Mülheim. Am Mittwoch geht es für 2400 Vallourec-Beschäftigte aus Mülheim und Düsseldorf um alles. Droht das Aus? Was die IG Metall jetzt fordert.
An diesem Mittwoch soll die Entscheidung fallen, ob die Werke des Stahlrohrproduzenten Vallourec in Mülheim und Düsseldorf an einen Finanzinvestor verkauft, nach einer radikalen Schrumpfkur und Neuausrichtung im Produkt-Portfolio unter Vallourec-Führung fortgeführt oder gar von Vallourec selbst komplett geschlossen werden. Die Signale sind keine guten für insgesamt 2400 Beschäftigte. Die IG Metall hat schon jetzt konkrete Forderungen für einen Sozialtarifvertrag gestellt, der für alle drei Szenarien auszuhandeln sei.
Die Mitglieder der betrieblichen Tarifkommission der IG Metall bei Vallourec forderten aktuell noch einmal die Fortführung der zwei deutschen Werke. Den Vallourec-Konzern zitieren sie an den Verhandlungstisch: zur Aushandlung eines Sozialtarifvertrags. „Den brauchen wir sowieso“, verkündete die Gewerkschaft via Extra-Ausgabe ihrer Stahlnachrichten.
„Wir müssen davon ausgehen, dass Vallourec keinen Käufer findet“
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Die IG Metall zeigt sich vor der Sitzung des Konzern-Verwaltungsrates am Mittwoch skeptisch, ob tatsächlich noch alle aufgezeigten Szenarien zur Entscheidung stehen. „Wir müssen davon ausgehen, dass Vallourec keinen Käufer für die beiden deutschen Werke findet“, heißt es da. Vielmehr sei „mit dem Schlimmsten zu rechnen“: dass Eigentümer- und Vorstandsvertreter im Vallourec-Verwaltungsrat am Mittwoch die Entscheidung treffen, die Werke auf eigene Rechnung stillzulegen und „die Reste des Unternehmens auszuschlachten“.
Das dritte Szenario wäre – trotz ebenso harter Einschnitte, die nötig würden – eine Fortführung der Stahlrohrproduktion in Mülheim und Düsseldorf. Mit der Beraterfirma Q&A Banner Küster hatte die Arbeitnehmerseite hierfür ein eigenes Konzept vorgelegt, das auf die Spezialisierung der Produktion für Absatzmärkte in den Energiewende-Segmenten Wasserstoff, Geothermie, Offshore-Wind und Solar setzt. „Wir sind fest davon überzeugt, dass Vallourec noch eine Chance hätte, gerade jetzt, wo das Geschäft mit Stahlrohren wieder anzieht“, heißt es in den Stahlnachrichten.
Betriebsrat des Mülheimer Werkes nahm keine positiven Signale in Paris wahr
Da aber auch das Restrukturierungs-Konzept der Arbeitnehmerseite von „schmerzlichen Einschnitten“ mit dem Verlust von 600 bis 700 der rund 2400 Arbeitsplätze in Mülheim und Düsseldorf rechnet, hält es die IG Metall auch für diesen Fall schon jetzt für geboten, gemeinsam mit der Arbeitgeberseite nicht nur über eine Betriebsfortführung, sondern auch über sozialverträgliche Lösungen zu verhandeln.
Die Vorstellungen der Gewerkschaft liegen dabei schon auf dem Tisch. Mit aller Entschlossenheit, womöglich auch Streiks, wolle man für die Abfederung sozialer Härten kämpfen. Ab sofort sei die Belegschaft streikfähig, weil nun die Forderung nach einem Sozialtarifvertrag gestellt sei, betonte am Dienstag Betriebsrat Ousama Bouarous gegenüber dieser Redaktion.
Er zählte zuletzt beim Protest in Paris zur Delegation, die zum Gespräch mit Vorstandsmitgliedern in die Konzernzentrale gelassen worden war. Bouarous berichtet von ernüchternden Aussagen der Konzernlenker. Die Interessen würden den Managern zufolge zu viel Geld für die Übernahme fordern. Auch dem Fortführungskonzept der Arbeitnehmerseite stünden die Manager kritisch gegenüber; „es weist ihnen zu wenig Cash auf“.
Betriebsrat bemängelt am Tag vor der Entscheidung weiter mangelnde Transparenz
Auch ein Termin am vergangenen Freitag bei den Konzern-Verantwortlichen für den Verkaufsprozess hat für Bouarous nicht jene Informationstiefe und Transparenz gebracht, die man eingefordert hatte zu den drei Angeboten der Finanzinvestoren. Es seien der Arbeitnehmerseite nicht die kompletten Angebote vorgelegt worden zur Einsicht, so der Betriebsratschef. Lediglich sei eine Präsentation gezeigt worden, mit der wenige Kriterien deutlich geworden seien. „So können wir die Angebote gar nicht in der Form begutachten, ob sie gut oder schlecht sind“, so Bouarous.
Für einen Sozialtarifvertrag steht allem voran die Forderung der Arbeitnehmer nach einer nach Beschäftigungsjahren gestaffelten Abfindung, mit bestimmten Boni etwa für Mitarbeiter mit steuermindernd anerkannten Kindern, für Gewerkschaftsmitglieder oder Schwerbehinderte.
Mittwoch droht das Ende eines guten Stücks Mülheimer Wirtschaftsgeschichte
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Darüber hinaus sollen nach Vorstellungen der Tarifkommission jüngere Beschäftigte (Geburtsjahr 1967 und jünger) eine Zulage von 500 bis 1100 Euro pro angefangenem Beschäftigungsjahr erhalten. Beschäftigte der Jahrgänge 1966 und älter sollen bei 90 Prozent Nettogehalt bis zum ihrem 65. Lebensjahr in Altersteilzeit gehen können. Für eine Mindestlaufzeit von drei Jahren wird eine Transfergesellschaft gefordert und ein Nettogehalt für dorthin wechselnde Mitarbeiter von netto ebenfalls 90 Prozent.
Des Weiteren fordert die IG Metall bis zum möglichen Produktionsstillstand eine „Motivationsprämie“ in Höhe von monatlich 1000 Euro je Mitarbeiter und eine Sicherstellung, dass Ausbildungen bis zum Abschluss weiterlaufen können. Letzter Punkt im üppigen Forderungskatalog: Zur vollständigen Sicherung der betrieblichen Altersvorsorge (Betriebsrente) soll der Konzern den dafür vorgehaltenen Treuhandfonds auf eine Viertelmilliarde Euro aufstocken.
Die Geschäftsführung äußerte sich am Dienstag auf Anfrage nicht zu den Forderungen – auch nicht zum morgigen Tag, an dem womöglich der Vallourec-Verwaltungsrat das Ende eines guten Stücks Mülheimer Wirtschaftsgeschichte besiegelt.