Mülheim. Mülheims Industrie verzeichnete im ersten Halbjahr einen klaren Rückgang. Was Unternehmen und die Politik jetzt von der Stadt fordern.

Diese Zahlen sollten Mülheim in Alarmbereitschaft versetzen: Wie das statistische Landesamt in seiner neusten Auswertung mitteilte, ist der Absatzwert der Mülheimer Industrieproduktion im ersten Halbjahr dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nicht bloß zurückgegangen. Mit einem Verlust von 39,4 Prozent musste die Ruhrstadt in ganz Nordrhein-Westfalen die höchsten Einbußen hinnehmen.

Laut der Zahlen von IT.NRW sind in 9.849 Betrieben des verarbeitenden Gewerbes, des Bergbaus sowie der Gewinnung von Steinen und Erden in den ersten sechs Monaten zum Absatz bestimmte Waren im Wert von 161 Milliarden Euro hergestellt worden. Im selben Zeitraum 2023 waren es noch 11,6 Milliarden Euro beziehungsweise 6,7 Prozent mehr.

Landtagsabgeordneter: „Mülheim erlebt dramatischen Absturz“

Mülheim steht also längst nicht alleine da. Errechneten die Statistiker vor einem Jahr aber noch einen Absatzwert von 1,64 Milliarden Euro, blieb die Summe diesmal unter der Milliardengrenze. Eine genauere Nachfrage beim statistischen Landesamt ergab, dass der Rückgang vor allem auf den Bereich der Metalle zurückzuführen ist. Hier listete IT.NRW einen Betrieb weniger auf als im Vorjahr. Also Vallourec? „Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Geheimhaltung können wir keine Aussagen zur Entwicklung einzelner Betriebe treffen“, heißt es. Im Ergebnis steht aber im Metallbereich nur noch ein Absatzwert von 327.174 Euro gegenüber 872.809 Euro im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres. Die Metallerzeugnisse gingen ebenfalls von 82.237 auf 74.249 Euro runter.

Mehr als halbiert hat sich der Bereich Nahrungs- und Futtermittel mit 36.767 Euro (2023: 79.799), einen spürbaren Rückgang gab es auch bei der Herstellung von Maschinen (159.180 zu 191.298). Raufgegangen sind hingegen die Reparatur, Instandhaltung und Installation von Maschinen und Ausrüstungen (einschließlich Wartung). Hier listete IT.NRW zwei Unternehmen mehr auf, die insgesamt 60.636 Euro absetzen. 2023 waren es nur 35.854 Euro.

„Mülheim erlebt den dramatischsten Absturz der Industrie womöglich in seiner Geschichte“, kommentierte der Landtagsabgeordnete Rodion Bakum (SPD) die Situation. Er sei von dem Ausmaß „definitiv überrascht, auch wenn wir natürlich um die Probleme wissen.“

Kann Mülheim Wirtschaft? Bakum kontert Buchholz

Er sieht den in den aktuellen Zahlen auch eine Replik auf die Äußerungen von Oberbürgermeister Marc Buchholz zu Beginn des Jahres. „Wir haben bewiesen, dass wir Wirtschaft können“, sagte der OB damals im großen Jahresinterview mit dieser Redaktion. Bakum stellt das nun infrage: „Das wundert mich, weil immer neue gute Leute in der Wirtschaftsförderung tätig sind und trotzdem werden die Zahlen schlechter.“ Es gebe offenbar eine strukturelle Schieflage.

Wirtschaftsdezernent Felix Blasch war von dem Ausmaß der Zahlen durchaus überrascht. „Wir würden es erst einmal auf das Ende bei Vallourec zurückführen“, so der Beigeordnete. Der Röhrenhersteller hatte seine Produktion aus Mülheim und Düsseldorf nach Brasilien verlagert. „Wenn so ein großer Betrieb seine Produktion einstellt, dann schlägt sich das schon in den Zahlen nieder“, sagt Blasch. Von anderen Betrieben höre man durchaus, dass sie gut ausgelastet seien. Darauf verlassen, dass es nur an Vallourec liegt, möchte man sich im Rathaus aber nicht. „Wir werden uns das genau angucken, um festzustellen, mit wem wir sprechen müssen und an welchen Stellschrauben wir drehen müssen“, so Blasch.

Unternehmerverband will Initiativen unterstützen

Auch beim Unternehmerverband der Mülheimer Wirtschaft war man von der Höhe des Rückgangs überrascht. „40 Prozent sind schon eine Nummer. Wir können uns das auf den ersten Blick nur durch den Weggang von Vallourec plus die insgesamt sehr negative Entwicklung in Schlüsselbranchen wie Maschinen, Metalle und Metallerzeugnisse erklären“, meinte Christian Kleff, Geschäftsführer für Kommunikation.

Das ehemalige Vallourec-Gelände zwischen Dümpten und Styrum steht im Fokus der künftigen Entwicklung der Mülheimer Wirtschaft.
Das ehemalige Vallourec-Gelände zwischen Dümpten und Styrum steht im Fokus der künftigen Entwicklung der Mülheimer Wirtschaft. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

„Mülheim muss schauen, wie es nun weitergeht“, lautet der vorsichtige Appell von Unternehmerseite. „Sämtliche Initiativen unterstützen wir natürlich, denn die Industrie ist weiter eine Basis für Vieles, was in Deutschland wirtschaftlich passiert“, so Kleff.

Strategiepapier ist im Mülheimer Rathaus schon in Arbeit

Mit Wohlwollen hatte man im August zur Kenntnis genommen, dass im Rathaus bereits an einem Strategiepapier zur Entwicklung des Wirtschaftsstandortes gearbeitet wird. Dieses soll, so gab Dezernent Blasch im Wirtschaftsausschuss bekannt, unter anderem einen Orientierungsrahmen für die Vergabe und die Entwicklung von Flächen geben. Noch in diesem Jahr soll ein Gutachten der Hamburger Firma Georg Consult in Auftrag gegeben werden. „Es macht Sinn, ein solches Strategiepapier genau jetzt zu erarbeiten, um im nächsten Schritt, konkrete Maßnahmen überlegen zu können“, heißt es vom Unternehmerverband.

Die SPD fordert sogar seit Längerem, die frühere Industriekonferenz mit den Vertretern der größten Unternehmen in Mülheim wieder einzuberufen. „Es gab schon unter Jürgen Schnitzmeier als Chef der Wirtschaftsförderung 18 konkrete Vorschläge“, erinnert sich Rodion Bakum. Industrieland solle das Ruhrgebiet in seinen Augen unbedingt bleiben. Dazu müsse aber auch das Umfeld strategisch verbessert werden.

„Wir haben immer wieder regelmäßigen Austausch mit Vertretern aus der Wirtschaft. Wir werden ein Gesprächsformat finden, um diese Punkte nochmal zu besprechen“, versprach Felix Blasch.

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