Mülheim. Jetzt ist es raus: Stahlrohr-Produzent Vallourec will seine traditionsreichen Werke in Mülheim und Düsseldorf schließen. Das sind die Details.
Der Verwaltungsrat des französischen Stahlrohr-Konzerns Vallourec hat die Suche nach einem Investor für seine beiden deutschen Werke in Mülheim-Dümpten und Düsseldorf-Rath für beendet erklärt. Die Werke sollen schließen. 2400 Beschäftigte stehen absehbar auf der Straße.
Zur Quartalsbilanz und nach Börsenschluss kam die befürchtete Nachricht für die Belegschaften. Um 18.22 Uhr verkündete Vallourec, „den Schließungsprozess für seine beiden Werke in Nordrhein-Westfalen einzuleiten“. Die Produktion solle Ende 2023 eingestellt werden, hieß es.
Vallourec-Werke in Düsseldorf und Mülheim: Verkauf ist gescheitert
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Im November 2021 hatte Vallourec seine Werke zunächst zum Verkauf feilgeboten. Nun, ein halbes Jahr später, heißt es, keines der vorgelegten Angebote habe eine nachhaltige Zukunftssicherung der Produktionsstandorte erkennen lassen. Zuletzt waren bekanntlich noch drei Finanzinvestoren im Rennen. Allerdings, so hatte es die Runde gemacht, sollen diese kein Geld für die Übernahme der Werke geboten haben. Die Interessenten sollen von Vallourec noch dreistellige Millionensummen eingefordert haben, weil ja etwa auch Betriebsrenten und kostspielige Betriebsvereinbarungen zu übernehmen gewesen wären.
„Uns ist bewusst, dass die beabsichtigte Schließung für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien einen tiefen Einschnitt darstellt“, sagte Philippe Guillemot, Vorsitzender des Verwaltungsrates und CEO der Vallourec-Gruppe, am Abend. Eine Fortführung der deutschen Betriebe unter dem eigenen Dach schloss er aus: „Die Produktion nahtloser Stahlrohre ist für uns in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr darstellbar.“
Vallourec-Werke schrieben in jüngster Vergangenheit 700 Millionen Euro Verlust
Vallourec Deutschland stellt vor allem nahtlose Stahlrohre für den Öl- und Gasmarkt sowie industrielle Anwendungen im Maschinen- und Stahlbau her und schreibt seit sieben Jahren hohe Verluste – 700 Millionen Euro Verlust sind seit 2015 angefallen. Ursache dafür sind laut Vallourec „Überkapazitäten in der Branche, sinkende Margen, aber auch externe Schocks wie diverse Ölkrisen, Strafzölle aus China, die Corona-Krise sowie der von Russland begonnene Krieg in der Ukraine mit dramatischen Auswirkungen auf Vormaterial- und Energiepreise“.
Arbeitnehmervertreter beklagten in der Vergangenheit, der Konzern habe mit dem Aufbau einer Produktionsstätte in Brasilien selbst die lukrativen Geschäfte aus Deutschland abgezogen und zu wenig investiert in Zukunftsmärkte.
Verwaltungsrats-Chef: Wettbewerbsfähigkeit ist nicht zu erreichen
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Vallourec verwies auf die zahlreichen Sanierungsmaßnahmen der jüngeren Vergangenheit, etwa die Schließung des Rohrwerks in Düsseldorf-Reisholz im Jahr 2020, einen Personalabbau seit 2015 von insgesamt rund 1400 Beschäftigten sowie mehrere Spar- und Restrukturierungsprogramme. Trotz aller Bemühungen sei bis heute kein kostendeckender Betrieb der deutschen Standorte möglich.
Auch der Produktbereich Erneuerbare Energien werde die Situation nicht wesentlich verbessern, da sich in Deutschland der Umsatzanteil in diesem Bereich zurzeit lediglich auf ein Prozent belaufe und laut Prognosen auch in fünf Jahren maximal auf zehn Prozent des Umsatzes ansteigen werde, hieß es zu einem Konzept, dass die Arbeitnehmerseite zur Zukunft der Werke mit externem Fachbeistand vorgelegt hatte. Jene Überlegungen, die auch das Management angestellt habe, könnten „keinen langfristig wettbewerbsfähigen Weiterbetrieb garantieren“. Man müsse schließen, um nicht „im schlimmsten Fall mittelfristig die Weiterexistenz der gesamten Vallourec-Gruppe gefährden“, so Guillemot.
Vallourec will Gespräche über Interessenausgleich und Sozialplan führen
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Vallourec will nun zeitnah Gespräche mit den Betriebsräten und der IG Metall über einen Interessenausgleich und Sozialplan aufnehmen. „Wir sind daran interessiert, dass für die Menschen, mit denen wir so lange zusammengearbeitet haben, eine faire und anständige Lösung gefunden wird“, sagte Guillemot. „Wir bemühen uns, die Auswirkungen so stark abzumildern wie angesichts der Gesamtsituation möglich.“ Bekanntlich steht seitens der Arbeitnehmervertreter allerdings die Forderung im Raum, einen Sozialtarifvertrag auszuhandeln. Der Forderungskatalog ist lang und würde, sollte er nur ansatzweise durchgesetzt werden, für den französischen Konzern einen kostspieligen Ausstieg bedeuten.
