Sprockhövel. Neues Buch von Spiegel-Bestseller-Autor Rolf Schmiel: Der Sprockhöveler Psychologe schreibt über „Toxic Jobs“, also giftige Arbeitsplätze.
Klare Aussage des bekannten Sprockhöveler Psychologen Rolf Schmiel: „Wer dem Kopf keine Pause gönnt, muss sich nicht wundern, dass er irre wird.“
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Genau über die Problematik handelt sein neues Buch „Toxic Jobs“, also „Giftige Arbeitsplätze“. Das neue Werk des gebürtigen Hattingers passt perfekt zur gerade gestarteten Woche der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz.
„Jeder Nichtraucher ist in Deutschland besser geschützt als ein Mobbingopfer“, sagt Schmiel. Im Arbeitsschutzgesetz Paragraf 5 - seit 2013 in Kraft - steht, dass der Arbeitgeber eine Gefährungsbeurteilung zu machen hat. Die muss eine Analyse enthalten und die daraus resultierenden Ergebnisse. „Viele Unternehmen kennen den Paragrafen gar nicht. Und wenn sie ihn kennen, verschwinden die Ergebnisse in der Schublade.“
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Es gibt mehrere Faktoren, die dafür sorgen, dass 15 Millionen Deutsche, das sind 30 Prozent aller Berufstätigen unter Stress leiden, weil sie von der „Arbeit aufgefressen“ werden. „Mittlerweile brennt die Kerze an beiden Seiten.“ Daran sei einerseits der Fachkräftemangel schuld, andererseits die Arbeitsverdichtung durch die Digitalisierung. Schmiel gibt ein Beispiel: Wenn man in der Pflege arbeitet und zehn Mitarbeiter für das Arbeitsfeld vorgesehen sind, man aber nur acht Fachkräfte bekommt und davon zwei krank sind, dann müssen sechs Personen für zehn arbeiten. „Klar, dass das krank macht.“
Kritik an den Arbeitgebern
Er spart auch nicht mit Kritik an manchen Arbeitgebern. Man nehme die Tesla-Gigafactory in Berlin-Brandenburg. „Wenn 15 bis 17 Prozent der Mitarbeiter lange Zeit krank sind und dann noch Hausbesuche von Chefs bekommen, dann muss man sich doch als Arbeitgeber fragen, was falsch läuft. Eigentümer Elon Musk hat ein Vermögen von 270 Milliarden Dollar, wenn er 50 Millionen für das Wohl der Mitarbeiter zur Verfügung stellen würde, das würde er finanziell gar nicht merken“, sagt Rolf Schmiel.
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Eine renommierte Londoner Unternehmensberatung habe belegt, dass sich jeder Euro, den Arbeitgeber für die seelische Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren, mit dem Fünffachen auszahlt. Weil es eben sehr teuer ist, nach neuen Arbeitnehmern zu suchen oder die Krankheitszeiten zu bezahlen.
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Spätestens, wenn Menschen Depressionen oder Angststörungen entwickeln, könne man davon ausgehen, dass das Arbeitsumfeld krank macht. „Wir haben verlernt, in der Freizeit zu regenerieren und Momente der Stille zu genießen. Das haben Arbeitnehmer früher in den Pausen gemacht. Heute geht Abschalten nicht mehr, irgendetwas läuft immer“, erklärt der Psychologe die krankmachenden Faktoren und warnt: „Wenn heute jemand sagt, er habe am Tag keine halbe Stunde mehr Zeit für sich selbst, dann ist er schon ganz nah an einer Depression.“
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Und dann kommt noch eine wichtige Komponente hinzu. In Deutschland gebe es 40.000 Psychotherapeuten, die Patienten sofort behandeln könnten. Das wird aber von der Krankenkasse nicht bezahlt, weil die Fachleute keinen Kassensitz haben. „Die Krankenkassen behaupten aber, dass jeder sofort einen Behandlungstermin bekommt. Das ist auch richtig. Aber er bekommt nur einen Ersttermin.“
KI als Behandlungsalternative
Die Möglichkeit, durch schlechte Arbeitsbedingungen krank zu werden, sei zurzeit dramatisch. Das hat Psychologe Rolf Schmiel belegt. Aber es gibt auch Hoffnung, sagt er. Er geht davon aus, dass sich die Situation in drei bis fünf Jahren verändern wird. „Denn dann wird der Schmerz zu teuer.“ Die Auswirkungen von miserablen Arbeitsverhältnissen könnten Arbeitgeber nicht mehr bezahlen.
„Natürlich kann man auch für sich selbst einiges tun. Durch Yoga oder Meditation kann man die Seele stabilisieren“, sagt Schmiel. Während der Vor-Ort-Kontakt mit dem Haus- oder Facharzt bei Depressionen noch die Regel ist, würden Apps mit Künstlicher Intelligenz (KI) als mögliche Behandlungsalternative immer besser. „KI ist immer und jederzeit für einen da. Die empathische Kompetenz nimmt jeden Tag zu und ist oft größer als die von manchem Chefarzt.“
Schmiel weist auf folgende Apps, die sogenannte digitale Gesundheitsanwendung (DIGA) hin, die häufig auch auf Rezept verschrieben werden können: Deprexis, Selfapy, Elona, My7steps, Edupression. Für Selbstzahler kosten sie einige hundert Euro. Ein Erstkontakt mit einem Experten ist für die Freischaltung nötig.
Danach muss er in der Regel oft monatelang auf eine Behandlung warten. Und das sogar, wenn sich jemand in einer psychischen Ausnahmesituation befindet. „Der eigentliche Skandal ist, dass die Psychotherapeuten, die einen Kassensitz haben, selbst darüber entscheiden, wer einen solchen begehten Sitz bekommt. Die verkaufen aber lieber ihren Kassensitz für einen sechsstelligen Betrag, wenn sie aufhören.“ So werde auf den Seelen der Hilfebedürftigen herumgetrampelt, analysiert Rolf Schmiel.
>>> Info: „Toxic Jobs: Warum die Arbeit so viele in den Wahnsinn treibt und wie wir das ändern können“ heißt das neue Buch des Sprockhöveler Psychologen Rolf Schmiel, ZS Verlag, 240 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3965844681