Oberhausen / Essen. Vom Propaganda-Film „Der Herrscher“ bis zu Schlingensief-Schockern schrieb Oberhausen Kino-Geschichte: zu bewundern im Welterbe Zeche Zollverein.

So viel Revier-Kino war wohl noch nie in einer einzigen historischen Ausstellung versammelt wie in „Glückauf - Film ab!“ Zwei Jahre recherchierten Kuratorin und Projektleiterin Dr. Magdalena Drexl und das Team des Ruhr Museums, daheim in der Welterbestätte Zeche Zollverein, um die nahezu überwältigende Zahl von 900 Exponaten zusammenzutragen: Angefangen mit einem Nachbau des ersten „Apparates“ der Brüder Louis und Auguste Lumière aus Lyon, übrigens zugleich Kamera und Projektionsgerät. Bis zu schaurig-schönen Filmplakaten des ewigen „Enfant terrible“ Christoph Schlingensief.

Und der Apothekersohn (1960 bis 2010) ist wahrlich nicht der Einzige aus Oberhausens beachtlicher Filmhistorie, an dem diese große Überblicksschau, die bereits mit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts anhebt, nicht vorbeikommt: Schließlich war die Gutehoffnungshütte beeindruckender Filmschauplatz für Regisseure von Veit Harlan (1937) mit „Der Herrscher“ bis zu Luchino Visconti (1969) mit „Die Verdammten“. Zudem beherbergt Oberhausen seit 1954 die Internationalen Kurzfilmtage und seit rund 90 Jahren einige „Filmpaläste“, von denen die findigen Rechercheure äußerst seltene und hochklassige Innenaufnahmen ausfindig machten.

Selbst die peinliche Subventionsposse um HDO, das mit Pomp und Fanfaren angekündigte Hochtechnologie-Studio in der Kohlenmischanlage von Zeche Osterfeld, präsentiert diese Super-Schau, die bis zum 2. März 2025 in der Kohlenwäsche von Zollverein zu sehen bleibt. Mehr noch: Sie zeigt ein wahrlich verblüffendes Exponat zu diesen rasch verwelkten Hi-Tech-Blütenträumen - ein weiterer Beleg für die Findigkeit des „Glückauf“-Teams.

Der gütige Industriepatriarch und seine intriganten Kinder: Emil Jannings als „Herrscher“ und sein jüngerer Filmsohn Hannes Stelzer. Szene aus dem NS-Propagandafilm von Veit Harlan, 1937 gedreht in Oberhausen.
Der gütige Industriepatriarch und seine intriganten Kinder: Emil Jannings als „Herrscher“ und sein jüngerer Filmsohn Hannes Stelzer. Szene aus dem NS-Propagandafilm von Veit Harlan, 1937 gedreht in Oberhausen. © Deutsches Filminstitut | Deutsches Filminstitut

Oberhausens Kino-Historie startet mit NS-Propaganda

Zu dumm nur, dass Oberhausens lange Historie als Filmschauplatz ausgerechnet mit einem NS-Propaganda-Werk von Veit Harlan begonnen hat. „Des Teufels Regisseur“, erklärter Liebling von Hitler und Goebbels, produzierte fast ausschließlich heute so genannte „Giftschrank-Filme“, die nur in kritischem Kontext mit einer sachkundigen Einführung öffentlich gezeigt werden dürfen. Emil Jannings sah in der Titelrolle als Patriarch eines Industriekonzerns, „gedoubelt“ von der Gutehoffnungshütte, dem damaligen GHH-Boss Paul Reusch verblüffend ähnlich. Das Ruhr Museum platziert übrigens gleich nebenan Plakat und Filmbilder der vermeintlich „unpolitischen“ Fliegerkomödie „Quax, der Bruchpilot“: Der Essener Heinz Rühmann hat diese kritische Spitze durchaus verdient.

„Unterirdisch“, aber voller Stolz den prominenten Gästen der Stadt präsentiert: Eine historische Postkarte zeigt das Untertagekino im Schaubergwerk der Zeche Oberhausen, 609 Meter unter der Erde.
„Unterirdisch“, aber voller Stolz den prominenten Gästen der Stadt präsentiert: Eine historische Postkarte zeigt das Untertagekino im Schaubergwerk der Zeche Oberhausen, 609 Meter unter der Erde. © Ruhr Museum / Christoph Sebastian | Sammlung Filmmuseum Düsseldorf

Deutschlands tiefstes Kino, 609 Meter unter dem „Hostel Veritas“

„Unterirdisch“ in ganz anderem Sinne präsentierte Oberhausen eine Kino-Attraktion, die man gerne hochrangigen Besuchern der jungen Stadt vorstellte: nämlich Deutschlands tiefstes Kino, 609 Meter unter der Erde, mit seinen 100 Plätzen. Es war Teil der als Schaubergwerk seit 1937 wieder erschlossenen Zeche Oberhausen, deren Kohleförderung bereits sechs Jahre zuvor, inmitten der Weltwirtschaftskrise, eingestellt worden war. Als letztes Relikt dieses Pionierwerks blieb oberirdisch nur das heute als „In Hostel Veritas“ bekannte Torhaus.