Am Abend waren Beschäftigte aufgerufen, sich im Dümptener Werk zu versammeln, um sich bis Mitternacht mit Betriebsrat und IG Metall auszutauschen. Auch einige Kollegen aus den ehemaligen Schwesterwerken von Europipe und Mannesmann Grobblech sind rübergekommen zum Vallourec-Gelände, um Trost zu spenden. „Es herrscht hier große Betroffenheit. Es ist schon hart, wie Vallourec mit den Leuten hier umgeht, sagte Dirk Horstkamp, Sekretär der IG Metall in Mülheim. Die Belegschaft habe alles in die Waagschale geworfen.
Große Betroffenheit: „Es ist schon hart, wie Vallourec mit den Leuten hier umgeht“
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Letztlich sei dem Arbeitgeber, der in der Kommunikation mit Belegschaft und Gewerkschaft stets nur „Dienst nach Vorschrift“ gemacht habe, kein ernsthaftes Ansinnen zur Rettung der Arbeitsplätze zu bescheinigen. Die nun bevorstehenden Werksschließungen seien Ergebnis eines drehbuchartig abgespulten Prozesses in den vergangenen Monaten. Es sei Vallourec nur darum gegangen, „möglichst schnell den Kopf aus der Schlinge zu bekommen“, kritisierte Horstkamp, dass nicht tiefergehend mit der Arbeitnehmerseite ein Fortführungskonzept erarbeitet worden sei.
„Das Management ist sogar so feige, dass es erst am Freitag vor die Mannschaft treten will, um sie zu informieren“, brachte Betriebsratschef Ousama Bouarous am Abend seinen Frust zum Ausdruck. Den Konzernlenkern sprach er einen ernsthaften Willen ab, in den vergangenen Monaten nach Lösungen Ausschau zu halten, die zumindest einem Teil der Belegschaft hätte Beschäftigung sichern können. „Tradition, Geschichte geht hier zu Ende, Existenzen werden über Bord geworfen“, so Bouarous zum nahenden Ende des einst stolzen Mannesmann-Betriebes. Bestürzung und Enttäuschung seien „kaum in Worte zu fassen. Alle sind am Boden zerstört.“
Betriebsrats-Chef: „Werden unseren letzten Arbeitskampf bis zum Ende durchziehen“
Bouarous kündigte wie IG Metall-Sekretär Horstkamp einen entschiedenen Arbeitskampf für einen Sozialtarifvertrag an. Mit einem Interessen- und Sozialausgleich wollen sich die Arbeitnehmer nicht zufriedengeben. Bouarous hält zeitnah erste Warnstreiks für möglich. „Der Sozialtarifvertrag wird ordentlich teuer. Er wird dem Konzern ordentlich wehtun müssen, denn wir wollen die sozialen Nachteile für unsere Kollegen so gut wie möglich abfedern. Es ist unser letzter Arbeitskampf, den wir bis zum Ende durchziehen werden.“
„Wir sind in Gedanken bei den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz verlieren, und deren Familien, die um ihre Existenz fürchten“, reagierte am Abend prompt OB Marc Buchholz. Er zeigte sich „enttäuscht, dass die betroffenen Städte nicht vorab von der Geschäftsführung erneut angesprochen und informiert wurden.“ Eine Rettung auch mit Bundes- und oder Landesmitteln hätte nochmals besprochen werden können, so der OB.
Mülheims Stadtrat will schon am 24. Mai Vorkaufsrecht für Vallourec-Areal sichern
Wirtschaftsdezernent Felix Blasch bedauerte, dass mit dem Niedergang von Vallourec „eine für Mülheim traditionelle Sparte der Industrielandschaft verloren gehe“. Jetzt müsse man zügig mit dem Unternehmen ins Gespräch kommen, „wie wir möglichst bald neue Firmen und Arbeitsplätze auf der Fläche ansiedeln können“, sagte er mit Blick auf den anstehenden Beschluss des Stadtrates, sich in einer Sondersitzung am 24. Mai ein Vorkaufsrecht für das 35 Hektar große Areal zu sichern. Circa 35 Millionen Euro dürfte das Areal wert sein.
„Ich hoffe, dass auch Vallourec seinen Teil der Verantwortung für die Zukunft des Standortes Mülheim erkennt“, so Blasch. Der OB kündigte derweil an, sich mit Düsseldorfs OB Stephan Keller austauschen zu wollen, „um möglichst gemeinsam für die Vallourec-Belegschaft das zu tun, was uns möglich ist“. Dabei werde man sicherlich auch Verbindungen zum Land NRW nutzen.