Duisburg. Duisburgs OB fordert die Abschiebung des Syrers, der die Bluttat im Fitnessstudio begangen haben soll. Warum die Rechtslage dazu kompliziert ist.

Droht dem mutmaßlichen Messerstecher aus Duisburg die Abschiebung? Das jedenfalls fordert Oberbürgermeister Sören Link (SPD). Entschieden würde darüber – eine Verurteilung des Mannes vorausgesetzt – durch ein Gericht. Und eine Abschiebung des heute 26-jährigen Syrers scheint ausgeschlossen, solange dessen Heimat Kriegsgebiet ist. Trotzdem ist die Rechtslage kompliziert.

Die Stellungnahme veröffentlichte Link am Montag auf seiner Facebook-Seite: „Wenn sich der Tatverdacht [...] erhärtet, hoffe ich auf ein schnelles [...] Gerichtsverfahren, [...] eine deutliche Strafe sowie eine unmittelbar folgende [...] Abschiebung des Täters.“

Nach Bluttat in Duisburg: Diskussion über Abschiebung nach Syrien

Es folgen über 100 teils aggressive Kommentare. Der digitale Mob würde ein Gerichtsverfahren am liebsten überspringen, hetzt pauschal gegen Asylbewerber. Andere Nutzerinnen und Nutzer erinnern den OB an den Umstand, dass Deutschland zurzeit keine Menschen nach Syrien abschiebt.

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Im weiteren Verlauf der Diskussion bleibt Duisburgs Stadtoberhaupt bei seiner Meinung: „Kriminelle Ausländer gehören schnellstmöglich abgeschoben“, schreibt er. „Und wenn das hier in diesem Fall durch ein Urteil festgestellt wird (da sind wir ja noch nicht), dann gilt das auch für diesen syrischen Asylbewerber.“

Das strikte Abschiebeverbot nach Syrien, das wegen des Krieges über Jahre galt, ist Ende 2020 ausgelaufen. Trotzdem wurde seitdem kein Mensch dorthin abgeschoben. Das soll auch so bleiben – diese Haltung untermauerte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, wie Link SPD-Mitglied, erst kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung. Niemand dürfe in ein Land abgeschoben werden, wo ihm Folter oder Tod drohen.

Lange Haftstrafe kann Aufenthaltserlaubnis aufheben

Um Abschiebungen durchzuführen, sind außerdem vertragliche Regelungen mit den aufnehmenden Herkunftsländern nötig. Und die gibt es zwischen Deutschland und Syrien nicht. Auch hier betonte Nancy Faeser: „Wir werden nicht mit dem Assad-Regime über solche Fragen verhandeln.“

In diesem Fitnessstudio von John Reed in Duisburg ereignete sich am 18. April die Bluttat.
In diesem Fitnessstudio von John Reed in Duisburg ereignete sich am 18. April die Bluttat. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Soweit zur Praxis. Doch wie eindeutig ist die Rechtslage ohne das nicht mehr geltende Abschiebeverbot? Laut Michael Gödde, Duisburger Fachanwalt für Ausländerrecht, ist im Fall des mutmaßlichen Messerstechers zunächst dessen Status entscheidend.

Eine Vertreterin des NRW-Justizministeriums sprach am Donnerstag zwar von einem laufenden Asylverfahren. Doch nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft ist der 2016 gestellte Asylantrag des Mannes bereits bewilligt worden. „Damit wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen“, so Gödde, „es gilt dann die Einschätzung, dass er in Syrien in Lebensgefahr wäre“. Wird der 26-Jährige jedoch zu einer Haftstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, erlischt dieser Status – „er wäre dann nur noch geduldet“, erklärt der Anwalt.

Populismus: Anwalt befürchtet Streit zwischen Justiz und Politik

Laut Aufenthaltsgesetz verliert ein Ausländer zumindest einen Teil seines Schutzes, „wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet“. Zur Erinnerung: Im Fall des mutmaßlichen Messerstechers prüfen Polizei und Staatsanwaltschaft einen möglichen terroristischen Hintergrund.

Grundsätzlich verweist Michael Gödde auf Paragraf 42 des Asylgesetzes. Demnach hat im Zweifel ein Verwaltungsgericht zu entscheiden, ob im Heimatland eines Ausländers für diesen „eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht“. Sieht das Gericht diese Voraussetzung gegeben, darf eine Person ungeachtet der Schwere möglicher Straftaten nicht abgeschoben werden.

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Der Rechtsanwalt befürchtet eine populistische Debatte, durch die Behörden und Gerichte unter Druck der Öffentlichkeit geraten könnten. Er erinnert an den Fall Sami A., der 2018 für Streit zwischen Justiz und Politik sorgte. Der in Bochum lebende mutmaßliche Ex-Leibwächter von Terroristen-Anführer Osama bin Laden wurde damals nach Tunesien abgeschoben. Zu Unrecht, urteilte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen – da war der Mann jedoch bereits ausgeflogen worden.

>>ABSCHIEBUNGEN: EU-LAND STUFT TEIL SYRIENS ALS SICHER EIN

Dänemark stuft seit März die syrische Provinz Latakia als sicher ein. Deshalb könnten Syrerinnen und Syrer wieder dorthin abgeschoben werden. Seit 2019 hat das Land laut Medienberichten 150 syrischen Staatsangehörigen die Aufenthaltserlaubnis entzogen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sowie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International haben die Entscheidung Dänemarks kritisiert. Die Lage in dem vom Bürgerkrieg zerstörten Land rechtfertige nicht die Beendigung des internationalen Schutzes für syrische Flüchtlinge.