Mondäne Pracht für das heutige Laientheater: Im Kinosaal des Sterkrader „Lito-Palastes“ projizierte der Vorführer die Filmbilder aus der Decken-Rosette.
Mondäne Pracht für das heutige Laientheater: Im Kinosaal des Sterkrader „Lito-Palastes“ projizierte der Vorführer die Filmbilder aus der Decken-Rosette. © Archiv Cox, Köln | Fotowerkstätte Hugo Schmölz

Auferstanden aus Ruinen: Der Grundstock eines Oberhausener Kino-„Imperiums“

„Mondäne Fotos“, so beschreibt‘s Magdalena Drexl trefflich, versammelt eine große Bilderwand mit edlen Rahmen. Und diese perfekt von Könnern ihres Fachs gestalteten Innenaufnahmen großer Filmpaläste der 1930er Jahre verlangten vom „Glückauf“-Team wohl den größten Recherche-Aufwand. „Es gab so tolle Kinos“, so die Kuratorin seufzend - doch leider seien deren „innere Werte“ meist schlecht dokumentiert. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählt die schicke Aufnahme vom 1949 wieder erstandenen Lito-Palast in Sterkrade, heute bekannt als Heimat der „Kleinstädter Bühne“. Das Kino mit dem kuriosen Projektionsraum hinter der ovalen Decken-Rosette zählte zum Nachkriegs-„Imperium“ der Eheleute Franz und Gerda Röder.

Für die Pracht-Schau gab „Metropolis“-Kinobetreiber Michael Meyer den originalen „Bali“-Türknauf aus dem Bochumer Hauptbahnhof - einst das Vorzeige-Lichtspielhaus für den Oberhausener Franz Röder.
Für die Pracht-Schau gab „Metropolis“-Kinobetreiber Michael Meyer den originalen „Bali“-Türknauf aus dem Bochumer Hauptbahnhof - einst das Vorzeige-Lichtspielhaus für den Oberhausener Franz Röder. © Ruhr Museum | Christoph Sebastian

„Nonstop“-Prinzip für Bahnreisende: „Bali“-Kinos von Oberhausen bis Bremerhaven

Franz Röder (1901 bis 1992) gilt als Erfinder der „Bahnhofs-Lichtspiele“, so klangvoll wie exotisch abgekürzt zu „Bali“. Diese etablierte der rührige Kino-Filialist nicht nur in sämtlichen Großstädten des Ruhrgebiets, sondern bis nach Bremen und Bremerhaven. Typisch für die „Bali“-Etablissements war das „Nonstop“-Prinzip: Filme liefen von 9 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts ohne Unterbrechung. Dank einer großen Uhr neben der Leinwand konnten Besucher die Abfahrtszeit ihrer (damals mutmaßlich noch pünktlichen) Züge im Blick behalten. Als letztes deutsches Bahnhofskino entlieh das Bochumer „Metropolis“ einen originalen „Bali“-Türknauf ans Ruhr Museum - und muss nun bis zum März mit einem Holz-Ersatz auskommen.

Während der Oberhausener Dreharbeiten zu „Die Verdammten“ erschien 1968 ein Gerichtsvollzieher am Set, um Equipment von Luchino Visconti zu beschlagnahmen.
Während der Oberhausener Dreharbeiten zu „Die Verdammten“ erschien 1968 ein Gerichtsvollzieher am Set, um Equipment von Luchino Visconti zu beschlagnahmen. © Fotoarchiv Ruhr Museum | Anton Tripp

Der Fürst und der Gerichtsvollzieher: Viscontis Beinahe-Debakel um „Die Verdammten“

Als die Schlote der Gutehoffnungshütte noch rauchten, kam 1966 nicht nur die kettenrauchende Romy Schneider nach Oberhausen, um hier ihren ersten französischen Film mit Michel Piccoli zu drehen: „Schornstein Nr. 4“. Zwei Jahre später machte hier der Regie-Fürst (und tatsächliche Sproß der Mailänder Fürstendynastie) Luchino Visconti für ein grandios gescheitertes Abenteuer Station: Eine einzige Szene der „Verdammten“ entstand in Oberhausen - und die ist in der Zollverein-Kohlenwäsche als Zwei-Meter-Foto präsent: ein pompöser Trauerzug vor Stahlwerks-Kulisse. Als 1968 die Runde ging, dass Visconti mit der verruchten Industriellen-Dynastie „von Essenbeck“ eigentlich die Krupps meint, schlugen vor dem Filmemacher sämtliche Türen im Revier zu. Nur mit einer persönlichen Bürgschaft konnte Visconti die Situation retten, als auch noch der Gerichtsvollzieher am Drehort anrückte . . .

