John le Carré, ein großer unter den Autoren der Welt, erlag am Samstagabend im Alter von 89 Jahren den Folgen einer Lungenentzündung. Ein Nachruf.
Der so ganz anders gestrickte Kollege Philip Roth hielt John le Carré für „simply the best“ unter den Briten, einfach den Besten. Was auch mit einem deutschen Vorbild zu tun haben könnte: Im Sommer 1949 lauschte der englische Gaststudent David Cornwell, wie sein bürgerlicher Name lautete, in Zürich der Rede Thomas Manns, der aus dem Exil kam; der Student klopfte an die Garderobe des Nobelpreisträgers, um sich für Buh-Rufe seiner Kommilitonen zu entschuldigen. „Was wollen Sie?“, herrschte ihn der „raunende Beschwörer des Imperfekts“ an. „Ich wollte ihre Hand schütteln“, stotterte der Engländer „Hier ist sie“, antwortete Mann.
Kurze Begegnung, nachhaltige Wirkung. Die deutsche Sprache und Kultur, die er in der Schweiz studierte, und unsere Geschichte mit all ihren Abgründen, haben das Leben David Cornwells, der ein englischer Gentleman alter Schule wurde, stets begleitet. Sie grundiert auch das Werk, das er als „John le Carré“ signiert. Seine Zeit im Geheimdienst, die er in Hamburg verbrachte, verarbeitet er in einem Thriller über Bonn – und in einem über Berlin, der als sein drittes Buch ein Welterfolg wird: „Der Spion der aus der Kälte kam“, sagt Graham Greene 1963, sei der beste Spionageroman aller Zeiten.
60 Millionen Exemplare verkauft
Regelmäßig folgt dann alle zwei Jahre ein neuer Roman, am Ende waren es 25. Von seinen Büchern, zu denen auch der autobiografische Roman „Ein blendender Spion“ (1986) zählt, wurden weltweit etwa 60 Millionen Exemplare verkauft. Nun ist der Meister des Spionagethrillers tot: John Le Carré erlag am Samstagabend in der englischen Grafschaft Cornwall einer Lungenentzündung, wie seine Familie mitteilte. Sein Tod sei nicht auf den Coronavirus zurückzuführen, erklärte Le Carrés Agent Jonny Geller.
Allein „Der Spion, der aus der Kälte kam“ verkaufte sich weltweit rund 20 Millionen Mal, es wurde mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt. Auch „Dame, König, As, Spion“ (1974) war ein großer Erfolg. Sein Meisterwerk bleibt die Trilogie um den Spion George Smiley, den Melancholiker (und Germanisten), der die gespaltene Welt wieder einrenken soll, aber vor allem die kollektiven Ängste und Psychosen des Kalten Krieges offenlegt.
„Der Spion, der aus der Kälte kam“
Auch die neue Welt nach der Epochenwende von 1989 mit ihren zahllosen Krisenherden hatte le Carré besser im Blick als die meisten Politiker. Oft warb er bei seinen britischen Landsleuten für ein Bild von Deutschland, das sich auf Interesse und Kenntnisse stützen sollte. Und nicht auf aufgewärmte Nazi-Klischees der Massenblätter, die mit jedem Länderspiel giftiger werden. Er hielt das Grundgesetz für „die beste Verfassung in Europa und vielleicht in der Welt“, und er sprach stets aus Erfahrung, wenn er respektlos über den „Dienst am Vaterland“ herzog.
Stets behielt John le Carré seine Hand am Puls der Zeit, auch ein Spätwerk wie der Roman „Marionetten“, der Hamburg zum Ort der Handlung macht, geriet ihm meisterlich. Er schlug nicht mehr die großen Erzählbögen wie zu Beginn seiner Schriftstellerlaufbahn, sondern verlegte sich mehr und mehr auf kammerspielartige Szenerien; gleichwohl reflektierten seine Romane Aktuelles wie den „Krieg gegen den Terror“, die Bankenkrise von 2008, als 350 Milliarden Dollar Drogengeld ins marode Bankensystem flossen und dort „gewaschen“ wurden, den Krieg um Rohstoffe im Kongo, die Machtkämpfe, die Massenmorde, Putsch- und Ausbeutungspläne westlicher Wirtschaftsbosse und die hilflosen Blauhelme von der Uno oder die jüngsten Entwicklungen in seiner britischen Heimat wie in „Federball“.
Politische Kriege, Finanzkorruption, Geheimdienst-Innereien
Doch bei le Carré ging es nicht nur um Geheimdienst-Innereien, politische Kriege und Machenschaften des Finanzkapitals, es gab auch herzerwärmende, mitunter gar lustige Liebesgeschichten. Mehr als einmal wurde er der schlimmen Wendung der Dinge mit einer großen Komik gerecht, Romane wie „Geheime Melodie“ setzten eine Wendung ins Komödiantische fort, mit der le Carré seit dem „Schneider von Panama“ auch immer mehr an Graham Greene erinnerte.
All sein schriftstellerisches Schaffen, man kann es wohl nicht anders als mit diesen großen Worten sagen, war getragen von einem durch und durch humanistischen Ethos. Wir haben mit John le Carré einen der größten unter unseren Autoren verloren.