Deutschland diskutiert aus Sorge vor einer Gaskrise neu über Atom- und Kohleausstieg. Doch Kernkraft ist keine Lösung für den nächsten Winter.

„Lieber kalt duschen als mit Putins Gas heizen“ skandierten einige Friedensdemonstranten am Wochenende. Ein erschreckend realistisches Szenario. Putins Krieg gegen die Ukraine und seine Drohungen gegen die Nato-Staaten zwingen Deutschland, seine Energiewende neu zu denken. Sich unabhängiger von russischem Gas machen zu wollen, war eine seit Jahrzehnten nie ernsthaft verfolgte Absichtserklärung – bis zum Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Jetzt muss Deutschland umso schneller reagieren, damit wir es im kommenden Winter auch dann noch warm haben, wenn Russland womöglich gar kein Gas mehr liefert. Ein Verschieben des Atomausstiegs wird dabei kaum helfen.

Die Bundesregierung weiß um ihren Auftrag und geht ihn entschlossen an: Sie plant eine staatliche Gasreserve, sucht nach alternativen Quellen und will zwei Flüssiggas-Terminals bauen. Das ist genau das, was kurzfristig getan werden kann und muss, um nicht in eine akute Versorgungskrise zu laufen. Mittelfristig reicht das aber nicht. Die Ampel muss ihren Plan, viele neue Gaskraftwerke bauen zu lassen als Ersatz für Kohle und Atomenergie, in Einklang bringen mit der neuen geopolitischen Lage, sprich dem Risiko, dass der weltgrößte Gaslieferant möglicherweise jahrelang ausfällt.

Atomenergie-Anhänger wittern ihre Chance

Wenig überraschend weckt das sofort den Ruf nach einer Verschiebung des Atomausstiegs. Zum Jahresende sollen die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, wer das schon immer für falsch gehalten hat, sieht jetzt seine Chance gekommen. Dabei spielt Atomenergie in Deutschland anders als etwa in Frankreich als Wärmequelle so gut wie keine Rolle. Weniger als fünf Prozent der Wohnungen werden mit Strom beheizt, der wiederum nur zu einem Achtel aus Atomkraft gewonnen wird. Akw können in einer Gaskrise allenfalls indirekt zur Versorgungssicherheit beitragen, indem sie Gaskraftwerke ersetzen und das so gesparte Erdgas als Heizenergie verfügbar machen. Da aber jedes neue Gaskraftwerk gleichzeitig Wärme produziert, wäre auch dieser Effekt minimal.

Das einzig schlüssige Argument für den Weiterbetrieb der Akw ist, dass sie helfen könnten, die deutschen Klimaziele zu erreichen. Denn zu den Folgen des Ukraine-Konflikts gehört, dass hierzulande wieder deutlich mehr Kohle verfeuert wird, vor allem die besonders klimaschädliche Braunkohle. Das lag 2021 und zu Beginn dieses Jahres zwar vor allem am wind- und sonnenarmen Wetter, das den Ökostrom bremste. Doch der absurd hohe Gaspreis lässt die Stromerzeuger auch aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend auf Kohle statt Gas setzen. Das könnte sich bei einer Zuspitzung des Krieges noch verschärfen.

Der Kohleausstieg verschiebt sich damit im Zweifel von ganz allein, das muss niemand fordern. Fällt Gas als Brückentechnologie in den kommenden Jahren zumindest teilweise aus, braucht es mehr Kohlestrom. Die Bundesnetzagentur lässt schon heute kein Kohlekraftwerk vom Netz, wenn es noch gebraucht wird. Hier könnte Atomstrom helfen, das Kohle-Comeback zu bremsen und die Klimabilanz zu verbessern. Zumindest bis wieder bezahlbares Erdgas oder als Alternative genügend grüner Wasserstoff verfügbar ist.

Die nukleare Restgefahr wird durch den Krieg größer

Es sieht aber nicht danach aus, dass die Regierung dafür die latente nukleare Restgefahr noch länger in Kauf nehmen will. Gut so. Langfristig allemal wichtiger wäre ein schnellerer Ausbau Erneuerbarer Energien und ein schnellerer Aufbau der Wasserstoffwirtschaft.

Davon unabhängig muss auch die Frage erlaubt sein, ob es wirklich klug wäre, an einer Renaissance der Atomkraft mitzutun, während Russland in Europa Krieg führt und dem Westen mit seinen Nuklearwaffen droht. Auch jeder Reaktor ist eine potenzielle Gefahrenquelle, und nicht wenige Menschen hierzulande dürften froh sein, wenn die Kernkraftwerke ein für alle Mal runterfahren.