Zwei historische Dokumente auf einem Bild: Die Kurzfilmtage werben 1978 für ihr Programm „Das Ruhrgebiet im Film“ - und das Land plakatiert die Sanierung von Eisenheim, der ältesten Arbeitersiedlung im Revier.
Zwei historische Dokumente auf einem Bild: Die Kurzfilmtage werben 1978 für ihr Programm „Das Ruhrgebiet im Film“ - und das Land plakatiert die Sanierung von Eisenheim, der ältesten Arbeitersiedlung im Revier. © Kinemathek im Ruhrgebiet | Paul Hofmann

Köstliche Fotos vom Aufstand der Jungfilmer vor 62 Jahren in Oberhausen

Einen Korb gaben ausgerechnet die Internationalen Kurzfilmtage den findigen Rechercheuren des Ruhr Museums: Das Original des berühmten „Oberhausener Manifests“ von 1962, erfuhr Kuratorin Magdalena Drexl zu ihrem Bedauern, sei nach 62 Jahren „zu fragil“, um es noch auszustellen. Doch es gibt ja jene gar köstlichen Fotos vom reichlich improvisierten Aufstand der damaligen Jungfilmer und ihres Sprechers, des wie ein adretter Oberschüler wirkenden Alexander Kluge (heute 92). Kino-Trailer der Jahre 1965 bis 2024 beleuchten im Zeitraffer die enormen Entwicklung, die das weltälteste Kurzfilm-Festival in 70 Jahren genommen hat. Und Hingucker-Poster, zeigt auch die Schau in der Kohlenwäsche, gehörten eigentlich immer zur „Kufita“-Historie.

„Wenders‘ Bester“ tönt das Plakat zu „Alice in den Städten“ mit der kleinen Yella Rottländer und dem großen Rüdiger Vogler: Gemeinsam sichten sie Polaroids - heute fast wieder so hip wie 1974.
„Wenders‘ Bester“ tönt das Plakat zu „Alice in den Städten“ mit der kleinen Yella Rottländer und dem großen Rüdiger Vogler: Gemeinsam sichten sie Polaroids - heute fast wieder so hip wie 1974. © Kinemathek im Ruhrgebiet | Paul Hofmann

Von „Alice“ bis „Pina“: Wim Wenders‘ Oberhausener Filme

In der revierältesten Arbeitersiedlung Eisenheim parkte während der 1970er nicht nur ein fotogener Werbe-Truck für die Kurzfilmtage: Hier drehte 1974 auch Wim Wenders entscheidende Szenen seines ersten Erfolgsfilms „Alice in den Städten“. Mit kleinem Stab und kleinstem Budget - aber mit wenig später bereits großen Namen von Kameramann Robbie Müller bis zur Musik von Can - lässt er Philip und Alice in Eisenheim nach dem Haus von Alices Großmutter suchen. 36 Jahre später drehte Wim Wenders noch einmal am Rande „seiner“ Stadt: Szenen der 3-D-Hommage „Pina“ für die Choreographin Pina Bausch entstanden auf der Halde Haniel - ebenfalls in der Kohlenwäsche mit einem prächtigen Poster vertreten.

Christoph Schlingensiefs sehr spezielle Verbeugung vor Pier Paolo Pasolini (und seinen „120 Tagen von Sodom“): Der Oberhausener Apothekersohn liebte den Trash-Appeal.
Christoph Schlingensiefs sehr spezielle Verbeugung vor Pier Paolo Pasolini (und seinen „120 Tagen von Sodom“): Der Oberhausener Apothekersohn liebte den Trash-Appeal. © Werner Biedermann | Christoph Schlingensief

Skandalös: Die Skandalnudel Schlingensief als „Mülheimer“

Als ein bisschen „skandalös“ könnten es Lokalpatrioten empfinden, dass Christoph Schlingensief, sicher der international berühmteste Oberhausener, bei „Glückauf - Film ab!“ in der Mülheimer Szene einsortiert ist. Schließlich startete der schräge Schock-Filmer als Assistent von Werner Nekes (1944 bis 2017), dessen bezaubernde Sammlung historischer optischer Geräte mit rund 25.000 Objekten wohl selbst die Kapazitäten des Ruhr Museums sprengen könnte. Ein Kleinod der Kino-Historie ist der Auftritt des 30-jährigen Helge Schneider als „Johnny Flash“ - mit Schlingensief an der Reißschwenk-Kamera.

