Oberhausen. Zum Doppeljubiläum des großen Satirikers gibt‘s gleich vier Kästner-Termine: bei den Schlossnächten und beim Sterkrader Lesesommer.

Seine früheren Romane hießen „Die Einsamkeit der Astronomen“, „Einstein on the Lake“ oder „Schrödingers Schlafzimmer“: Mit diesen Titeln verrät Ulrich Woelk auch schon seine berufliche Herkunft. Der Romancier war Astrophysiker, und daher sollte man auch von einem Werk namens „Mittsommertage“ keine leichthin plätschernde Belanglosigkeit erwarten. Denn selbst fürs allsommerliche Literaturpicknick im Idyll der Zeche Alstaden lädt das Literaturhaus nur vielversprechende Schreiber ein. Und Ulrich Woelk erzählt von jenem Corona-Sommer 2022, als seine Romanheldin als aufstrebende Wissenschaftlerin in den Deutschen Ethikrat berufen werden soll. Doch dann tritt ihre Vergangenheit als rabiate Anti-Atomkraft-Aktivistin zutage . . .

Es ist alles andere als ein laues Sommerprogramm, das die Literaturhaus-Aktiven mit ihrer Picknick-Lesung am Freitag, 12. Juli, um 19 Uhr als Gäste an der Solbadstraße 53 starten. Sollte das Wetter nicht mitspielen, steht der vom Förderverein der Zeche Alstaden so mustergültig hergerichtete einstige Pferdestall zur Verfügung.

Jennifer Ewert und Till Beckmann, hier als stolzes Macher-Duo beim Start des Ralf-Rothmann-Audiowalk am Tackenberg, liefern für die Oberhausener Schlossnächte einen zündenden „Kästner Remix“.
Jennifer Ewert und Till Beckmann, hier als stolzes Macher-Duo beim Start des Ralf-Rothmann-Audiowalk am Tackenberg, liefern für die Oberhausener Schlossnächte einen zündenden „Kästner Remix“. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Für den literarischen Beitrag zu den Oberhausener Schlossnächten am Freitag, 26. Juli, kann man sich nur einen feinen Sommerabend wünschen: Denn dann steigt der erste von gleich vier Erich-Kästner-Terminen: Landauf, landab hatten die Literaturhäusler nach einem gediegenen Programm zum 50. Todestag des großen Satirikers gefahndet - und entdeckten schließlich die frechen Vorlese-Könner vor der Haustür: Jennifer Ewert und Till Beckmann, bekannt aus der Herner „Spielkinder“-Familie, gestalten ihren ureigenen „Kästner Remix“ - als sprudelnde Mixtur aus Bekanntem und Unbekanntem, von „Pünktchen und Anton“ bis zur „Sachlichen Romanze“.

Seltener Autoren-Blick auf ein noch bäuerliches Oberhausen

„2000 Seiten über Oberhausen, verteilt auf ein halbes Dutzend Bücher“ - damit würdigte der Sterkrader Buchhändler Arndt Wiebus bei der Premierenlesung das Oeuvre von Peter Kersken. Der Sterkrader Lesesommer bietet nun am Freitag, 16. August, bei Klumpen Moritz, Bahnhofstraße 30, eine zweite Chance, den packenden Historien-Krimi „Die Tote aus der Emscher“ und seinen Autor kennenzulernen. Seine Erzählung vom Jahr 1816 beschreibt ein noch gänzlich bäuerliches Oberhausen, wie es kaum jemand bisher gewürdigt hat. Es war jenes Schreckensjahr „ohne Sommer“, als in ganz Europa Missernten die Menschen in Not stürzten - und die „Hexen“-Hysterie wieder aufflammte. Hartmut Kowsky-Kawelke, der Literaturhaus-Vorsitzende, nennt „Die Tote aus der Emscher“ denn auch „ein sehr politisches Buch“.

Peter Kersken, hier während einer Lesung auf der Zeche Rheinpreußen in Moers, präsentiert für den Sterkrader Lesesommer einige seiner „2000 Seiten über Oberhausen“.
Peter Kersken, hier während einer Lesung auf der Zeche Rheinpreußen in Moers, präsentiert für den Sterkrader Lesesommer einige seiner „2000 Seiten über Oberhausen“. © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

„Kästner für alle“ lautet das Motto gleich dreier Lesesommer-Termine, bei denen Aktive des Literaturhauses jeweils Preziosen des Dresdner Meisters vortragen: „Kästner für Erwachsene“ mundet am Donnerstag, 22. August, um 16 Uhr im Eiscafé Milano, Steinbrinkstraße 237; „Kästner für Kinder“ gibt‘s als geschlossene Veranstaltung an der Steinbrinkschule und „Kästners Kriegstagebuch“ am Donnerstag, 29. August, um 16 Uhr im Sterkrader Stadtteilbüro, Bahnhofstraße 42.

