Moers. Einige Gefangene in Moers-Kapellen haben Weihnachten keinen Freigang. Wie verbringen sie das Fest? Zwei Männer teilen ihre emotionale Geschichte.
Den Gedanken an das Weihnachtsfest wollte Marvin Köhler so lange wie möglich verdrängen. Aber wenn der 52-Jährige mit dem gepflegten Erscheinungsbild und den braunen Locken abends auf der Matratze in seinem Mehrbettzimmer in der JVA Moers-Kapellen liegt, holt ihn die Wehmut ein. Marvin, der eigentlich anders heißt und seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, weiß noch nicht, wie es ist, die Weihnachtsfeiertage im Gefängnis zu verbringen. Klar ist: Es wird anders.
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In den letzten Jahren half Marvin ehrenamtlich bei der Vorbereitung des Heiligen Abends in seiner Kirchengemeinde und genoss die Zeit im Kreise der Familie. Seine Ehefrau, die Schwiegermutter, Neffen und Nichten, sie alle kamen zusammen, aßen und beschenkten sich gegenseitig. In diesem Jahr wird die Bescherung ohne ihn stattfinden. Weil er zu einer Haftstrafe von 1,5 Jahren wegen Computerbetrugs in mehreren Fällen verurteilt worden ist. „Ich war leichtsinnig“, gibt er offen zu. Im Internet hatte er Bahnfahrkarten für den eigenen Gebrauch gebucht und dann die Zahlung vereitelt. „Das wird schon nicht so schlimm sein, dachte ich lange. Bis man dann hier landet.“
Offener Vollzug in Kapellen: Häftling nennt Unterschiede zu geschlossenem Vollzug in der JVA Essen – sogar Handys sind erlaubt
Die ersten vier Monate seiner Haftstrafe saß Marvin Köhler im geschlossenen Vollzug in der Essener Justizvollzugsanstalt ab. Anfang Dezember konnte er nach Kapellen in den offenen Vollzug wechseln. „Hier habe ich im Vergleich zur Geschlossenen ein Stück Freiheit zurückbekommen“, sagt der 52-Jährige mit dankbarem Blick.
In Essen musste er 23 Stunden am Tag in seiner Zelle verbringen. Dagegen darf er im Moerser Süden, wenn nicht gerade Gesprächstermine mit Sozialarbeitern oder Psychologen anstehen, zwischen den Zählungen morgens um 7 und abends um 19.30 Uhr im grünen Innenhof spazieren, im Café Snacks und Getränke kaufen oder am Münztelefon (20 Cent für vier Minuten) den Kontakt zur „Außenwelt“ wahren. Abends gibt es sogar eine halbe Stunde Handyzeit. „Das nenne ich einen Luxus“, ist Marvin überzeugt.
Offener Vollzug in der JVA Moers-Kapellen: Nicht alle Häftlinge haben schon Freigang
Aber all das kann den „echten“ Kontakt zur Familie nicht ersetzen. Obwohl Marvin im offenen Vollzug ist, darf er das JVA-Gelände noch nicht verlassen. Freigang bekommen Inhaftierte erst nach vier Wochen, wenn sie sich selbst gestellt haben, bzw. nach sechs Wochen, wenn sie festgenommen wurden. So kommt es, dass ein Drittel der rund 250 inhaftierten Männer in Kapellen während der Weihnachtsfeiertage nicht nach Hause gehen darf.
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Dazu zählt Marvin Köhler, der sich erst ab Januar außerhalb der Justizvollzugsanstalt bewegen darf. Dann, so hofft er, kann er seine Arbeit wieder aufnehmen. „Meine Frau zahlt die Miete im Moment allein, ich will etwas beisteuern können.“ Zusätzlich darf er dann zehn Stunden in der Woche Freizeit außerhalb verplanen. Wenn er immer pünktlich zurückkehrt und keine Drogen nimmt, vergrößert sich das Stundenkontingent auf 20. Später dürfte er sogar eine begrenze Anzahl an Langzeitausgängen in Anspruch nehmen und im heimischen Bett übernachten. Bis dahin ist er auf Besuch angewiesen, wenn er seine Liebsten sehen will.