Auch Volker Köster und einige Dokumentarfilmer-Kollegen würdigt die „Glückauf - Film ab!“-Schau: Hier dreht er 2010 an der Seite von Oberhausens Regie-Derwisch Herbert Fritsch (Mi.) „100 Kinder sprechen die Apokalypse“.
Auch Volker Köster und einige Dokumentarfilmer-Kollegen würdigt die „Glückauf - Film ab!“-Schau: Hier dreht er 2010 an der Seite von Oberhausens Regie-Derwisch Herbert Fritsch (Mi.) „100 Kinder sprechen die Apokalypse“. © FFS | Joachim Kleine-Büning

Dokumentarist unter kleinen Apokalyptikern und Schafen

„Bilder aus einer unbekannten Welt“ überschreibt das Ruhr Museum sein Kapitel zu den Dokumentarfilmern des Reviers - die ihrerseits dem Kinopublikum oft unbekannt sind. Kuratorin Magdalena Drexl verweist auf die Plakate zu deren raren Arthouse-Aufführungen: allesamt mit dem Charme des Handgeklöppelten. Allerdings bringt Volker Köster da als langjähriger Technischer Leiter der Kurzfilmtage ganz andere Erfahrungen mit. Sein Oeuvre reicht von der biblischen Lesung unter der Regie des großen Theater-Derwischs Herbert Fritsch „100 Kinder sprechen die Apokalypse“ bis zur geduldigen Langzeit-Begleitung von Schäfern und ihren Herden: Jungschaf „Orange“ drehte dafür - welch Perspektivwechsel - mit einer Mini-Kamera am Halsband.

Zwei Mega-Flops zum Schluss: HDO stand für die Investitionsruine am Osterfelder Gartendom - und das Modell des  „Turboshuttle Kowalski“ für die Revier-Sci-Fi-Klamotte „Die Sturzflieger“ von 1995.
Zwei Mega-Flops zum Schluss: HDO stand für die Investitionsruine am Osterfelder Gartendom - und das Modell des „Turboshuttle Kowalski“ für die Revier-Sci-Fi-Klamotte „Die Sturzflieger“ von 1995. © Ruhr Museum | Christoph Sebastian

Zum Schluss zwei Mega-Flops: HDO und „Turboshuttle Kowalski“

Das Skurrilste zum Schluss: Wer kann noch auf Anhieb das Kürzel HDO ausbuchstabieren? Es stand für „High Definition Oberhausen“ und lieferte - wie es im Prachtkatalog zur Ausstellung schön spitz heißt - „trotz dreistelliger Fördermillionen aus dem Landeshaushalt fast nur schlechte Schlagzeilen, schuf wenig Jobs und gilt heute als Inbegriff einer Investitionsruine“. Doch das Exponat zu dieser Bruchlandung ist allerliebst: ein Modell des „Turboshuttle Kowalski“ - einem Ruhrpott-Sci-Fi-Produkt und einer der größten Flops deutscher Filmgeschichte. Regisseur war ausgerechnet jener Peter F. Bringmann, der dank seines 1980er Hits „Theo gegen den Rest der Welt“ mit einem ramponierten Marius Müller-Westernhagen nun für das ikonische Plakatmotiv und Katalog-Cover zu „Glückauf - Film ab!“ sorgte.

Zur Ausstellung startet bald das Filmprogramm mit 25 Sonntagsmatineen

Das Ruhr Museum residiert in der Kohlenwäsche des Unesco-Welterbes Zeche Zollverein, Gelsenkirchener Straße 181, in Essen. Die Ausstellung „Glückauf - Film ab!“ ist dort bis zum 2. März 2025 zu sehen - und zwar an allen Wochentagen.

Der Eintritt kostet 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Der 280 Seiten starke Katalog mit rund 300 Abbildungen, erschienen im Klartext-Verlag, kostet 29,95 Euro. Online informiert ruhrmuseum.de

Begleitend zur Ausstellung startet im September ein umfangreiches Filmprogramm: In 25 Sonntagsmatineen zeigen die Essener Filmkunsttheater herausragende Spielfilme - darunter auch die hier vorgestellten von „Der Herrscher“ bis zu „Alice in den Städten“.