Witten. FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp plädiert im Saalbau Witten für Wirtschaftswachstum und bessere Schulen – und teilt kräftig nach links aus.

Maskenpflicht und 3G-Regel bei einer Wahlkampfveranstaltung der FDP? Der Mann am Einlass des Saalbaus in Witten kann es nicht glauben. Für ihn grenzt das an Wahlbetrug der Freien Demokraten. Was er auch lautstark kundtut und sich auf das Grundgesetz beruft. Schlussendlich wird er, „Politiker-Abschaum“ skandierend, vom Sicherheitspersonal vor die Tür gebracht. Was er nicht weiß: Die Stadt setzt die Zugangsregeln für den Saalbau fest, nicht der Veranstalter FDP.

Die Freien Demokraten hatten am Donnerstagabend zum Bürgerdialog geladen. Offen für alle Fragen wollte man sein, setzt deshalb auf ein sogenanntes Townhall-Format: Der stellvertretende Ministerpräsident von NRW steht in der Mitte des Geschehens auf einem Teppich in FDP-Pink. Die Stühle der Besucher sind drumherum aufgestellt. Und der 51-Jährige ist voll im Wahlkampfmodus.

Joachim Stamp, Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2022 in NRW, stellte sich im Saalbau in Witten den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.
Joachim Stamp, Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2022 in NRW, stellte sich im Saalbau in Witten den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Bei der anstehenden Landtagswahl gehe es „um einen Richtungsentscheid“, beschwört der liberale Spitzenkandidat. Denn nur mit der FDP werde es „eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik“ geben. Oder eben eine „Anti-Wachstums-Strategie wie einige Grüne sie wollen“. Ohnehin teilt Stamp an diesem Abend gerne gegen die Partei aus, mit der die FDP im Bund unlängst erst eine Koalition eingegangen ist – und ganz allgemein gegen ein nicht näher definiertes „Links“.

FDP will sich für individuelle Förderung einsetzen

So werde die Wahl auch in der Bildungspolitik richtungsweisend sein. „Gibt es einen Rückfall in die linke ideologische Gesinnungspolitik – oder eine individuelle Förderung jedes Einzelnen?“, fragt der Landesminister in die Runde. Und erinnert an „Schreiben nach Gehör“, ein umstrittenes Konzept, mit dem Grundschüler das Schreiben lernen sollten. Für den Politiker „ein irres linkes Projekt“. Mit dem Schuljahr 2019/20 wurde es in NRW unter Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) abgeschafft.

Dafür soll das Modell der Talentschulen ausgebaut werden. Bislang gibt es 60 dieser besonders geförderten Schulen, meist in sozialen Brennpunkten. In der kommenden Legislaturperiode möchten die Freien Demokraten diese Zahl auf 1000 erhöhen. Zusätzlich sollen Talent-Scouts – wenn möglich an jeder Schule NRWs – die individuellen Neigungen der Schülerinnen und Schülern entdecken und fördern. „Nicht wie die Grünen es wollen: Alle auf die gleiche Schule und alle machen Abi. Nein, jedes Kind hat seine eigenen Talente“, so Stamp.

FDP als Hüterin der Grundrechte

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Natürlich fehlt an diesem Abend auch nicht das Lieblingsthema der Liberalen – die Freiheit. Nach einem verbalen Schulterklopfen dafür, dass man die Pandemie-Maßnahmen beendet habe, versichert Stamp seinen Zuhörern: „Wir beschränken keine Grundrechte auf Vorrat.“ Andere – genauer gesagt „die Linken“ – wollten das aber ausweiten. „Das fängt folkloristisch an mit einem autofreien Sonntag“, warnt Stamp sein ohnehin sehr geneigtes Publikum. Und gehe dann weiter. So sieht er schon potenzielle Grundrechtseinschränkungen auf dem Weg zu weniger CO2-Ausstoß drohen. „Da müssen wir als Partei draufschauen.“

2017 holte FDP 10,96 Prozent der Stimmen

Bei der Landtagswahl 2017 erhielt die FDP in Witten 10,96 Prozent der Zweitstimmen. Der damalige Direktkandidat für den Wahlkreis Ennepe-Ruhr II (Witten und Herdecke), Frank Steffen Fröhlich, konnte in der Ruhrstadt 4224 Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen (8,94 Prozent). Die FDP setzt in ihrem Wahlprogramm schwerpunktmäßig auf die Themen Bildung, Digitalisierung und Wirtschaft. So soll etwa jeder Schüler ein Tablet oder Laptop erhalten. Auch soll durch Bürokratieabbau NRW zum Gründerland Nummer 1 werden.Auch der FDP-Direktkandidat für Witten, Enric Tange, stellte sich beim Bürgerdialog kurz vor. „Wer mich wählt, bekommt den Sport“, sagt der 22-Jährige. So wolle er sich etwa besonders für die Sanierung der maroden Turnhallen der Stadt einsetzen.

Apropos CO2: Angesichts des andauernden Ukraine-Krieges müsse die Bundesregierung nun „technologieoffen“ überprüfen, wie man möglichst schnell von russischer Energie unabhängig werden könne. Dazu gehöre auch die Atomkraft. Der Ausstieg aus derselben sei ohnehin eine „überstürzte Aktion“ gewesen.

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Viele Fragen kommen an diesem Abend aus dem Publikum, manch einer der Fragenden wirkt dabei aber eher wie ein freundlicher Stichwortgeber. Die einzige kritische Frage gab es gegen Ende der Veranstaltung: Wann sich die FDP endlich dazu durchringe, einem Tempolimit auf Autobahnen zuzustimmen, das sich die Mehrheit der Deutschen doch wünsche, will ein älterer Herr aus dem Publikum wissen. Für Stamp ist diese Forderung aber eine „überzogene Symboldebatte“. Lieber solle CO2 durch „neue Technologien“ eingespart werden. „Da müssen wir vorankommen.“