Witten. Das Hochwasser 2021 werden die Anwohner der Straße „In der Lake“ in Witten so schnell nicht vergessen. Und sie haben Sorge vor der nächsten Flut.
Es sind diese Augenblicke, die man nicht so schnell vergisst. „Ich bin um halb vier am Morgen wach geworden, habe aus dem Fenster gesehen und gedacht: Das kann doch nicht wahr sein“, erinnert sich Gabriele Voss. „Die Wiese glänzte so komisch.“ Kein Wunder: Die Wiese vor ihrem Haus in der Lake stand komplett unter Wasser. „Ein Hochwasser solchen Ausmaßes gab es, glaube ich, zuletzt bei der Sprengung der Möhnetalsperre 1943.“
Das Wasser kam nicht überraschend, doch es kam schnell. Am späten Abend war die kleine Straße an der Ruhr noch trocken gewesen. Da ahnte Gabriele Voss aber schon, dass das nicht so bleiben würde. „Denn wenn Hagen schon landunter meldet, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis die Flut nach Witten kommt.“ Die Filmemacherin hatte ihr Auto daher auf einem höher gelegenen Punkt in Sicherheit gebracht – es war schließlich eines der wenigen in der Straße, das nicht abgesoffen ist.
Wittener wurden mit Booten gerettet
Gabriele Voss lebt seit 40 Jahren am Fluss, kennt sich aus mit dem Hochwasser. „Doch dass es diesmal so sehr steigen würde, das hatte ich nicht erwartet. Da hab ich erst mal ein bisschen Panik bekommen.“ Trotzdem reagierte sie besonnen. Legte Sandsäcke vor die Tür, kochte gleich eine Kanne heißen Tee, lud ihr Handy auf. „Denn mir war klar, dass wir bald keinen Strom mehr haben würden.“ Das Haus zu verlassen, kam nicht in Frage. „Die Strömung war reißend, die hätte mir glatt die Beine weggerissen.“
Erst mit Hilfe von Feuerwehr und DLRG konnten die Hevener vor der tosenden Ruhr gerettet werden. Mit Schlauchbooten wurden etwa 50 Anwohner in einem mehrstündigen Einsatz in Sicherheit gebracht. Auch Irina Heckmann musste mit Mann und Baby ins Boot klettern. „Wir sind dann zu einem Flüchtlingsheim gebracht worden. Es war schlimm dort, nicht auszuhalten“, erinnert sich die 41-Jährige. Eine Nachbarin vermittelte der kleinen Familie eine Übernachtungsmöglichkeit bei ihren Verwandten. Nach einer Nacht konnte sie dann wieder nach Hause.
Vieles im Keller ist durchs Wasser zerstört worden
Der Schrecken, der das Ehepaar dort erwartete, war größer als der Anblick des Wassers, das am Morgen im Hof „wie ein Spiegel“ geglänzt hatte. Immer noch kein Strom, die Keller nass und voll von giftigem Schlamm, der Schaden groß. „Wir waren gerade im Umzug in eine höhere Etage, hatten für die Renovierung einige gute Möbel in den Keller gestellt“, erzählt die Wittenerin. Doch die Sessel und Schränke waren ebenso abgesoffen wie die Gartengeräte und die Kisten mit Technik und Fotoausrüstung. „Es war vieles hinüber“, sagt Irina Heckmann.
Freiwillige hätten geholfen, die Sachen rauszuräumen, den Keller leer zu pumpen. Von offiziellen Stellen fühlte Irina Heckmann sich damals allein gelassen. Viele Mails hätten geschrieben werden müssen, bis endlich Container für die Müllberge gekommen seien. „Und warum sind wir nicht gewarnt worden?“ Das hat auch Anwohnerin Gabriele Voss gewundert. „Früher sind Autos bei Hochwasser-Gefahr mit Megafon-Durchsagen durch die Straße gefahren.“ Eine ebenso sichere wie einfache Maßnahme, die man rasch wieder einführen sollte, meint die Hevenerin.
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Denn Gabriele Voss und Irina Heckmann fürchten, dass sich die Katastrophe bei der nächsten Flut wiederholen könnte. Zwar sei das alte Ruhrbett saubergemacht worden. Doch schon jetzt seien viele Bereiche am Fluss bereits so zugewuchert, dass Hochwasser dort nicht abfließen könne. Zwischen Golfplatz und Ruhrbrücke stünden die Herkulesstauden „wie ein Wald“. Äste und Unrat würden sich in den Flussauen wie ein dicht gewebter Teppich sammeln, so Voss. „Und wenn das Wasser kommt“, sagt Irina Heckmann, „dann kommt es wieder in unsere Häuser.“