Gefängnis in Moers-Kapellen verlängert die Besuchszeiten über die Feiertage – Geschenke erlaubt
So auch über die Feiertage. „Am ersten Weihnachtstag besucht mich meine Frau“, sagt der Gefangene und lächelt. An diesem Tag ist die Besuchszeit erst nach eineinhalb statt wie sonst nach einer Stunde vorbei. Sogar eine kleine Bescherung dürfte im Besuchsraum stattfinden, vorausgesetzt, die Geschenke kommen durch den Sicherheitscheck an der Pforte: „Trotzdem kann ich mich mit dem Gedanken an ein Weihnachtsfest im Gefängnis nicht richtig anfreunden.“
Ganz anders blickt David Lohmann (auch hier hat die Redaktion den Namen geändert) auf die bevorstehenden Feiertage. Kontakt zu seiner Familie hat er nicht, denkt aber oft an seine zwei Schwestern. „Ich will sie nicht belasten, weil ich mein Leben nicht im Griff habe“, bekennt der 42-Jährige mit der Trainingsjacke und dem Dreitagebart. „Weihnachten verbringe ich draußen meistens alleine, möglichst schlafend.“ So versucht er, die einsame Zeit schnellstmöglich rumzukriegen.
Häftling David sitzt Ersatzfreiheitsstrafe über Weihnachten in Moerser Gefängnis ab
Schon mehrmals war er inhaftiert, auch im geschlossenen Vollzug. „Früher habe ich mehr Scheiße gebaut als heute“, blickt David zurück. Aber wie kam er überhaupt in diese Situation? Gründe gebe es mehrere, auch wenn diese seine Taten nicht rechtfertigen würden: „Ich bin nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen und ziemlich früh, mit 13, an Drogen geraten. Dazu kommt, dass ich lange Einzelkind war und nicht damit umgehen konnte, dass meine Schwestern plötzlich mehr Aufmerksamkeit bekommen haben.“
Er habe das falsche Umfeld gehabt und früh gelernt, wie man Autos aufbricht. Es folgten verschiedene Diebstahl- und Einbruchsdelikte mit der Hoffnung auf das schnelle Geld. Diese Zeiten hat David hinter sich gelassen, wie er beteuert. In der JVA Kapellen ist er wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert, nachdem er mehrere Raten einer offenen Rechnung nicht zahlen konnte. Jeder Tag im Gefängnis senkt den Betrag um zehn Euro. Hätte er die noch fälligen 670 Euro bis zum 20. Dezember aufbringen können, wäre der 42-Jährige noch vor Weihnachten entlassen worden und hätte das Fest in seiner betreuten Wohngruppe verbringen können.
Gefangenen-Förderverein Moers-Kapellen besorgt Weihnachtsgeschenke für Inhaftierte
Doch David Lohmann hat sich ebenso auf den Fall vorbereitet, während der Feiertage in Kapellen zu bleiben. „Ich habe hier einige Leute, mit denen ich mich gut verstehe. Wir wollen zusammen ein schönes Gericht kochen und Zeit miteinander verbringen.“ Was er noch nicht weiß: An Heiligabend bekommen alle Häftlinge eine Weihnachtstüte vom Gefangenen-Förderverein Moers-Kapellen e.V. Bei dieser Aktion stellen Vollzugsbedienstete, die sich privat engagieren, für die Inhaftierten ohne Freigang über die Feiertage nette Kleinigkeiten wie Süßigkeiten, Kaffee und Duschgel zusammen – und bringen so einen Hauch von Weihnachtsstimmung in die Vollzugsanstalt.
Die JVA in Moers-Kapellen
Die JVA in Moers-Kapellen hat Platz für insgesamt 362 Gefangene. Sie ist zuständig für erwachsene Männer im offenen Vollzug. Die meisten Inhaftierten wurden zu Freiheitsstrafen von bis zu 30 Monaten verurteilt. Die Ausnahme stellen Menschen dar, die bereits längere Strafen im geschlossenen Vollzug abgesessen haben und ihre Reststrafe im offenen Vollzug verbringen dürfen. Ziel des offenen Vollzuges ist es nicht, Menschen wegzusperren, sondern ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie in ihrem zukünftigen Leben Haft vermeiden können, betont ein Sprecher der JVA.
Die Arbeitstherapie trägt einen Teil zu diesem Ziel bei. Hierbei fertigen die Inhaftierten in einer Werkstatt handgemachte Dekorationsobjekte an. Diese werden anschließend im anstaltseigenen Verkaufsladen „Gitterstübchen“ angeboten. Dieser öffnet montags, dienstags, mittwochs und freitags jeweils von 9.30 bis 12 Uhr sowie von 13 bis 15 Uhr. Donnerstags kann von 13 bis 19 Uhr im „Gitterstübchen“ eingekauft werden, an Wochenenden bleibt das Geschäft geschlossen.