Oberhausen. Die Überblicksschau zu „40 Jahren deutscher Humorgeschichte“ zeigt großen Batzen vom Vorlass des Zamonien- und Blaubär-Erfinders Walter Moers.

Als begeisterte Theatergängerin wird Christine Vogt auch diesen kleinen Affront locker wegstecken. Beginnt doch ausgerechnet die erste Szene von Ralf Rothmanns „Milch und Kohle“ mit einer wortmächtigen Schmähung dieser „Metropole der Unkultur“ - und mehr noch des „bonbonfarbenen Schlosses im Kaisergarten, direkt aus Disneyland importiert“. Nun, ein Vergnügungspark soll das künftige „Moerseum“ (so der von Walter Moers‘ Ehefrau Elvira ersonnene Arbeitstitel) ausdrücklich nicht werden. Wie, um diesen wissenschaftlichen Aspekt zu betonen, bestückte die Direktorin der Ludwiggalerie das ausladende Entree des „Bonbon-Schlosses“ nicht mit den buntesten - sondern mit kunstvoll vergilbten und eigens in Salzwasser „verwellten“ Kreationen des Blaubär-Erfinders und zamonischen Chronisten.

„Wir sprechen vom Comic-Museum, aber wir meinen mehr.“

Christine Vogt (56),
Direktorin der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen

Die hier liebevoll mit Mythenmetz‘scher Bildungshuberei drapierte „Flachware“ ist bereits Teil jenes „Vorlasses“ aus Bildern und Texten, die der 67-jährige Zeichner und Romancier der Ludwiggalerie als künstlerischen Grundstock für das als 20-Millionen-Euro-Investition geschätzte „Moerseum“ überlässt. Bis auf die charmant-skurrillen Puppen von Carsten Sommer sei alles in der jetzt eröffneten „Was gibt‘s denn da zu lachen?“-Ausstellung „aus dem privaten Bestand, ausgesucht nach meiner riesigen Anfrageliste“, erklärt die Chefin der Ludwiggalerie. Fehlt nur noch ein leibhaftiger Dagobert Duck, der ein kleines Eckchen seines Geldspeichers ausräumt zugunsten des als „europäisches Zentrum“ groß gedachten Comic-Museums auf der Grundfläche der einstigen „Parkhaus“-Gastronomie im Kaisergarten.

Der Meister der Parodie galoppiert durch die Kunstgeschichte: hier Walter Moers‘ Versionen von Edvard Munch, Georg Baselitz und Keith Haring.
Der Meister der Parodie galoppiert durch die Kunstgeschichte: hier Walter Moers‘ Versionen von Edvard Munch, Georg Baselitz und Keith Haring. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Tatsächlich bemühen sich Christine Vogt und Apostolos Tsalastras als Oberhausens Kämmerer und Kulturdezernent auch um öffentliche Fördermittel - genauso wie das 50 Kilometer entfernte Dortmund. Die größte Revierstadt will den von Alexander Braun liebevoll bespielten „Schauraum Comic + Cartoon“ vis à vis vom Hauptbahnhof auf Museumsformat erweitern. Doch die Direktorin der Ludwiggalerie befürchtet keine Konkurrenz: „Aus meiner Sicht ist das eine andere Ausrichtung.“ Beide Häuser „in spe“ arbeiteten zwar mit dem Begriff „Comic“, so die promovierte Kunsthistorikerin: „Aber wir meinen mehr“ - nämlich eine umfassende Schau zur Kunst der „sequenziellen Bilderzählung“ bis zum Boom der japanischen Animé-Filme.

Wie Nagel-Künstler Günther Uecker auf Speed: Mit dem „Schattenkönig“ schuf Carsten Sommer eine meisterliche Büste.
Wie Nagel-Künstler Günther Uecker auf Speed: Mit dem „Schattenkönig“ schuf Carsten Sommer eine meisterliche Büste. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

In den 20 „Moerseum“-Millionen ist deshalb auch eine modernere technische Ausstattung eingepreist, als das Große Schloss sie derzeit aufbieten könnte. Und so bietet die aktuelle Walter Moers-Leistungsschau zwar einen schönen Vorgeschmack, aber noch kein Abbild künftiger „Moerseums“-Wunder. Schließlich verharrt ja der potenziell kontroverseste Moers-Film ebenfalls in der Warteschleife. Wolfgang Ferchl, der frühere Eichborn-Verleger und seit sechs Jahren Lektor ihm verbundener Autoren wie Thea Dorn, Jenny Erpenbeck - und eben Walter Moers - trat in der Ludwiggalerie wie ein „Alter Ego“ des die Öffentlichkeit scheuenden Erzfabulierers auf. Der 69-Jährige warnte in schönster germanistischer Manier: „Alle Beteiligten sind unzuverlässige Erzähler.“