Nachkriegs-Thriller mit den Qualitäten eines John le Carré

Einen zeitgeschichtlich exakt recherchierten Roman mit Thriller-Zügen präsentiert der rührige Verein am Freitag, 23. August, in seinem angestammten Domizil, dem Gdanska Theater: Der Kritiker der Hamburger „Zeit“ fühlte sich bei den Pageturnern von Andreas Pflüger „an Klassiker des Spionagethrillers wie John le Carré oder Ian Fleming erinnert“. Der Titel „Ritchie Girl“ meint jene Absolventinnen und Absolventen des US-Camp Ritchie, die während der Weltkriegsjahre geschult wurden, um in Deutschland nach Kriegsverbrechern zu fahnden.

Selbst als „Tresenleserin“ macht die Philosophin Eva von Redecker eine hervorragende Figur, wie hier in der Mülheimer Metropolenschreiber-Residenz der Brost-Stiftung.
Selbst als „Tresenleserin“ macht die Philosophin Eva von Redecker eine hervorragende Figur, wie hier in der Mülheimer Metropolenschreiber-Residenz der Brost-Stiftung. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Wer nun einen Titel wie „Triebkräfte der Erde“ als abgehoben empfindet, dem versichert Hartmut Kowsky-Kawelke nachdrücklich: Eva von Redecker, die aktuelle Metropolenschreiberin Ruhr, sei eine „sehr unterhaltsame Gesprächspartnerin“. Als norddeutsche „Philosophin vom Hof“, so eine WAZ-Schlagzeile, könne sie ebenso fundiert das Kühemelken beschreiben wie Immanuel Kants Gedankengebäude analysieren. Von Redeckers Entertainerinnen-Qualität haben sie bereits im Revier bekannt gemacht: Für das Gespräch zum Start der neuen Literaturhaus-Reihe „Neues aus der Gegend“ am Mittwoch, 4. September, sollte man sich zügig einen Gratis-Platz sichern.

Kinderhaben in der „kapitalistischen Männergesellschaft“

Ein Thema, das Millionen angeht, beleuchtet mit provokanter Verve und Mut am Freitag, 13. September, die Leipziger Autorin Heide Lutosch: „Kinderhaben“ beschreibt Literaturhäusler Rainer Piecha als kundige Dekonstruktion des Hypes um die Elternschaft. Den fragwürdigen Kult um die ständige elterliche Überforderung kennt die 50-Jährige aus eigener Erfahrung als Mutter: Die heutige junge Kleinfamilie sei noch immer der perfekte Ort einer „kapitalistischen Männergesellschaft“.

Ihre Lyrik beweist den genauen Blick auf Details: Lütfiye Güzel spricht zum Ausklang des Sommerquartals im Literaturhaus über Gedichte zur „Zeitenwende“.
Ihre Lyrik beweist den genauen Blick auf Details: Lütfiye Güzel spricht zum Ausklang des Sommerquartals im Literaturhaus über Gedichte zur „Zeitenwende“. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Pointierte Spitzen kann auch Lütfiye Güzel wie kaum eine Zweite: Als Stammgast des Literaturhauses sorgt sie am Freitag, 27. September, für ein zündendes „Ferngespräch“ mit ihrem Lyriker-Kollegen Max Czollek. Der missverständliche Titel täuscht: Tatsächlich sind beide „live“ im Gdanska-Theater anwesend. Mehr noch, die Moderation übernimmt mit José Francisco Agüera Oliver der amtierende PEN-Präsident. Denn die vermeintlich so idyllische Dichtkunst steckt mitten im Zeitgeschehen: „Die Welt läuft aus dem Ruder und das Gedicht läuft mit.“

Literaturhaus Oberhausen: Die meisten Autorenlesungen kosten nur 10 Euro

Die meisten Lese- und Debattenabende des Literaturhauses kosten 10 Euro, ermäßigt 5 Euro. Einziger Ausreißer nach oben ist die Schlossnacht unter dem Motto „Kästner Remix“ mit 17,50 Euro, ermäßigt 10 Euro. Und für die Nachmittags-Lesungen „Kästner für alle“ während des Sterkrader Lesesommers gilt: Eintritt frei.

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