Witten. Hildegard Doebner gründete vor 50 Jahren den legendären Folkclub. Damit brach in Witten eine neue Ära an. Erinnerungen - auch an eine wilde Zeit.

Sie war „eine kleine, mollige, dunkelhaarige Frau, die Lebensfreude ver­sprühte“, schrieb 2001 der Deutsch-Engländer Ray Austin über seine gute Freundin Hildegard Doebner. Die Wittenerin war ein Jahr zuvor im Alter von 71 Jahren gestorben. In seinem Nachruf „Hildegard fehlt uns“ erzählt der Freibur­ger Blues- und Jazzmusiker, wie er „seine Hilde“ kennenlernte und wie das mu­sikalische Band zwischen den beiden all die Jahre hielt. Folkmusik spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Am 26. September 1974 war der Startschuss für den legendären Wittener Folkclub gefallen, dessen Initiatorin Hilde Doebner war. Das erste Konzert fand in der Pestalozzi-Schule an der Husemannstraße mit wenig be­kannten Musikern statt. Das sollte sich bald ändern: Denn die ehrliche, handgemachte Musik an Sai­teninstrumenten, Flöten, Akkordeons und Löffeln kam bei der Wittener Ju­gend gut an.

Folkclub wurde in Witten zu einer Institution

Folkclub Witten
Treffen des Folkclubs 1977 in der staubigen, noch unausgebauten Werkstadt: Hilde­gard sitzt mit Kopftuch in der ersten Reihe. Es spielt die „Backyard Buskin‘ Band“. © Rüdiger Eggert | Rüdiger Eggert

In Witten begann eine neue Ära der Live-Musik. Zu­nächst in der En­gels­burg an der Röhrchenstraße/Ecke Parkweg und dann jahrelang am Freitag­abend in der Alten Zeit in der Johannisstraße. Später folgte der Wechsel in die neue Werkstadt.

Diese Treffen ohne Verstärker, ohne Bühne und ohne Podium, ganz intim „Aug in Aug“ wurden zu einer Institution. Noch heute schwärmen Senioren ihren Enkeln davon vor. Denn es war auch eine Art Jugendarbeit, die der Folkclub in Witten leistete. Der Eintritt für die gemütlich-schummrigen Treffen kostete eine Mark. Und wer saß immer an der Kasse? Hildegard Doebner.

Wer Hilde kannte, kannte auch ihre verrauchte Stimme, deren Klang irgendwo zwischen Hildegard Knef und Bonnie Tyler lag - weil sie halt gerne rauchte. Doch ohne ihre Freunde und Helfer konnten die Freitagstreffen gar nicht klappen. Dazu gehörten u.a. ihr spä­terer Schwiegersohn Ulli Pütz, Michael Lohrengel und Bernd „Earny“ Dussin.

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Nach einem lan­gen Melodienabend trafen sich die Musiker noch in Hildes Wohnung in der Steinstraße 15. Dussin: „Ich war ständig mit dabei, habe mitgeholfen und Mu­si­ker von Konzerten oder vom Bahnhof abgeholt. Man kam da abends rein und Han­nes Wader saß am Küchentisch.“

Hausbesetzer Witten
Hildegard Doebner unterhielt im besetzten Haus an der Bahnhofstraße 54 den Ökoladen „Holz­wolle“. Dort steht sie 1981 rechts im Eingang, als die Polizei das Haus räumen will. © David Bentivoglio | David Bentivoglio

Diese ebenso legendären Nachtreffen der Musiker beschrieb eine Journalistin 1984 mit folgenden Worten: „Wer einmal unter Hildes Dach weilte, wo er für ein frischgemachtes Bett allerhöchstes fünf Mark und für die abendli­che – gemeinsame – Flasche Bier gar nichts zahlen musste, kehrte gern wieder dort ein.“ Schlafstatt war der mit Matratzen ausgelegte Dachboden. Die Gästeliste war lang: Werner Lämmerhirt, Thomas C. Breuer, Lydie Auvray, Ste­fan Stoppok, Julian Dawson, Bernie’s Autobahn-Band.

Ab 1975 fanden die beliebten und unvergesslichen Folkfestivals dann im Sommer auf dem Hohenstein und auch auf dem Berliner Platz statt. Von Nah und Fern ka­men die „Folkies“ mit langen Haaren und wehenden Röcken in die Ruhrstadt. Als Musikmanagerin fungierte - natürlich - Hildegard Doebner, die übrigens selbst kein Instrument spielte.

„Sie stand auf gegen jede Art von Hass und Gewalt“

Ray Austin über Hilde Doebner

Hildes Freund Ray Austin schrieb weiter in seinem Nachruf: „Sie hatte ein sehr prakti­sches Verständnis von Politik, was sie mit Musikveranstaltungen umzuset­zen versuchte. Der Einsatz für die Menschenwürde stand bei ihr im Mittelpunkt. Sie stand auf gegen jede Art von Hass und Gewalt. Das war der Mittelpunkt in Hil­degards Leben und Seele.“

Nun ist auch der Mentor des Wittener Folkclubs am 11. März dieses Jahres im Alter von 81 Jahren verstorben. Austins letzte CD heißt übrigens: „A piece of hea­ven“. Dort im Musikhimmel wird er Hilde sicherlich schon getroffen ha­ben.

Wer diese vergan­gene Zeit näher erleben will, kann die historischen Berichte vom Verein „Wit­ten Folk“ auf dessen Homepage nachlesen: wittenfolk.de/geschichte.html

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