Berlin. Der schwere Missbrauch von Münster hat die Debatte um eine Justizreform neu entfacht. Innenminister fordern jetzt eine Mindeststrafe.

Die Debatte über den Kampf gegen Kindesmissbrauch verläuft wellenförmig: Wird das Versagen von Staat und Gesellschaft wieder einmal schmerzhaft deutlich wie jetzt beim Missbrauchsskandal von Münster, dann werden Forderungen laut: nach höheren Strafen, mehr Ermittlern und besserer Prävention. Doch vieles davon bleibt Theorie.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer weiß das und hofft, dass es diesmal anders sein könnte: „Das klare Signal, noch viel klarer als alle Signale bislang, muss sein, dass es null Toleranz gibt.“ Gegenüber Menschen, die Kinder missbrauchen, gegenüber ihren Helfern und Helfershelfern und denjenigen, die glaubten, mit dem Leben von Kindern Geld verdienen zu können. Beim Strafrecht liegen bereits konkrete Vorschläge auf dem Tisch, mit dem Fall von Münster kommt Bewegung in die zähe Debatte.

Kindesmissbrauch soll künftig immer als Verbrechen gelten

Die Innenminister der Länder hatten sich bereits im Juni 2019 auf eine Strafrechtsverschärfung geeinigt. Die Runde betonte damals, dass die Gesetzgebung „entschieden intensiviert werden“ müsse. Konkret schlagen die Innenminister zwei Bereiche vor. Bei Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch soll das Mindeststrafrecht auf ein Jahr erhöht werden, aktuell liegt die Untergrenze bei sechs Monaten.

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Bei Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie soll die Untergrenze von drei Monaten auf ein Jahr steigen, die Höchststrafe soll ebenfalls angehoben werden. Die Änderung ist wichtig: Erst ab einem Mindeststrafmaß von einem Jahr werden Straftaten juristisch als „Verbrechen“ bezeichnet – und nicht mehr als „Vergehen“.

Nach Bekanntwerden des Falls aus Münster erinnerte die CDU jetzt SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht an die Forderung der Länderminister: Sie solle die geforderten Verschärfungen bei Kindesmissbrauch und Kinderpornografie nun auch umsetzen. Kindesmissbrauch müsse in jedem Fall als Verbrechen und nicht mehr nur als Vergehen geahndet werden, damit eine Mindeststrafe von einem Jahr drohe.

Kritikpunkt: Strafverschärfung würde nicht für schwere Fälle gelten

Die Gespräche dazu liefen doch längst, heißt es dazu im Justizministerium. Ein Nein klingt anders – ein klares Ja ist es aber auch nicht. Das liegt auch daran, dass Fachleute mehrere Einwände haben.

Erstens fallen derzeit unter den Straftatbestand des sexuellen Kindesmissbrauchs auch Fälle wie diese: Ein 19-Jähriger, also erwachsener Partner gibt seiner 13-Jährigen Freundin einen Zungenkuss. Oder: Ein Täter nähert sich einem Kind, indem er es online anspricht. Beides gilt eindeutig als Straftat – bislang haben Richter aber die Möglichkeit, im Einzelfall auch weniger als ein Jahr Haft zu verhängen.

Zweitens: Mit einer solchen Strafverschärfung würde sich für die schweren Fälle überhaupt nichts ändern. Denn: Beim schweren sexuellen Kindesmissbrauch liegt das Mindeststrafmaß jetzt schon bei einem Jahr, das mögliche Höchstmaß bei 15 Jahren. In drei großen Missbrauchsprozessen der letzten Monate verhängten die Richter zudem zum Teil eine Sicherheitsverwahrung.

Es ist die juristisch legitime Form, einen Täter dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Sie kommt der Forderung des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder („Wegschließen – und zwar für immer“) von allen am nächsten.

Drei Beispiele für das aktuelle Strafmaß

Beispiel „Elysium“: Im Frühjahr 2019 verurteilte das Limburger Landgericht die vier Angeklagten im Prozess um die gleichnamige Kinderpornoplattform zu langen Haftstrafen: Die höchste Strafe erhielt ein 63-Jähriger aus Bayern, er wurde zu fast zehn Jahren Haft verurteilt – zudem verhängte das Gericht Sicherungsverwahrung. „Elysium“ gehört zu den größten Kinderpornoplattformen im Darknet, die deutsche Ermittler bisher ausheben konnten.

Beispiel Lügde: Im September 2019 verurteilten die Richter im Missbrauchsfall Lügde die beiden Angeklagten zu hohen Haftstrafen: Das Landgericht Detmold verhängte gegen den 56-Jährigen Andreas V. eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs in mehr als 200 Fällen. Der 34-jährige Mario S. erhielt zwölf Jahre. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung für beide Männer an.

Erst vor wenigen Tagen fiel das erste Urteil im bundesweiten Kindesmissbrauchsskandal, der durch Ermittlungen in Bergisch Gladbach aufgedeckt worden war: Ein 27-Jähriger muss für zehn Jahre in Haft und wird in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht. Auch im Fall Münster erwarten Experten, dass sich die Urteile in diesem Rahmen bewegen. Doch noch wird ermittelt.

Giffey: Strafmaß „am oberen Ende ausschöpfen“

Bereits in der kommenden Woche schalten sich die Innenminister wieder einmal zusammen, exakt ein Jahr, nachdem sie höhere Strafen verlangt hatten. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) wirft der Bundesregierung vor, sie verschleppe die Reform: „Es geht sehr zäh voran.“ Für das Treffen mit seinen Amtskollegen habe er das Thema Kindesmissbrauch noch einmal angemeldet, sagte der CDU-Politiker. „Wir können es nicht beschließen, aber wir können den Damen und Herren in Berlin auf den Nerv gehen. Das habe ich vor“, sagte Reul.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey dagegen sprach sich dafür aus, den strafrechtlichen Rahmen überhaupt erstmal auszuschöpfen: „Kindesmissbrauch ist eine furchtbare Tat, für die bereits jetzt hohe Strafen verhängt werden können“, sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion. „Wichtig ist, dass der Strafrahmen auch entsprechend am oberen Ende ausgeschöpft wird“, so die Ministerin.

Giffey mahnte zudem mehr Kapazitäten für die Ermittler und eine große öffentliche Aufmerksamkeit an: Es gehe darum, Anzeichen für Missbrauch früh wahrzunehmen und dann auch zu handeln und zu helfen. „Dafür braucht es ein Umfeld, das hinschaut sowie Behörden und Gerichte, die Fälle von Kindesmissbrauch konsequent verfolgen und bestrafen und eng zusammenarbeiten.“

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