Witten. Der Lockdown verschärft die Konflikte in Familien. Dann hilft ein Anruf beim Kinderschutzbund Witten. Eine Beraterin über die Krise in der Krise.
Die Wände sind bunt bemalt und Mobiles baumeln von der Decke. Doch der Raum im Gebäude des Kinderschutzbundes in Witten liegt verlassen da. Die Stühle sind übereinandergestapelt. Dort, wo die jungen Besucher sonst spielen oder Hausaufgaben erledigen, ist es im Lockdown ungewohnt ruhig. „Wir hoffen, nach Ostern wieder öffnen zu können“, sagt Serap Bachmann. Die 55-Jährige arbeitet hier seit 25 Jahren als Familienberaterin – und hat in der Pandemie mehr denn je zu tun.
Die Gespräche, die sie führt, finden zwar in der Regel nicht mehr persönlich statt, sondern am Telefon. Doch das klingelt ständig. Neun bis zehn Stunden pro Woche hat sie sonst beraten. „Der Bedarf ist durch die Krise stark gestiegen“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin, die auch Traumaberaterin ist. Am Telefon falle es vielen zudem leichter, von ihren Problemen zu erzählen. „Die Hemmschwelle ist niedriger.“ Bachmann dagegen, die inzwischen sogar ein Diensthandy bekommen hat, musste sich erst umstellen. Ihr fehlte ein Gegenüber. Doch sie hat gelernt: „Auch übers Telefon kann eine Beziehung entstehen.“
Familien in Witten fühlen sich in der Isolation überfordert
Vielschichtig seien die Anliegen. Das Konfliktpotenzial wachse im Lockdown zusehends. „Alle Emotionen und Gefühle verstärken sich“, weiß Serap Bachmann. Frauen fühlen sich noch einsamer, weil der Partner zwar zuhause im Homeoffice ist, sich aber trotzdem nicht um die Kinder kümmern kann. Diese wundern sich, warum der Papa keine Zeit hat, werden quengelig. Die Folge: Streit zwischen Kindern und Eltern, Auseinandersetzungen zwischen den Partnern.
„Viele fühlen sich in der Isolation überfordert“, weiß die Sozialpädagogin. Zwei Fälle hatte sie schon, da haben die Anrufer Selbstmordabsichten geäußert. Bachmann verweist sie dann an die richtigen Ansprechpartner, schaltet im Ernstfall aber auch sofort die Polizei ein. „Ich kann nicht alles alleine machen.“ Doch Witten verfüge über ein großes Netzwerk, das passende Hilfe biete, wenn Gespräche allein nicht mehr reichen.
Die Zahl der Trennungen, sie steige mit dem Andauern der Coronakrise. Vor allem Paare, die gerade erst Eltern geworden sind, seien oft überfordert. „Sie können sich nicht mit anderen austauschen.“ Denn Krabbelgruppe oder Babymassage finden ja nicht statt. Existenzängste bringen das Fass zum Überlaufen. Die Familienberaterin telefoniert dann auf Wunsch auch mit Mutter und Vater. In besonders kritischen Fällen hat sie mit den Betroffenen auch schon Gespräche bei langen Spaziergängen an der Ruhr geführt – auf Abstand natürlich.
Familienberaterin: Kinder sind jetzt zu viel mit Erwachsenen zusammen
Rausgehen – das helfe auch, den Koller in den vier Wänden zu vermeiden. Damit durch fehlende Strukturen der Alltag nicht im Chaos ende, rät Bachmann, den Tag wie zu Schulzeiten zu organisieren. Ein weiteres Problem: „Kinder sind jetzt auch zu viel mit Erwachsenen zusammen.“ Eltern sorgen sich schon, ob ihr Kind sich überhaupt in die neue Kita eingewöhnen könne, weiß die Familienberaterin.
Was ihr noch auffällt: Bereits getrennte Paare tun sich schwer mit den Besuchskontakten, aus Sorge um das Kind – weil sie nicht wissen, wie viele Kontakte der jeweils andere pflegt. Die Expertin rät dann dazu, dem Ex-Partner zu vertrauen oder vielleicht von einem Schnelltest zu überzeugen.
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Gestiegen sei natürlich auch der Medienkonsum. „Schon Einjährige schauen Serien an“, hat Bachmann mit Schrecken feststellen müssen. Einen Grundschüler kennt sie, der Computerspiele ab 18 macht, bis zu neun Stunden am Tag. Sie konnte die Mutter schließlich davon überzeugen, dass das Kind zur Therapie muss.
Dann sind da noch die meist ausländischen Jugendlichen, die jetzt Probleme beim Homeschooling haben. Weil sie vieles nicht verstehen. Oder weil schlicht die Technik fehlt. Neulich erst hat der Kinderschutzbund deshalb 15 gespendete PCs an Familien weitergeleitet. Oder Nachhilfe per Zoom vermittelt. Zehn der 20 Ehrenamtler, die sich sonst vor Ort um die Hausaufgabenbetreuung kümmern, sind jetzt online tätig. Viel lieber aber wären sie in dem Raum im Kinderschutzbund. Damit es dort nicht mehr so still ist.