Witten. Viele glauben, sie seien Italiener. Beherrschen sie die Sprache doch fließend. Sie kommen aber aus Brasilien. Und was verschlägt sie nach Witten?

  • Denise Cittadin arbeitete sieben Jahre im Wittener Eiscafé „Dolce Vita“
  • Alle Brasilianer in Witten mit italienischen Wurzeln kommen aus dem Bundesstaat Santa Catarina
  • Gleich drei Pärchen im Service bei Simonetti

Denise Cittadin war eine der ersten Brasilianerinnen, die in Witten in einer Eisdiele gejobbt hat. Sieben Jahre kannte man sie als freundliche, unaufdringliche Bedienung im „Dolce Vita“, dem Eiscafé am Berliner Platz. Inzwischen kommt sie meist nur noch privat vorbei. Denn die 37-Jährige erwartet bald ihr erstes Kind. Sie lacht viel, südamerikanische Herzlichkeit eben. Hinterm Tresen bedienen nun Landsleute von ihr das Waffeleisen oder die Espressomaschine. Brasilianer mit italienischen Wurzeln gehören längst zum Stammpersonal in der heimischen Gelato-Szene.

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Diese dem Kunden gegenüber eher schweigsamen Menschen nehmen ja meist nur dienstbeflissen unsere Bestellung auf. Noch dazu sprechen sie super Italienisch. Weshalb selbst der Stammgast beim Spaghetti-Eis allenfalls am Rande vielleicht mal mitgekriegt hat, dass die ein oder andere Servicekraft aus Brasilien stammt. Dass eine regelrechte italienisch-brasilianische „Community“ - noch dazu aus derselben Gegend - den Betrieb in Wittener Eisdielen aufrechterhält, wissen nur die wenigsten.

Brasilianer in Witten haben beide Pässe

Fangen wir mal bei Simonetti an. Richtig italienisch ist hier eigentlich nur noch der Name. Ümit (50), der Chef, ist Türke, sein Geschäftsführer Iwan stammt deutlich hörbar eher aus Osteuropa - und die vier jungen Servicekräfte hinterm Tresen sind: italienische Brasilianer. Hätten sie nicht beide Pässe, dürften sie gar nicht in Deutschland arbeiten. Und es kommt noch besser.

Denise (li.) gehört in ihrem Jahrgang zu den Brasilianerinnen der ersten Stunde, die in Wittener Eiscafés gearbeitet haben. Sie selbst sagt:
Denise (li.) gehört in ihrem Jahrgang zu den Brasilianerinnen der ersten Stunde, die in Wittener Eiscafés gearbeitet haben. Sie selbst sagt: "Ich bin Italienerin." © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

Emily (22) und Jean (23) sind ein Paar, die beiden haben einen dreijährigen Sohn, Giovanna (21) und Anderson (25) sind es ebenfalls. Giovannas Vater ist Italiener, der Opa ihres Lebenspartners ist es auch. Im Falle von Emily ist die Mama Italienerin - ihre Vorfahren sind vor vielen Jahrzehnten nach Brasilien ausgewandert. So wie es viele Deutsche getan haben, die sich zum Beispiel in Blumenau niederließen.

Blumenau liegt im südlichen Bundesstaat Santa Catarina. Aus dieser Gegend stammen die meisten italienischen Brasilianer, wenn nicht alle, die für ein paar Jahre nach Witten kommen, um hier meist in einer Eisdiele zu jobben. Denn Arbeit ist in dem größten Land Südamerikas nicht nur rar, sondern meist auch schlecht bezahlt.

Giovanna musste ihr Biomedizin-Studium in Brasilien abbrechen

Das Geld war denn auch ein Grund, warum Giovanna ihr Biomedizinstudium in Brasilien abgebrochen hat, um nun harte Euros an der Ruhrstraße zu verdienen. Ihre Eltern, ihre Familie leben noch in Brasilien, während der Vater von Emily ebenfalls bei Simonetti eine Anstellung fand. „Ich habe in Brasilien keine Arbeit gehabt“, sagt Emily. „Fünf oder sechs Jahre“ will sie mit ihrem Partner Jean - einem gelernten Metzger - in Deutschland bleiben, um dann zurückzukehren.

Giovanna, die erst seit gut sieben Monaten in Witten ist, möchte ihr Studium eines Tages in Brasilien fortsetzen. „Ich weiß noch nicht, wie lange wir hier bleiben“, sagt sie. Ihr Partner Anderson, der seit etwa anderthalb Jahren da ist, ist von Hause aus Mechaniker. Vielleicht kann er das auch irgendwann noch mit einem Studium verknüpfen, wenn beide ein bisschen gespart haben und nach Südamerika zurückkehren.

Jetzt kehren sie erst einmal dem Wittener Schmuddelwetter den Rücken und fahren während der im November beginnenden Winterpause der Eisdielen nach Hause, in den brasilianischen Sommer hinein. „Ist es kalt?“, fragt der Reporter Giovanna und blickt nach draußen in den Regen. „Oh, yes!“

Von Brasilien nach Witten: Grazilene (v.li.), Guilherme und Daiane arbeiten als Saisonkräfte in der Eisdiele
Von Brasilien nach Witten: Grazilene (v.li.), Guilherme und Daiane arbeiten als Saisonkräfte in der Eisdiele "Dolce Vita". © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

Im „Dolce Vita“ am Berliner Platz hat das Team in dieser Saison einmal fast komplett gewechselt. Der Einzige, der in der Winterpause heim in die Dolomiten reist und ein waschechter Italiener ist, ist der Chef selbst, Ettore Bortoluzzi. Seine Angestellten - alle haben einen italienischen Pass und eine enge Brasilien-Connection. Ettore stammt aus Venetien, weiß aber, dass es in der brasilianischen Heimat seiner Servicekräfte ebenfalls ein „Nova Venetia“ gibt.

„Aber bei uns in Brasilien sind nur ganz wenige Eisdielen“, sagt Denise, die werdende Mutter, deren Schwester schon seit 20 Jahren in Witten lebt und die nun im Marien-Hospital arbeitet. Anders als die anderen jungen Brasilianerinnen und Brasilianer will die 37-Jährige in Deutschland, in Witten bleiben. „Ich bin Italienerin“, sagt Denise. Ihre Mutter sei Brasilianerin, ihr Vater Italiener. Ihr noch ungeborenes Kind wird seine künftigen Großeltern dann wohl in Südamerika besuchen müssen.

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