„Adolf, die alte Nazisau“ als possierliche Puppe von Carsten Sommer, der kongenial Moers‘ Zeichnungen in die dritte Dimension befördert.
„Adolf, die alte Nazisau“ als possierliche Puppe von Carsten Sommer, der kongenial Moers‘ Zeichnungen in die dritte Dimension befördert. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Die Warnung mag für anwesende Mythenmetze gelten. Auf die fast fordernd vorgebrachte Journalistinnenfrage, warum Moers gerade in diesen Zeiten seinen „Adolf, die alte Nazisau“ nicht wieder aufleben lasse, verwies Lektor Ferchl auf ein in der Schublade ruhendes „komplettes Drehbuch für einen 90-minütigen Adolf-Film: Keine deutsche Filmförderung wollte da einsteigen.“ Im Liedermacher und Kabarettisten Thomas Pigor habe Moers sogar eine stimmliche Idealbesetzung für seinen Hitler gefunden. Die Ludwiggalerie zeigt zum Thema einen fiesen Storyboard-Streifen - und großformatig den „Föhrer“ auf seinem faschistischen Klo: ein Bildzitat, frei nach Frank Zappa, das den Gitarristen wohl viel von seinem (ebenfalls derben) Humorverständnis gekostet hätte.

Mit „Make Laugh not War“-Button und T-Shirt: Wolfgang Ferchl, langjähriger Verleger und Lektor von Walter Moers, im Gespräch mit Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie.
Mit „Make Laugh not War“-Button und T-Shirt: Wolfgang Ferchl, langjähriger Verleger und Lektor von Walter Moers, im Gespräch mit Christine Vogt, Direktorin der Ludwiggalerie. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Wer schon 2011/‘12 die erste Retrospektive „Die siebeneinhalb Leben des Walter Moers“ in der Ludwiggalerie genossen hatte, erlebt nun mehr als nur ein Déjà vu: Aber der saalfüllende Galopp durch die Kunstgeschichte mit dem „Kleinen Arschloch“ ist wahrlich jede Reprise wert. Allenfalls ließe sich monieren, dass Moers‘ bedeutende Inspirationsquelle Gustave Doré (1832 bis 1883) mit seinem wuchtigen Dreiklang aus Opulenz, detailverliebter Virtuosität und dem ausgeprägten Faible für Bizarrerien erst im entlegensten Raum unterm Schlossdach sichtbar wird. Dabei markiert gerade die Doré-Hommage der „Wilden Reise durch die Nacht“ von 2001 den Moers‘schen Wandel vom Zeichner zum Groß-Romancier.

Brachialhumor: Mit der Skulptur des Kotzenden „verneigt sich“ Walter Moers vor Monumentalbildhauer Auguste Rodin.
Brachialhumor: Mit der Skulptur des Kotzenden „verneigt sich“ Walter Moers vor Monumentalbildhauer Auguste Rodin. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Von der Germanistenzunft, meint Christine Vogt, sei Moers längst hinreichend gewürdigt: „Was es zur Bilder-Seite gibt, ist von uns“ - zu bestaunen in einem dem Meister der Abschweifungen angemessenen Wucht-Katalog. Mag der Nerd-Alarm beim die Insider-Scherze nur so verspritzenden Moers auch dauerschrillen: Man kann davon gänzlich unbeeindruckt die Humorentwicklung des Mönchengladbachers - von pubertär zu virtuos - in hunderten Bildern abschreiten. Und sich vorfreuen: Denn der im kommenden Jahr folgende Loriot gebietet sogar über eine noch längere Witz-Epoche als die von Wolfgang Ferchl gespriesenen „40 Jahre deutscher Humorgeschichte“.

Moers mit Pracht-Katalog und sattem Begleitprogramm

Die Ausstellung „Was gibt‘s denn da zu lachen? Die komische Kunst des Walter Moers“ bleibt bis zum 19. Januar 2025 im Großen Schloss der Ludwiggalerie, Konrad-Adenauer-Allee 46, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.

Der Pracht-Katalog, 288 Seiten stark, aus dem Kerber-Verlag kostet 34,90 Euro. Zudem bietet der Museumsshop eine große Auswahl aus dem zeichnerischen wie literarischen Moers‘schen Oeuvre. Und es gibt wieder ein sattes Begleitprogramm im Schloss Oberhausen, online vorgestellt auf ludwiggalerie.de