Mülheim. Die Sportanlage an den Saarner Ruhrauen soll zum Leichtathletikzentrum ausgebaut werden. Doch es gibt Probleme mit dem Naturschutz.
Noch haben die Ausbaumaßnahmen an der Sportanlage Mintarder Straße nicht einmal begonnen. Doch schon jetzt ist klar, dass mancher Sport nur mit Einschränkung machbar sein wird. Der Grund: Man hat sich intensiv um Fördermittel für die Aufwertung der Anlage gekümmert, aber wohl weniger darum, ob diese mit dem Naturschutz im angrenzenden sensiblen Bereich der Saarner Ruhraue vereinbar ist. Ein Sprecher des Naturschutzbeirats spricht offen von einem „Verfahrensfehler“, der Beirat habe den Plänen nur „zähneknirschend“ zugestimmt.
Und so kam es zu dem Dilemma: Bereits 2021 hatte man die Förderung der Sanierung der Sportanlage an der Mintarder Straße beantragt. Hier soll in Zukunft ein regionales Leichtathletikzentrum vom Wettkampftyp B entstehen. Zentrale Elemente der großen Pläne: eine sechsbahnige Rundlaufbahn mit Kunststoffbelag, eine Kugelstoßanlage, ein saniertes Naturrasenspielfeld. Sowie eine Skate- und Pumptrack-Anlage, die den Wegfall einer ähnlichen Anlage an der Gesamtschule Saarn kompensieren soll. Und außerdem eine stattliche Beleuchtung, die Trainings auch in der dunklen Jahreszeit möglich macht.
Baugenehmigung erteilt - Naturschutzbelange nicht geprüft?
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So war der Jubel groß, dass die Fördermittel Ende 2021 aus dem Bundesprogramm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ bewilligt wurden: rund 1,9 Millionen Euro und somit 90 Prozent der Kosten. Im Frühjahr 2022 beantragte der Mülheimer Sportservice die bauaufsichtliche Genehmigung und erhielt sie durch die Untere Bauaufsicht am 3.8.2022. Wie sich der Ausbau zum anliegenden Flora-Fauna-Habitat verhält? Eine „FHH-Verträglichkeitsvorprüfung“ sollte das ermitteln. Auftraggeber: der Mülheimer Sportservice. Die Untere Naturschutzbehörde (UNB) blieb bei der Genehmigung außen vor.
Da eine Sportanlage schon bestand, sei für den umfangreichen Ausbau zum Leichtathletikzentrum nach Angaben der Stadt keine naturschutzrechtliche Befreiung notwendig. Und doch zeigte sich, dass die gefassten Pläne wenigstens drei Haken haben: Lärm, Licht und eben das seit eh und je dort anliegende FFH-Gebiet, das einen Lebensraum für viele geschützte Arten von Pflanzen und Tieren bietet. Hatte man in der Euphorie über die Förderung die Probleme unterschätzt?
Sportanlage am Mülheimer FFH-Gebiet mit Tageslichtbeleuchtung geplant
Denn auf den Plätzen zum Beispiel sah man ursprünglich horizontal montierte LED-Lampen mit 6000 Kelvin in 20 Meter Höhe ohne Abblendung vor. Ein intensives Tageslichtweiß, das gemeinhin dazu dient, Menschen wachzuhalten - und somit auch Tiere.
Als man 2024 jedoch die Untere Naturschutzbehörde dazuschaltete, stieß diese im vom Sportservice beauftragten Gutachten auf einige „fachliche Defizite in Bezug auf Bewertungen von Betroffenheiten einzelner Arten“ wie Habicht, Sperber, Turmfalke, Waldkauz und Waldohreule.
Mülheims Naturschutzbehörde bemängelt „fachliche Defizite“ im Gutachten
Auch bei den Lichtemissionen schien das FHH-Verträglichkeitsgutachten mögliche Jagd- und Balzquartiere von bestimmten Fledermausarten gar nicht erfasst zu haben. Ferner fielen die Verfasser des Gutachtens durch „methodische Ungenauigkeiten“ etwa bei der Fledermauserfassung auf. Wegen des offenkundig ungenügenden Gutachtens forderte die Naturschutzbehörde im März 2024 eine Überarbeitung der vorgelegten Fachgutachten. Der Baubeschluss jedoch war da bereits auf dem Weg in die Gremien. Die Überarbeitung lag der UNB zwei Monate später - Anfang Mai - vor
Den Niederschriften der Ausschüsse zufolge wurde das bemängelte Gutachten in den Gremien nicht zur Sprache gebracht oder debattiert. Die BV3 ging auf den Kunstrasen und die Mehrkosten von rund 800.000 Euro ein - denn die Gesamtkosten von nunmehr rund 2,8 Millionen Euro waren inzwischen gegenüber den ursprünglichen Schätzungen um 45 Prozent gestiegen. Wer die Differenz zahlt, fragte die CDU: die Stadt, hieß es.
