. . Lütfiye Güzel verdichtet Gedanken zu „Nix Meer“ – und zu einem Buch,, das mehr ist als eine „!Episode“
Eine „Episode“ nennt Lütfiye Güzel ihr neues Buch, und noch mehr als seine Vorgänger ist es ein Büchlein, aber ein großer Text, irgendwo zwischen Langgedicht und Assoziations-Novelle. Die Trägerin des Literaturpreises Ruhr aus dem vergangenen Jahr widmet den von unscharfen Schwarzweiß-Fotografien eingerahmten Band „Nix meer“ allen „TristOléisten und TristOléistinnen“.
Es geht darum, Tristesse auszuhalten. Oder vielmehr: Tristesse zu genießen. Sie ist der Boden, auf dem die Realität mehr Blüten treibt als die Fantasie. Und wenn Lütfiye Güzel mit den Assoziationsketten rasselt, wird Musik daraus, gut rhythmisierte Wortmusik. Ihre Gedankenkaskaden spazieren durch filmreife Szenen, nicht von ungefähr fallen die Namen Kaurismäki und Jarmusch. Die Helden, die hier aufblitzen, heißen denn auch Charles und Johnny, aber auch einErnest: „Der alte Mann und das Meer“ liegt unterm Kopfkissen. Bei philosophischen Fragen wird Sartre herbeizitiert: „War das von Dir, Jean-Paul?“.
Das jüngste Buch der Stahlarbeiter-Tochter Lütfiye Güzel aus Hamborn ist aber auch ein Manifest der intellektuellen wie körperlichen Selbstbehauptung, das aus den Strudeln der skeptischen Selbstbefragung hervorgeht: „Solange ich kann, will ich mich an mir selbst anlehnen.“ Ihr Schreiben ist existenziell, es geht immer ums Ganze. Also ist es an diesem nie trägen Gedankenfluss alles andere als idyllisch, im Gegenteil, da ist ein gerüttelt Maß an Verzweiflung, Verstörung, Verdruss: „Ich würde gern die Lichter wieder einschalten in meinem Körper, zur Vernunft kommen, aber alles ist unbekannt verzogen“.
Aufgeben? Wegen all der Traurigkeit in Paris, in „Helsinki, Madrid, Lissabon, Athen, London, Istanbul und Berlin? Wo es doch hieß: „Hemdsärmel wieder runterkrempeln und Kopf aus der Schlinge“? Nun, der letzte Satz dieses Buchs ist hoffentlich mehr Ironie als Vermächtnis: „Ich schreibe nix mehr“.