Witten/Bochum. Zeuginnen haben den Wittener Reitlehrer weiter belastet. Ihm werden Übergriffe und sexuelle Belästigungen vorgeworfen, sogar Vergewaltigung.
- Ex-Reitschülerin: Es gab immer wieder anzügliche Sprüche
- Anklage listet 23 sexuelle Belästigungen und Übergriffe auf
- Gericht führt keine „Verständigungsgespräche“ mit Verteidigung
Der Vergewaltigungsprozess gegen einen Reitlehrer (64) aus Witten am Landgericht in Bochum geht weiter. Am dritten Verhandlungstag haben die Richter signalisiert, dass nach Würdigung der jüngsten Zeugenaussage einer Studentin aus Bochum ab sofort „möglicherweise eine zweite Vergewaltigung im Raum“ steht. Eine Ex-Reitschülerin aus Witten sprach über ihren Rauswurf vom Hof, anzügliche Sprüche - und mögliche weitere Betroffene.
Auch die 24-Jährige Zeugin war viele Jahre nahezu täglich bei ihrem Pferd auf dem Wittener Reiterhof des Angeklagten. Den Reitlehrer selbst erinnerte sie mehr als Sprücheklopfer, ihr gegenüber habe es keine Übergriffe gegeben. „Ich habe von ihm oft Sprüche zu meinen lackierten Fingernägeln bekommen“, sagte die Zeugin am Mittwoch, 15. Januar, vor der neunten Strafklammer.
„Ich fand, dass er immer sehr nah an ihr dran stand“
Aber auch anzügliche Sprüche durch den nach ihrem Empfinden eindeutig sexualisiert motivierten Einsatz des Wortes „Reiten“ habe sie sich von dem Stallbetreiber immer mal wieder anhören müssen. „Ich bin nie wirklich darauf eingegangen“, sagte die Wittenerin.
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In Zusammenhang mit ihrer gleichaltrigen Freundin, der zuletzt vor Gericht als Zeugin vernommenen Studentin, habe sie von dem Reitlehrer aber weit mehr als nur Sprüche mitbekommen. „Ich fand, dass er immer sehr nah an ihr dran stand“, erinnerte sich die Zeugin. Einmal habe sie im Stall auch beobachtet, wie der heute 64-Jährige bei ihrer Freundin „seine Hand unangemessen platziert hatte“.
Zeugin will weitere verfängliche Situationen bemerkt haben
Auch von zwei anderen Mädchen aus dem Wittener Reitstall habe sie verfängliche beziehungsweise merkwürdige Situationen in Zusammenhang mit dem Reitlehrer mitbekommen. Eine Reitschülerin habe ihr vor Jahren mal „gesagt, dass er ihr an den Hintern gefasst hat“. Die Betroffene habe dann circa 2013 den Wittener Reitstall verlassen.
Bei einem anderen Mädchen, so die Zeugin, habe sie selbst „zwei bis dreimal“ beobachtet, wie der Reitlehrer an deren Spind gegangen sei und dabei möglicherweise in die Handtasche gegriffen habe. Auf ihre Mitteilung habe sich die betroffene Reitschülerin völlig ratlos gegeben.
Zeugin wusste schon seit 2018 von mutmaßlichen Sex-Übergriffen
Details über erlittene, sexuelle Belästigungen durch den Reitlehrer, so wie sie die Anklage jetzt beschreibt, habe ihr die Studentin aus Bochum bereits erstmals im März 2018 anvertraut, hieß es weiter. In einem WhatsApp-Chat. Den Schritt einer Strafanzeige bei der Polizei habe diese damals aber noch nicht gehen wollen.
„Das geht seit dem Sommer“, habe ihr die 24-Jährige damals getextet. Und weiter: Der Reitlehrer befummele und berühre sie regelmäßig in der Sattelkammer oder der Hofküche mit seiner Hand. „Der ist krank“, legte sich die Studentin ihrer Freundin gegenüber im Chat fest. Und enthüllte dann auch: „Es war Erpressung.“
Zeugin schildert Erpressung
Dabei verwies die Studentin auf ihre innere Zerrissenheit, ihre Liebe zu den Pferden und ihre Angst alles zu verlieren, wenn sie den Mund aufmacht. „Ich habe das so verstanden, dass sie die Pferde nur weiterreiten durfte, wenn sie sich von ihm anfassen lassen hat“, sagte die Ex-Reitschülerin aus Witten.
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Als der angeklagte Reitlehrer im vergangenen Jahr mitbekommen habe, dass sie in seinem Fall bei der Polizei als Zeugin ausgesagt hat, habe er sie „aus dem Stall geschmissen“. Von einem Tag auf den anderen habe sie für ihr Pferd einen anderen Stall suchen müssen, was ihr glücklicherweise gelungen sei.
Verteidigerin wollte beim Gericht die Straferwartung ausloten
Die Anklage gegen den Reitlehrer listet insgesamt 23 sexuelle Belästigungen und Übergriffe im Zeitraum von 2017 bis 2024 auf. Die Opfer waren zur Tatzeit 14 und 17 Jahre alt. Ein Übergriff ist juristisch einer Vergewaltigung gleichzustellen. Tatort soll überwiegend der Wittener Reiterhof gewesen sein, vereinzelte Übergriffe sollen auch in einem Auto passiert sein. Die Vorwürfe lauten auf sexuelle Nötigung, Belästigung, Vergewaltigung (Mindeststrafe zwei Jahre) und sexueller Übergriff.
Der Wittener Reitlehrer hat die Vorwürfe beim Prozessauftakt bestritten. Wie jetzt bekannt wurde, wollte seine Verteidigerin im Anschluss an die belastende Aussage des ersten mutmaßlichen Opfers bei den Richtern ausloten, mit welcher Strafe der Reitlehrer im Falle einer Verständigung und eines Geständnisses zu rechnen hat.
Die Antwort des Gerichts fiel knapp aus. „Die Kammer wird keine Verständigungsgespräche führen“, erklärte Richterin Katja Nagel. Stattdessen, so die Vorsitzende Richterin, könnte nach vorläufiger Würdigung abweichend von der Anklage womöglich noch ein weiterer Übergriff als Vergewaltigung bewertet werden. Fest steht: Bei einer Verurteilung wegen zwei Vergewaltigungen ist eine Gefängnisstrafe nahezu zwingend. Der Prozess wird fortgesetzt.
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