Beschluss unter Zeitdruck
Den Baubeschluss traf man dennoch, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass die bautechnische Prüfung zeitnah abgeschlossen und der Zuwendungsbescheid erteilt würde. Die Zeit drängte, weil die Leichtathletikanlage bis zum 31. Dezember 2025 fertig sein muss. Man müsse deshalb spätestens im Juni 2024 mit den Arbeiten beginnen, heißt es im Beschluss vom März 2024.
Unter diesem zeitlichen Druck galt es wohl, Kompromisse für den Naturschutz zu finden. Im Juni legte die UNB diese vor. Für den Neubau der Skate- und Pumptrack-Anlage legte die Naturschutzbehörde ergänzende Bestimmungen auf, damit die Bauphasen nicht noch verhindert werden könnten: eine ökologische Baubegleitung, eine Ausschlusszeit von Mitte Februar bis Anfang Mai, um etwa die Brutzeiten von Graureihern zu schützen.
Naturschutzbehörde macht Auflagen, um Projekt nicht scheitern zu lassen
Zum Katalog an Kompromissen gehört ebenso, dass an der Skate-Anlage zur „Risikominimierung“ eine „ergänzende Abschirmung“ gegen den Lärm gebaut werden soll. Der vorhandene Erdwall muss um ein Drittel erhöht werden. Auch dürften nur warmweiße Farbtemperaturen von maximal 3000 Kelvin zum Einsatz kommen, Streulicht sei zu vermeiden, Lichtquellen entsprechend abzuschirmen und möglichst niedrig anzubringen.
Kompromisse sollen aber auch auf den übrigen Feldern der Anlage gelten. Die Beleuchtung soll auf maximal 4000 Kelvin und mit seitlichen Blenden reduziert werden. Auch die bestehenden Flutlichtanlagen am Kunststoffrasenplatz will man mit dieser Farbtemperatur und Blenden versehen.
Doch selbst das würde nicht reichen, um dem Naturschutz im Flora-Fauna-Habitat zu genügen. So bedarf es einer zentralen Einschränkung: Zwischen Oktober und Ende März muss ab 21.30 Uhr das Flutlicht ausgeschaltet werden - nur damit seien zumindest die allermeisten relevanten Aktivitätszeiten von Insekten und Fledermäusen geschützt, heißt es. Auch an der Skater-Anlage soll nach 22 Uhr keine Beleuchtung zulässig sein. Die Stadt spricht in der Abstimmung zwischen Sportservice und UNB von einem „guten Kompromiss“.
Mülheims Naturschutzbeirat verärgert: „Zähneknirschend zugestimmt“
Einen letzten „Kompromiss“ musste vor allem der Naturschutzbeirat schlucken. Er wurde in die Beratungsfolge zum Baubeschluss im Frühjahr nicht einbezogen, sondern erst Anfang September. Mancher reagiert angesäuert. Denn es sei nicht das erste Mal, dass sich der Beirat übergangen fühlt: „Ich sage es mal so: Natur hat keine Lobby“, kommentiert ein Mitglied des Beirats das Verfahren gegenüber der Zeitung. Weil man aber nicht als Blockierer gelten wolle, versuche nun ein Arbeitskreis weitere Maßnahmen zu finden, um die möglichen negativen Auswirkungen auf die Natur zu mildern.
Es habe da einen „kleinen Verfahrensfehler“ gegeben, signalisierte Thorsten Lennertz, Sprecher des Beirates, im Umweltausschuss Kritik und Kompromissbereitschaft gleichermaßen. Angesichts der verschiedenen Bemühungen des Mülheimer Sportservices, die Nutzungsmöglichkeiten in der Natur für seine Klientel zu erweitern - dazu zählt Lennertz auch die neu geplante Laufstrecke durch die Saarner Auen - müsse der Naturschutz aber das große Ganze im Blick behalten.
Die Grenzen, den Landschafts- und Naturschutzräumen in Mülheim mehr abzuknapsen, scheinen erreicht: Lennertz machte im Ausschuss deutlich, dass der Naturschutzbeirat den Plänen für das Leichtathletikzentrum zwar zugestimmt habe, aber nur „zähneknirschend“.
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