Witten. Normalerweise würden Schausteller nun der Himmelfahrtskirmes in Witten entgegenfiebern. Und was tun sie jetzt? Wir trafen zwei junge alte Hasen.

Die Pandemie hat nur wenige Branchen so schwer getroffen wie die Schausteller. Eigentlich würden sie in Witten jetzt auf ihren ersten Jahreshöhepunkt zusteuern, die Himmelfahrtskirmes. Und stattdessen? Tote Hose, na ja, von ein paar Buden mal abgesehen. Vielleicht ein Neuanfang? Zwei junge Schausteller, Thomas Grass (33, Familie Bonner) und Max Nowag, 30, sprechen über lange Monate ohne Rummel und kleine Lichtblicke am Horizont.

Was macht Ihr an Christi Himmelfahrt, wenn eigentlich die Kirmes starten würde?

Thomas Grass: Ich nutze die ungewohnte Freizeit für eine Motorradtour mit Freunden.

Max Nowag: Ich bereite unsere Bude vor, die wir ab Freitag ja trotzdem in der Stadt aufbauen dürfen, wie einige andere auch. Das ist fast der gleiche Aufwand wie auf der Kirmes, mit Ware einräumen, Dokumentation, Büroarbeit...

Und wenn jetzt Kirmes wäre?

Max Nowag: Dann liefen die letzten Aufbauarbeiten, die eigentlich am Dienstag schon beginnen. Man richtet alles her, damit es piekobello ist, wenn die Kirmes eröffnet wird.

Thomas Grass: Max hätte an der Mandelhütte oder am Kinderkarussell gestanden, ich an der Breakdance-Kasse.

Ich dachte, Du machst die Musik auf dem Breakdance, Thomas.

Thomas Grass: Mache ich auch. Ich bin der Steuermann, fürs Karussell, die modernsten Hits und die zweite Kasse im oberen Bereich. Unten, im Hauptlauf, ist die Chipkasse.

Wann habt Ihr das letzte Mal auf einer richtigen Kirmes gestanden?

Thomas Grass: Ich im Oktober 2019 mit dem Breakdance auf dem Sim-Jü in Werne.

Max Nowag: Ich auf der Karnevalskirmes 2020 in Dortmund, kurz vor dem ersten Lockdown.

Momentan kann man sich die Himmelfahrtskirmes in Witten nur im Schaufenster im leerstehenden Kaufhofgebäude ansehen.
Momentan kann man sich die Himmelfahrtskirmes in Witten nur im Schaufenster im leerstehenden Kaufhofgebäude ansehen. © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Wie sehr fehlt Euch die Kirmes?

Thomas Grass: Damit ist der größte Baustein meines Lebens weggebrochen. Die Kirmes ist nicht einfach nur ein Arbeitsplatz, sondern unser Leben.

Max Nowag: Familie, Freunde, das Publikum – die ganze DNA ist weg, die uns ausmacht.

Anderthalb Jahre ohne Arbeit und Verdienst. Wie hält man das durch?

Max Nowag: Ich lenke mich mit Reparaturen ab. Eigentlich ist ja kein Geld da und man lebt von den Reserven. Im letzten Sommer hatte ich das Glück, für drei Monate mit dem Kinderkarussell in Kellenhusen an der Ostsee stehen zu dürfen. Davon konnte ich meine Familie ernähren.

Thomas Grass: Für das große Breakdance-Karussell findet man ja nicht einfach mal eben einen Standplatz. Ich bin froh, dass wir an temporären Pop-up-Veranstaltungen wie der „Fundomino“ in Dortmund teilnehmen konnten, wenngleich auch das finanziell nicht der große Erfolg war. Ansonsten hat man viel Freizeit und ist mit Wartungsarbeiten beschäftigt. Und versucht, nicht viel Geld auszugeben.

Apropos Geld. Was habt Ihr an Überbrückungshilfen bekommen?

Thomas Grass: Die Überbrückungshilfen decken ja nur Fixkosten wie Miete ab. Zum Leben bleibt da nicht viel übrig. Wir hatten große, große Verluste. Wenn wir im letzten Jahrzehnt nicht so gut gewirtschaftet hätten, hätte es ganz düster ausgesehen. Und wenn nicht im November und Dezember Sonderhilfen von 75 Prozent geflossen wären, wären die Lichter schon ausgegangen. Wir haben auch KfW-Kredite in Anspruch genommen, um weiter zu investieren, ob in einen Achsumbau oder einen neuen Kran.

Max Nowag: Die Überbrückungshilfen verhindern, dass man Pleite geht. Aushalten kann man das nur im Familienverband. Wir haben 90 Prozent unserer Umsätze verloren.

Wann muss es spätestens wieder losgehen, um nicht doch noch in gefährliches Fahrwasser zu geraten?

Max Nowag: Jetzt! Denn irgendwann sind die Reserven weg. Dann ist nur noch leer. Und wenn leer ist, fängt das große Sterben an.

Thomas Grass: Wir bekommen keine Antwort, wann wir wieder Kirmes machen können. Wir brauchen endlich eine Öffnungsperspektive. Es geht ja nicht nur um das Wirtschaftliche. Die ganze Situation geht auch extrem auf die Psyche.

Wird es eine Zwiebelkirmes Ende August, Anfang September geben?

Thomas Grass: Das hoffen wir bis zum letzten Tag, gerade jetzt mit den Impfungen. Alternativ planen wir mit temporären Freizeitparks.

Gab es mal den Gedanken, ganz aufzugeben und etwas anderes zu machen?

Max Nowag: Nicht eine Minute. Schausteller haben eine über 1200-jährige Tradition. Sie haben schon einige Krisen gemeistert. Dann überleben wir auch Corona.

Was fehlt Euch am meisten?

Max Nowag: Das Reisen.

Thomas Grass: Unser Alltag. Das Aufbauen, das Abbauen, meine Freunde. Ich vermisse das ganze Kirmesleben.

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