Witten/Bochum. Missbrauchsvorwürfe einer Wittenerin gegen ihren Vater werden neu geprüft. Auf der Anklagebank sitzt jetzt nach einem Coming-out: eine Frau.

Mehr als zwei Jahre nach der Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs der leiblichen Tochter in Witten kann deren Erzeuger (52) auf eine Reduzierung der Strafe hoffen.  Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil des Bochumer Landgerichts mit Blick auf Rechtsfehler gekippt - und einen neuen Prozess angeordnet.

Auf der Anklagebank gab es am Dienstag, 4. Februar, beim Prozessauftakt der Neuauflage vor der dritten Strafkammer eine bemerkenswerte Veränderung. Denn die mutmaßlich als Mann verübten Missbrauchsvorwürfe richten sich nun ganz offiziell gegen eine Frau. Laut einer von Richter Nils Feldhaus verlesenen Geburtsurkunde erfolgte erst vor wenigen Tagen, genauer am 13. Januar, bei einem Standesamt im Ruhrgebiet eine offizielle Änderung des Geschlechtseintrags in „weiblich“. Der Vorname lautet nun komplett anders. Und auch optisch war die Geschlechtsveränderung der Person auf der Anklagebank deutlich erkennbar.

Witten: Tatort der mutmaßlichen Übergriffe soll Familienwohnung gewesen sein

Dass die nun Angeklagte ihre inzwischen 24 Jahre alte Tochter vor Jahren (als Vater) mehrfach sexuell missbraucht hat, steht nach einem Beschluss des BGH wieder komplett in Frage. „Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung der Strafkammer hält (...) sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand“, heißt es darin wörtlich.

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Rückblick: Eine andere Strafkammer am Bochumer Landgericht hatte die Angeklagte am 8. November 2022 (damals noch als Mann) wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen zu zwei Jahren Haft verurteilt. Hintergrund dafür war, dass das Gericht davon ausgegangen war, dass der Vater im Zeitraum zwischen Sommer 2013 und Sommer 2017 in drei Fällen vor den Augen seiner damals elf beziehungsweise und 15 Jahre alten Tochter vor dem Fernseher an sich selbst sexuelle Handlungen ausgeübt hat. Als Tatort wurde eine frühere Familienwohnung genannt.

M. Kleinrensing WP Hagen Selbstbestimmung
Am 13. Januar 2025 änderte sich das Geschlechts des Erzeugers des mutmaßlichen Opfers aus Witten offiziell in „weiblich“. (Symbolbild) © WP | Michael Kleinrensing

Darüber hinaus hatte das Gericht damals auch weitere, nicht von der Anklageschrift umfasste Vorfälle beleuchtet, wonach der Vater im Sommer 2013 seiner Tochter auch nahezu täglich Geschichten von seinen sexuellen Fantasien erzählt haben soll. Dabei soll er ihr auch regelmäßig Sexspielzeug gezeigt und sie aufgefordert haben, sexuelle Handlungen vor ihm auszuführen.

Die nun Angeklagte hatte sich im ersten Prozess schweigend verteidigt. Die Richter hatten ihr Urteil seinerzeit alleine auf die belastende Aussage der Tochter gestützt, diese als „durchgehend glaubhaft und erlebnisbasiert“ eingestuft. Der BGH hatte danach bei der Revisionsprüfung allerdings bemängelt, dass die damaligen Richter die vorliegende Situation „Aussage gegen Aussage“ nicht ausreichend sorgfältig gewürdigt haben. Als „rechtsfehlerhaft“ bewerteten die Bundesrichter vor allem den Umgang mit Widersprüchen in den Aussagen der Tochter. Im Prozess hatte sie laut BGH - anders als bei der Polizei - die Übergriffe von der Intensität her als „deutlich stärker belastend“ dargestellt, von der Anzahl her aber als „unerklärlich entlastend“.

Verteidigerin: „Meine Mandantin schweigt“

Für die nunmehr angeordnete Neuverhandlung wies der BGH schon im Vorfeld darauf hin, auch mögliche suggestive und innerfamiliäre Einflüsse auf die Belastungszeugin in den Blick zu nehmen.

Auch im zweiten Prozess will sich die nun Angeklagte zu den Missbrauchsvorwürfen nicht äußern: „Meine Mandantin schweigt“, sagte Verteidigerin Inga Stremlau. Anders als im ersten Prozess haben die Bochumer Richter nun zusätzlich auch eine aussagepsychologische Sachverständige hinzugezogen. Mit einem Urteil ist Stand jetzt voraussichtlich frühestens am 1. April zu rechnen.

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