Mülheim. „Die Leute haben wahnsinnig gejubelt, aber auch wahnsinnig gequalmt und gesoffen“: Mülheimer erinnern sich ans Fußballmärchen vom 4. Juli 1954.

„Es war einmal!“ So fangen Märchen an. Vor 70 Jahren erlebten auch Mülheimer Fußballfans ein Sommermärchen, das am 4. Juli 1954 von den „Helden von Bern“ mit dem 3:2-Finalsieg über die hoch favorisierten Ungarn im Wankdorfstadion geschrieben wurde. Sie erinnern sich an diesen Tag.

Der Saarner Manfred Rixecker erinnert sich: „Ich habe das Finale damals als Neunjähriger mit einem Freund Wolfgang zu Hause vor dem Radio gehört. Wolfgang meinte vor dem Spiel: ,Die Ungarn sind schon seit Jahren ungeschlagen und werden deshalb auf jeden Fall Weltmeister.‘ Doch es kam anders!“

Mülheimer WM-Zuschauer„Ich stand auf der Fensterbank. Die Leute um mich herum haben getobt“

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„Schon beim ersten Tor haben wir die Nachbarschaft zusammengeschrien“, erinnert sich der Vorsitzende des Mülheimer Jazzclubs, Manfred Mons. Der damals 13-Jährige hörte das „Wunder von Bern“ mit seinem Freund Klaus Ortmann im elterlichen Garten an der Gausstraße. „Ich werde die Tor-Schreie des Hörfunkreporters Herbert Zimmermann nach dem von Helmut Rahn geschossenen 3:2 nie vergessen“, erinnert sich der damals 18-jährige Walter Neuhoff, der den ersten WM-Titel Deutschlands mit seiner Mutter Mathilde vor dem Radio im Wohnzimmer an der Tersteegenstraße erlebte. „Es regnete. Das war Fritz-Walter-Wetter. Das kam den deutschen Spielern entgegen und hemmte die technisch überlegenen Ungarn, die uns in der Vorrunde mit 8:3 geschlagen hatten“, berichtet Neuhoff.

Manfred Mons

„Schon beim ersten Tor haben wir die Nachbarschaft zusammengeschrien.“

Manfred Mons
Vorsitzender des Mülheimer Jazzclubs

„Ich stand auf der Fensterbank. Die Leute um mich herum haben getobt“, erinnert sich der damals 16-jährige Horst Stachelhaus an sein Fernseh-Finale, das er in einer Saarner Gaststätte erlebte, ehe er mit der Fankurve auf der Saarner Kirmes den ersten deutschen WM-Titel feierte. „Die Fahrgeschäfte waren dort Schwarz-Rot-Gold beflaggt, was damals unüblich war“, erzählt der heute in Speldorf lebende Stachelhaus.

„Alles, auch der Fußball, war damals einfacher und nicht so aufgeblasen wie heute“

Auch der damals 19-jährige Otto Hejl, der später als Bergmann auf der Heißener Zeche Rosenblumendelle eingefahren ist, erlebte das WM-Finale 1954 vor einem Fernsehgerät in einer Gaststätte. „Der Fernsehbildschirm war nur 40 mal 40 Zentimeter groß. Die Leute haben wahnsinnig gejubelt, aber auch wahnsinnig gequalmt und gesoffen“, ruft er sich das Szenario in Erinnerung. „Alles, auch der Fußball, war damals einfacher und nicht so aufgeblasen wie heute“, erklärt Hejl die unvergleichliche Stimmung im WM-Jahr 1954.

WM-Held Helmut Rahn (Mitte) reißt die Arme hoch: Soeben hat der Essener den Siegtreffer bei der WM 1954 erzielt.
WM-Held Helmut Rahn (Mitte) reißt die Arme hoch: Soeben hat der Essener den Siegtreffer bei der WM 1954 erzielt. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content

Das sieht auch der damals 15-jährige Klaus Möltgen aus Broich so, der das Berner WM-Finale vor einem Fernsehgerät sah, das nicht in einer Gaststätte, sondern in einem italienischen Eiscafé an der Ecke Kaiserplatz/Dickswall stand. Der damals 16-jährige Rolf Christian Lütke jubelte als DDR-Flüchtling vor einem Fernsehgerät, das in der Baracke einer Notunterkunft stand. „Wir waren froh, dass wir was zu essen und ein Dach über dem Kopf hatten. Und wir freuten uns darüber, endlich im richtigen Deutschland zu sein, das jetzt auch noch Fußballweltmeister geworden war“, beschreibt Lütke seine damalige Gefühls- und Lebenslage.

