Mülheim. Ruhrstadion, Flughafen, Saliersiedlung. . . Arthur Brocke gilt als Baumeister vieler Mülheimer Gebäude. Vor 90 Jahren nahm er sich das Leben.

Warum gibt es in Speldorf eine Arthur Brocke-Allee? Und warum nahm sich Arthur Brocke vor 90 Jahren das Leben? Ein Rückblick in das deutsche Schicksalsjahr 1933.

Am 19. September 1933 berichtet die Lokalpresse über den Tod des langjährigen Mülheimer Baudezernenten Arthur Brocke. Von einem Freitod ist die Rede. Doch der fünffache Familienvater, der sich am 18. September 1933 in seinem Haus an der Bismarckstraße 31 erhängt hat, ist nicht freiwillig aus dem Leben geschieden.

Witwe des Mülheimer Baumeisters spricht später von „nervlicher Zerrüttung“

Seine Witwe Wilhelmina, die seit dem 18. September 1933 wider Willen alleinerziehende Mutter von fünf Kindern ist, berichtet 20 Jahre später in ihrem Wiedergutmachungsverfahren von einer „nervlichen Zerrüttung, die ihren pflichtbewussten und lebensfrohen Mann in den Tod getrieben habe, weil er die Schande des ihm angetanen Unrechts nicht verwinden konnte.“ Auch ihre Kinder, so berichtet Wilhelmina Brocke im gleichen Zusammenhang, „sind in ihrem Schul- und Berufsleben durch den Tod ihres Vaters benachteiligt worden“.

Das Unrecht, von dem Wilhelmina Brocke berichtet, geht 1933 von der NSDAP aus. Sie stellt seit der Kommunalwahl am 12. März 1933 mit Wilhelm März den Oberbürgermeister. Den politischen Ton gibt aber Karl Camphausen an. Er residiert als hauptamtlicher Kreisleiter der NSDAP vis-à-vis des Rathausturm-Eingangs im Horst-Wessel-Haus an der Hindenburgstraße, die wir heute als Friedrich-Ebert-Straße kennen.

„Schwarze Liste“ der NSDAP führt republiktreue Rathaus-Mitarbeiter auf

Arthur Brocke
Arthur Brocke © Unbekannt | FFS

Die NSDAP stellt eine „Schwarze Liste“ auf. Auf ihr stehen 22 republiktreue Mitarbeitende, die sie umgehend aus ihren Ämtern entlassen sehen will. Einer von ihnen ist der parteilose Baudezernent Arthur Brocke. Gegen Brocke, den der Stadtrat 1919 und 1931 für jeweils zwölf Jahre im Amt bestätigt hat, erheben die Nationalsozialisten den Vorwurf der Veruntreuung von Steuergeld. Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren schon bald ein und ordnet die Freilassung des zwischenzeitlich verhafteten Beigeordneten an. Denn sie kann keine Beweise für seine Untreue findet.

Dennoch erreicht die NSDAP, die mit der Deutschnationalen Volkspartei die Ratsmehrheit stellt, dass der an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ausgebildete Bauingenieur Brocke zwangspensioniert wird und ein Viertel seiner Pension verliert. Außerdem wird Brocke vor und in seinem Haus „von SS-Trupps bedroht“, wie seine Witwe später aussagen wird. Möglich wird diese Rufmordkampagne gegen einen bis dahin hoch angesehenen Baumeister der Stadt, weil die NSDAP seit dem 30. Januar 1933 mit Hermann Göring den preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister stellt, dem die Kommunalverwaltung untersteht.

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Brocke in Mülheim verantwortlich für Bau des Ruhrstadions, des Flughafens und mehr

Mülheim hat Brocke unter anderem den Bau des Styrumer Ruhrstadions, des Flughafens, der heutigen Realschule Stadtmitte sowie der Wohnsiedlungen Witthausbusch und Salierstraße zu verdanken. Schon 1919 hat der 1884 in Aachen geborene Brocke sein Credo als Baudezernent formuliert: „Sparsame Verwendung der Mittel bei Beachtung von Schönheit und Gesundheit.“

Die Saliersiedlung in Mülheim-Broich: Arthur Brocke zeichnete für deren Bau verantwortlich.
Die Saliersiedlung in Mülheim-Broich: Arthur Brocke zeichnete für deren Bau verantwortlich. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Dass Brockes Leistungen und Verdienste um die Stadt nicht vergessen sind, zeigen ein positiver Nachruf in der Mülheimer Zeitung und die von der NSDAP-nahen Nationalzeitung ebenso heftig kritisierte Trauerpredigt des evangelischen Altstadtpfarrers Harry Lepper. Lepper und die de facto bereits gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung nennen die Verdienste des verstorbenen Beigeordneten und weisen darauf hin, „dass man die Verdienste Brockes in ruhigeren Zeiten als diesen besser und umfassender zu würdigen wissen wird“.

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Pfarrer riskiert mit seiner Würdigung Brockes Affront mit den Mülheimer Nazis

Lepper geht in seiner Predigt vor einer großen Trauergemeinde, die sich am 21. September 1933 in der Kapelle des Hauptfriedhofes versammelt hat, noch weiter, wenn er Brocke als einen „starken, klaren und sicheren Mann“ beschreibt, dem die „kalten und harten Dinge unserer gegenwärtigen Welt sein Lebensfundament zerstört haben.“ Lepper betont, „dass der barmherzige und gnädige Gott Brocke verzeihen werde, dass er dem auf ihn ausgeübten Druck nicht standgehalten habe.“ Er warnt seine Zuhörer, sich nicht vom „oberflächlichen Zeitgeist dazu verleiten zu lassen, aus Neid heraus Menschen zu verleumden und zu quälen“.

Ein Stolperstein an der Bismarckstraße erinnert an Mülheims früheren Baudezernenten Arthur Brocke.
Ein Stolperstein an der Bismarckstraße erinnert an Mülheims früheren Baudezernenten Arthur Brocke. © Unbekannt | FFS
In diesem Haus an der Bismarckstraße hat Mülheims Baudezernent Arthur Brocke bis zu seinem Selbstmord 1933 gewohnt.
In diesem Haus an der Bismarckstraße hat Mülheims Baudezernent Arthur Brocke bis zu seinem Selbstmord 1933 gewohnt. © Unbekannt | FFS

NSDAP und Nationalzeitung erkennen ein Misstrauensvotum gegen die NS-Führung. Deshalb raten sie dem „Mann im Priesterkleid“, sich „zukünftig besser zurückzuhalten“ und den Selbstmord des „trübsinnigen“ Beigeordneten „pietätvoll in den Mantel des Schweigens“ zu hüllen.

Nach 28 Jahren wird Pfarrer Lepper die evangelische Altstadtgemeinde verlassen. Arthur Brockes Witwe erhält 1953 eine finanzielle Wiedergutmachung, zwei Jahre später wird es in Speldorf eine Arthur-Brocke-Allee geben. Und seit 2007 erinnert ein „Stolperstein“ vor seinem ehemaligen Wohnhaus an der Bismarckstraße 31 an das NS-Opfer Arthur Brocke.

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