Mülheim. Das Museum Temporär stellt die Pläne einer nie vollendeten Bauhaus-Siedlung im Forstbachtal vor. Haben die Nazis dieses Schmuckstück verhindert?

Der Weg zur unvollendeten Bauhaus-Siedlung im Forstbachtal führt über eine rätselhafte, zugewachsene Treppe, die Klaus Beisiegel, Referent im Baudezernat, im Nirgendwo nahe der Bergerstraße zwischen Menden und Raadt entdeckte. Gehörte sie zu den Plänen, die die Stadt Mülheim um 1929 schmiedete? Und warum ist diese architektonische Besonderheit nach dem Vorbild der Stuttgarter Weißenhofsiedlung nie gebaut worden?

Ausgearbeitet bis hin zum Modell

Denn ausgearbeitet bis hin zum Modell mit einer elegant geschwungenen Straße und gut 20 charakteristisch-kubischen Wohnquadern war die Siedlung bereits, vorbereitet bis hin zu den einzelnen Flurstücken – so zeigt es sich in den Unterlagen des Katasteramtes. Und in der Formsprache ganz dem Bauhaus verpflichtet. Beisiegel ist sich sicher, es muss einen Ratsbeschluss dafür gegeben haben: „Sie wäre ein Schmuckstück und ein Magnet für Mülheim geworden.“

Warum wurde sie dann nie gebaut? Vielleicht, weil sich am Ende keine Investoren fanden, die das Projekt umsetzen konnten. Oder wollten? Denn schließlich hatten die Nazis um 1930 schon Stunk gemacht um das Vorbild Weißenhofsiedlung. Die weißen Stadthäuser in Stuttgart seien ein „Araberdorf“, diffamierten sie. In Mülheim nahmen SS-Schergen 1933 den damaligen, verantwortlichen Oberbaurat und Werkbund-Mitglied Arthur Brocke aus dem Dienst und in Schutzhaft, diffamierten auch ihn, bis er sich das Leben nahm. Heute erinnert ein Stolperstein an der Bismarckstraße 31 an Brocke – eines der Opfer der Nationalsozialisten. 1934 wurde der Werkbund, dessen Mitglieder die Idee der Siedlung vorangebracht hatten, aufgelöst.

Architekten von Rang und Namen

Die Pläne für die Mustersiedlung waren damit vom Tisch und vergessen. Die Ecke – eigentlich oberhalb des Forstbachtals – ist ein Ackerland mit Bewaldung geblieben. Der heutige Gewinn an Natur ist zumindest kulturell ein Verlust. Die damalige Krone deutscher Architektenkunst hatte jedes einzelne Haus schon ausgearbeitet. Die Vorgabe: 18.000 Mark Bausumme.

Manche von ihnen haben Mülheims schönste Ecken geprägt: Emil von Fahrenkamp, der etwa für die Kirche St. Mariae Geburt am Kirchenhügel verantwortlich war, entwarf allein fünf zwei- und eingeschossige Siedlungsgebäude im charakteristischen Bauhaus-Stil mit Flachdächern und funktionaler Raumaufteilung. Pfeiffer und Grossmann, die vom Rathaus bis zur Stadthalle und Wasserbahnhof unzählige Mülheimer Bauten prägten, fertigten die Pläne für zwei Häuser an. Theodor Suhnel – Architekt der Siedlung Heimaterde – war mit im Boot ebenso wie Edmund Körner (Synagoge Essen), Georg Metzendorf (Margarethenhöhe) und natürlich auch Arthur Brocke.

Mülheim – Treuhänder der Natur

Vergessen? Nun, nicht ganz. Die Werkbund-Zeitschrift „Die Form“ von 1929 berichtet in der 14. Ausgabe von den

Siedlungsplänen an der Berger Straße und der Ruhrstadt: „Mülheim rettet sich durch seine topografische Struktur, durch seinen besonderen Charakter einer Hügelstadt. Sie ist das Schönste und Beste im Industriebezirk“, heißt es dort überschwänglich. Mülheim sei ein Treuhänder der Natur. Entsprechend groß – 1500 Quadratmeter – sollten die Einzelgrundstückfläche bleiben. Eine Siedlung in diese Topologie zu setzen galt als Herausforderung, schon die 400 Meter lange Siedlungsstraße stieg von West nach Ost um 4 Prozent an.

Und die Treppe? „Sie hat nichts mit der Siedlung zu tun“, hat Beisiegel am Ende seiner Recherchen feststellen müssen – zu weit entfernt. Warum das gut zwölf Meter breite Unding so mitten in der Landschaft steht? Das Rätsel muss Beisiegel noch knacken.