Oberhausen. Vor 85 Jahren endeten vor Hochöfen der Gutehoffnungshütte die Dreharbeiten für „Der Herrscher“. Regisseur Veit Harlan feierte das Führerprinzip.
Während der rund hundert Filmminuten fällt der Name der Stadt kein einziges Mal. Und doch dürfte „Der Herrscher“ von Veit Harlan der unrühmliche Auftakt sein zur beachtlichen Filmkarriere von Oberhausen als „Location“, wie es heute heißt. Heutzutage bewirbt die Wirtschafts- und Tourismusförderung OWT fotogene Schauplätze vom Kastell Holten bis zu den Zechengebäuden der Niebuhrg über eine einschlägige Plattform der Filmstiftung NRW.
Damals, 1937, dürfte noch ein anderer „Herrscher“ als der Großschauspieler Emil Jannings in der Titelrolle dieses Spielfilms zwischen Literaturverfilmung und Propaganda an den Fäden gezupft haben: Paul Reusch, während der langen Jahre von 1908 bis 1942 Konzernchef der Gutehoffnungshütte (GHH), zählte seit Ende der 1920er Jahre zu den Förderern Adolf Hitlers aus den Reihen der Großindustrie an der Ruhr. Die Hochöfen der GHH als überragende Filmkulisse sind „sein Werk“. Und Emil Jannings sieht dem Magnaten in seiner „Herrscher“-Rolle sogar erstaunlich ähnlich.
Vor 85 Jahren endeten die Dreharbeiten in Oberhausen – ein zwiespältiger Jahrestag. Bereits am 17. März 1937 folgte die Uraufführung im Berliner Ufa-Palast am Zoo. „Der große deutsche Spitzenfilm, auf den alle mit Spannung warten“, wie die Filmplakate trompeteten, war in Oberhausen zuerst im „Apollo“ an der Marktstraße zu sehen.
Liberales Drama brachial der NS-Ideologie angeglichen
Basis des Films ist das damals aktuelle Drama „Vor Sonnenuntergang“ des Literatur-Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann (1862 bis 1946): Als einer der wenigen nicht ins Exil gegangenen deutschen Schriftsteller von Rang wurde der Schlesier vom NS-Regime nach Kräften hofiert. Wie jüngst Hans Pleschinski als Gast des Literaturhauses Oberhausen in seiner brillanten Lesung aus „Wiesenstein“ deutlich machte, ließ sich der damals schon über 70-Jährige zwar gerne schmeicheln – schrieb aber selbst keine liebedienerischen NS-Elogen.
Aus dem Giftschrank auf die Vorbehaltsliste
Den „Giftschrank“ der nazistischen Propagandafilme erbte 1966 die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung mit Sitz in Wiesbaden. Sie verwahrt mit mehr als 6000 Stumm- und Tonfilmen seit den 1890er Jahren einen bedeutenden Teil des nationalen Filmerbes – darunter auch jene Filme, die 1945 von den Alliierten in einer Verbotsliste erfasst wurden.
Bei der Murnau-Stiftung, benannt nach dem Regisseur von „Nosferatu“, firmieren die bedenklichen Archivalien auf einer „Vorbehaltsliste“: Diese den Nationalsozialismus verherrlichenden Filme sind nicht für den allgemeinen Vertrieb freigegeben. Erhältlich sind sie nur für Institutionen wie Museen, Hochschulen oder Filmfestivals, die dafür bürgen können, dass eine Aufführung eingebettet ist in fachliche Vorträge und Diskussionen.
Und so trägt der Film-„Herrscher“ (also Emil Jannings) zwar den Namen des tragischen Hauptmann’schen Helden Matthias Clausen. Doch Handlung und Aussage des Dramas wurden für den Film brachial der nazistischen Ideologie angeglichen – und zwar von der überzeugten Nationalsozialistin Thea von Harbou. Mit Fritz Lang (der schleunigst das Hollywood-Exil wählte) hatte sie sich dank „Metropolis“ in die Filmgeschichte eingeschrieben. Aus Hauptmanns Drama eines liberalen und kunstsinnigen Verlegers, der von seinen Söhnen ausgebootet wird, machte die Drehbuchautorin „das Hohelied der Arbeit, der Gemeinschaftsarbeit“. So beschrieb’s im Februar 1937 der Oberhausener „Generalanzeiger“ – vom NS-Propagandaministerium gleichgeschaltet, wie die gesamte deutsche Zeitungslandschaft.
Im Film lässt sich der Herrscher über Hochöfen und Stahlschmelzen nicht entmündigen (wie im Schauspiel). Im Film bedient Emil Jannings mit Pathos das Führerprinzip: „Dieser mein Wille ist das oberste Gesetz für mein Werk“, so zitiert ihn der Filmhistoriker Erwin Leiser. „Dem hat sich alles andere zu fügen, ohne Widerspruch, auch wenn ich damit den ganzen Betrieb in den Abgrund steuere.“ 1937 ein fast prophetischer Satz, wenn man bedenkt, wohin die schwerindustrielle Rüstungsproduktion führte.
„Der Film macht aus dem bürgerlichen Verleger einen nationalsozialistischen Wirtschaftsführer“: Die Zeitschrift „Neue Literatur“ meinte das damals als höchstes Lob. In entsprechender Beflissenheit übte sich auch der Generalanzeiger unter der Schlagzeile „Das Ruhrgebiet spielt mit“. Das Oberhausener Blatt zitiert zum Schluss der Dreharbeiten den Regisseur Veit Harlan: „Das Werk wurde nicht nachgestaltet und nicht im Atelier aufgebaut. Wir haben die Wirklichkeit zum Mitspieler gewonnen.“
Die vermeintliche „Wirklichkeit als Mitspieler“
Tatsächlich war dieser quasi-dokumentarische Aspekt – denn 20 Tage lang entstanden mit hohem Aufwand Filmbilder aus der Stahlproduktion – für das LVR-Industriemuseum 2013 ein guter Grund, den sonst öffentlich nicht zugänglichen „Herrscher“ im Programm zur Ausstellung „Stadt der Guten Hoffnung“ zu zeigen.
Von der vermeintlichen „Wirklichkeit als Mitspieler“ entfernten sich „Staatsschauspieler“ Jannings und Regisseur Harlan als gehorsame Diener Joseph Goebbels’ mehr und mehr. Veit Harlan drehte mit „Jud Süß“ den wohl widerwärtigsten und mit „Kolberg“ den zugleich teuersten und letzten Propagandafilm der NS-Tyrannei. Unglaublich: Nach Kriegsende wurde der Propagandist im üblichen Entnazifizierungsverfahren als „Entlasteter“ eingestuft. Der imposante „Herrscher“-Filmschauplatz aus Kaminen, Schloten und Maschinen lag da längst in Trümmern.