt mitunter Befragungen durch, um fingierte Beschäftigung auszuschließen.
- Sind die Voraussetzungen erfüllt, sind die Familienangehörigen (Ehepartner und Kinder bis 21 Jahre) der Antragsteller ebenfalls leistungsberechtigt.
- Seit dem 1. Januar 2021 sind die Anspruchsvoraussetzungen auch erfüllt, wenn Kinder als EU-Bürger mit einem eigenständigen Aufenthaltsrecht (nach Artikel 10 der Verordnung 492/2011) die Schule besuchen. Aus dem Schulbesuch der Kinder leiten sich auch für deren nicht erwerbstätige Eltern Leistungen nach dem SGB II ab.