Mülheim. . Gerhard Oelschlegel arbeitete 45 Jahre bei Vallourec und vertrat 25 Jahre lang als Betriebsrat die Interessen der Belegschaft. Jetzt ist er im Vorruhestand und hat Zeit für seinen anderthalbjährigen Enkel, die Hunde und seine Frau, die oft abends auf ihn warten musste.

Vallourec steht weiterhin unter Druck. Die Nachfrage bei den traditionellen Produkten geht zurück, gleichzeitig wurden weltweit Überkapazitäten geschaffen und drängen die Chinesen auf den europäischen Markt. Über 350 Beschäftigte wurden in den vergangenen fünf Jahren sozialverträglich abgebaut. Inzwischen sind die Arbeitszeitkonten leer und Altersteilzeitregelungen weitgehend ausgeschöpft. Einer, der 2015 in die passive Phase wechseln musste, ist Gerhard Oelschlegel. Vor 46 Jahren hatte er an der Schützenstraße seine Ausbildung begonnen, als noch der Name Thyssen am Werkstor stand. 1990 wurde er in den Betriebsrat gewählt, 15 Jahre stand er ihm vor.

Gerade hatte er mit dem Unternehmen die Betriebsvereinbarung Streamline 3 unterschrieben und blickte verhalten optimistisch in die Zukunft. Mit ruhigem Gewissen hatte er die Aufgaben seiner Nachfolgerin Angelika Kirchholtes übertragen. „Die Geschichte wiederholt sich“, sagt er rückblickend. Was in den 70er-Jahren die Konkurrenz der Japaner war, ist heute die aus China. Die Anforderungen an einen Betriebsrat haben sich gewandelt. 1972, da hatte er gerade seine Dreherlehre beendet, wurde die zweite Konti-Straße eröffnet, mit dem das Werk eines der modernsten weltweit war. 13 000 Beschäftigte waren in ihm tätig. Die Jahrhundert-Hochzeit der Konzerne Thyssen und Mannesmann lag gerade zwei Jahre zurück.

„Ich konnte gut zuhören und erklären“

20 Jahre lang hat er in allen möglichen Schichten in der Produktion gestanden. Kollegen drängten ihn, zu kandidieren. „Ich konnte gut zuhören und erklären.“ Außerdem war er mit der Arbeit des Betriebsrates nicht zufrieden. Zu seiner Überraschung wurde er 1990 gewählt und weil er nicht meckern, sondern etwas verändern wollte, hat er mit den Kollegen gesprochen. Die hätten den Jungspund zunächst nicht ernst genommen. Ernüchternd war für Oelschlegel, als er ihnen erzählen wollte, dass die erste Konti-Straße stillgelegt und in Brasilien neu aufgebaut werden soll. Die Kollegen aber interessierte, wann die Handys zum Vorzugstarif von Mannesmann kommen. Seitdem weiß er, Betriebsratsarbeit bedeutet: „individuelle Wünsche kollektiv regeln“.

Ein hoher Organisationsgrad von 97 Prozent und eine Belegschaft, die ihn bei der Persönlichkeitswahl mit über 80 Prozent wählte, machten den Betriebsrat stark. Aber über die Möglichkeiten der Montan-Mitbestimmung sollte man sich keine Illusionen machen, zumal Vallourec zu einem französischem Konzern zählt. Dass sie es schafften, einen europäischen Betriebsrat zu installieren, hält er für eine wichtige Errungenschaft.

Nun Zeit für Enkel, Hunde und Frau

Ihm ist einiges gelungen: „Wir konnten vor über zehn Jahren, als die Auftragslage gut war, gegen den Widerstand der Belegschaft und der Arbeitgeber Arbeitszeitkonten einrichten“, erzählt er. „Die nehmen uns etwas“, lautete die Befürchtung. Als die Flaute einsetzte, hatten sie ein Polster. Eine ähnliche Idee stand hinter dem Leiharbeit-Konzept. „Für diese Kollegen haben wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Bonuszahlungen erreicht.“ Dass Leiharbeiter dann über acht Jahre lang beschäftigt waren, ohne zur Stammbelegschaft zu zählen, kreidet er sich rückblickend als Fehler an. Auch das Schichtmodell geht auf eine Betriebsratsinitiative zurück, die der Betriebsarzt angeregt hatte. „Früher arbeitete man eine Schicht eine Woche lang. Das hält der Körper aber nicht durch“, erzählt er. Heute wechselt man jeden dritten Tag.

Jetzt hat der 60-Jährige Zeit für seinen anderthalbjährigen Enkel, die Hunde und seine Frau, die oft abends auf ihn warten musste.