Mülheimer, die keinen Fernseher hatten, verfolgten das Spiel am Volksempfänger

„Das waren einfache Leute, so, wie du und ich“, sagt der damals 15-jährige Johannes Brands, der am 4. Juli 1954 auf der Heimaterde zu Hause war und heute in Dümpten lebt. „Ich lag vor unserem alten Volksempfänger und bin ins Radio hineingekrochen, um alles ganz genau mitzubekommen“, erzählt er. „Neun Jahre nach dem Ende von Krieg und NS-Diktatur war der erste deutsche WM-Titel für viele traumatisierte und depressive Deutsche ein kollektives Aufatmen, in einem ganz neuen frohen Wir-Gefühl, das uns zeigte: Wir sind nicht nur ein Volk der Verbrecher, sondern wir können auch etwas richtig gut, zum Beispiel Fußball spielen“, blickt Brands zurück.

Die Mülheimer Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung machte am Tag nach dem WM-Sieg so auf.
Die Mülheimer Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung machte am Tag nach dem WM-Sieg so auf.
Johannes Brands

„Ich lag vor unserem alten Volksempfänger und bin ins Radio hineingekrochen, um alles ganz genau mitzubekommen.“

Johannes Brands
Ehemaliger CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat

„Ich war damals 14 Jahre alt und in einem Jugenderholungsheim im Schwarzwald. Die Schwestern, die uns dort betreuten, haben uns das Mithören der Radioreportage nicht erlaubt, weil sie das als zu aufregend für uns ansahen. Aber sie haben uns nach dem Abpfiff in Bern sofort erzählt, dass Deutschland jetzt Fußballweltmeister ist“, erinnert sich der ehemalige Bezirksbürgermeister Arnold Fessen aus Heißen. Zu den Kunden des späteren Fernseh- und Radiotechnikers gehörte auch sein Heißener Nachbar, Werner Göntgen, der ab 1951 als erster Mülheimer ein Fernsehgerät in seinem Wohnzimmer stehen hatte.

Mülheimer drückten sich die Nasen platt an den Schaufenstern des Kaufhofs

„Fritz Walter hat sich mit seinem Autogramm auf der Trommel unseres Schlagzeugers verewigt“, erinnert sich der Woodhouse-Jazz-Posaunist Horst Jansen, der zehn Jahre nach dem Wunder von Bern bei einem Brunch zu Ehren der ersten deutschen Weltmeister-Elf mit seinen Bandkollegen in Düsseldorf aufspielte. Jansen erinnert sich auch daran, „dass sich die Leute während der 54er-WM an den Schaufenstern des 1953 eröffneten Kaufhofes an der Friedrich-Ebert-Straße die Nasen plattdrückten, weil dort Fernsehgeräte ausgestellt waren. Die kosteten damals 1000 D-Mark, was einem doppelten Monatseinkommen entsprach.“

Ein Autogramm von Fritz Walter erinnert den ehemaligen Mannesmann-Archivar Horst A. Wessel an den Finalsieg von Bern, den er als Elfjähriger erlebte. „Intensiver als an das 3:2 über Ungarn erinnere ich mich an meine Ernüchterung darüber, dass die Herberger-Elf ihre ersten beiden Spiele nach dem WM-Titel gegen Belgien und Italien verlor. Ich dachte damals: Ein Fußballweltmeister muss doch alle anderen Nationalmannschaften schlagen können“, erzählt Wessel.

Die siegreiche deutsche Fußball-Nationalmannschaft vor dem Anpfiff des Endspieles der WM 1954 gegen Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion, das mit einem 3:2-Sieg endete. (V.l.n.r.) Fritz Walter, Toni Turek, Horst Eckel, Helmut Rahn, Ottmar Walter, Werner Liebrich, Jupp Posipal, Hans Schäfer, Werner Kohlmeyer, Karl Mai und Max Morlock.
Die siegreiche deutsche Fußball-Nationalmannschaft vor dem Anpfiff des Endspieles der WM 1954 gegen Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion, das mit einem 3:2-Sieg endete. (V.l.n.r.) Fritz Walter, Toni Turek, Horst Eckel, Helmut Rahn, Ottmar Walter, Werner Liebrich, Jupp Posipal, Hans Schäfer, Werner Kohlmeyer, Karl Mai und Max Morlock. © picture alliance / dpa | dpa

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