Witten. Die Inzidenzwerte in Witten und im Kreis steigen seit Wochen rasant an. Wie besorgniserregend ist das? Experten wagen eine Einschätzung.
Die Inzidenzen schießen in die Höhe. Innerhalb eines Monats stieg der Wert in Witten von 10,2 auf aktuell 95,8 und im Ennepe-Ruhr-Kreis von 7,4 auf 86,4. „Man kann sich leicht ausrechnen, wann die 100 wieder überschritten wird“, sagt Markus Knittel von der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft (ÄQW). In NRW ist dies mit 103,3 bereits der Fall. Diese Entwicklung sieht der Mediziner mit Sorge – und da ist er nicht der Einzige. Dennoch sei die Lage aufgrund der Impfrate längst nicht so schlimm wie vor einem Jahr, beruhigen Experten.
„Unsere Infektionsabteilung, in der Coronaverdächtige untersucht werden, explodiert gerade“, so Ärztesprecher Dr. Arne Meinshausen, der im Herbeder Rathaus der Medizin praktiziert. Der Anteil der bereits Geimpften darunter sei jedoch verschwindend gering. In Sorge sei er nicht: „Das war vorherzusehen.“ Urlaubsrückkehrer und der Schulbeginn lassen grüßen.
Unter 118 infizierten Wittenern sind acht Reiserückkehrer
Doch diese Auswirkungen würden sich so richtig erst nach zehn bis 14 Tagen zeigen, erklärt Michael Schäfer, Leiter des Krisenstabs im EN-Kreis. Bisher seien unter den aktuell 118 infizierten Wittenern nur acht Reiserückkehrer. Die Inzidenzwerte werden also in den kommenden Tagen noch rasanter steigen. Er sieht auch den Beginn der Bundesliga trotz der drei Gs (Geimpft, Genesen, Getestet) mit Tausenden Zuschauern im Stadion kritisch, die ja außerdem noch hin- und zurückfahren müssen – viele mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Was Schäfer ebenfalls nicht nachvollziehen kann: „Dass die Rückverfolgbarkeit in der neuen Corona-Schutzverordnung gestrichen wurde. „Wir haben bei der entsprechenden Videokonferenz mit dem Land ausdrücklich nachgefragt, ob das wirklich der Wille ist.“ Der Chef des Krisenstabs hält dies für einen „gewagten Schritt“ und zusammen mit den steigenden Werten für eine „ungute Kombination“. Die Städte ringsherum – Bochum, Wuppertal, Hagen – hätten die 100 schon überschritten.
Fünf Corona-Patienten liegen in Wittener Kliniken
Froh ist Schäfer, dass die Lage in den Krankenhäusern entspannt ist. Fünf Corona-Patienten werden kreisweit in Kliniken behandelt, alle in Witten. Drei befinden sich im Ev. Krankenhaus. Dazu EvK-Verwaltungsdirektorin Ingeborg Drossel: „Uns war stets klar, dass im Zuge der vierten Welle wieder Corona-Patienten zu uns ins Haus kommen werden. Aber wir haben in den vergangenen Monaten auf der Basis umfangreicher Erfahrungen gut funktionierende Konzepte entwickelt.“ Deshalb könne man der weiteren Entwicklung mit viel Routine entgegentreten.
Nachfrage im Impfzentrum steigt
Die 3G-Regeln zeigen Wirkung: Die Nachfrage im EN-Impfzentrum nach einem schützenden Piks hat in den vergangenen Tagen wieder zugenommen – deshalb hat der Kreis die Öffnungszeiten erweitert: auf 8 bis 20 Uhr. Trotzdem muss es zum 30. September schließen.Bis dahin kann jeder Impfwillige vorbeikommen, auch ohne festen Termin. Drittimpfungen werden allerdings ausschließlich von Hausärzten vorgenommen.
Gleiches gilt für das Marien-Hospital. Dort werden derzeit zwei Patienten auf der Intensivstation behandelt, die positiv auf Covid-19 getestet wurden. „Derzeit haben wir ausreichend Kapazitäten, um alle Patienten zu behandeln. Wir hoffen, dass durch die zunehmende Anzahl geimpfter Personen auch die Zahl der Covid-19-Patienten in Kliniken niedrig bleibt“, so Theo Freitag, Geschäftsführer der St. Elisabeth-Gruppe.
Wittener Mediziner rät zu Drittimpfungen ab 40 Jahre
Die entscheidende Frage für Arne Meinshausen lautet nun: „Wie viele Kinder und Jugendliche kriegen wir vor der vierten Welle geimpft?“ Für diese Altersgruppe bedeute die Impfung einen besonders hohen Schutz, denn bislang seien bei ihnen wenig Durchbruchinfektionen bekannt. Ob der Impfbus nun zu den Schulen tourt oder die Jüngeren in den Kinderarztpraxen geimpft werden: „Das ist egal“, sagt Kollege Knittel. „Hauptsache, sie werden geimpft.“
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Drittimpfungen nach einem halben Jahr hält er bei Bewohnern von Pflegeheimen und Höchstbetagten für sinnvoll. „Ich glaube nicht, dass Gesunde dann schon eine Auffrischung brauchen. Da würde ich auf das Immunsystem vertrauen.“ Arne Meinshausen hält eine Drittimpfung bei über 40-Jährigen für sinnvoll und verweist darauf, dass etwa auch bei Tetanus oder anderen Impfungen Auffrischungen regelmäßig nötig sind. „So ist unser Abwehrsystem programmiert.“