Moers. Am St. Josef Krankenhaus in Moers gibt es eine der wenigen Babyklappen der Region. Wie oft Eltern das Angebot nutzen – und was sie dazu bewegt.

Der Weg über die Rasenfläche bis um die Ecke zum Fenster der Babyklappe ist für verzweifelte Eltern meist mit Scham verbunden. Für manche ist eben dieser schwere Gang aber der letzte Ausweg aus dem Gefühl der Überforderung. Am St. Josef Krankenhaus in Moers finden all diese Familien und Alleinerziehenden, die aus unterschiedlichstem Grund meinen, dem Leben mit einem Kind nicht gewachsen zu sein, eine Anlaufstelle.

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Schon vor dem Seiteneingang an der Josefstraße macht ein Schild auf die Babyklappe aufmerksam. Sichtgeschützt und ohne Videoüberwachung können diejenigen, die keine andere Lösung mehr sehen, das Fenster öffnen und ihr Neugeborenes anonym in das beheizte Bettchen mit der gelben Elefantenmotiv-Bettwäsche legen.

Moers: Wie viele Babys werden in der Babyklappe abgegeben?

Seit 2003 gibt es dieses Angebot. Sechsmal wurde es seither in Anspruch genommen. Hinter dem Fenster finden Nutzerinnen noch einen Flyer des Sozialdienstes Katholischer Frauen (kurz: SKF) mit Kontaktstellen für kostenlose und vor allem anonyme Schwangerschafts- und Adoptionsberatung. Ziel des Vereins, welcher die Babyklappe in Moers betreibt, ist es, den Eltern Wege aufzuzeigen. Wege, mit denen es vielleicht doch möglich ist, mit dem Kind zusammenzuleben oder es zur Adoption freizugeben.

Ein beheiztes Bett mit niedlicher Bettwäsche und Informationsflyern für verzweifelte Eltern befindet sich hinter der Babyklappe in Moers.
Ein beheiztes Bett mit niedlicher Bettwäsche und Informationsflyern für verzweifelte Eltern befindet sich hinter der Babyklappe in Moers. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Auch soll den Verzweifelten die Sorge vor strafrechtlichen Folgen wegen Kindesaussetzung genommen werden – eine Angst die immer wieder fälschlicherweise mit der Nutzung einer Babyklappe in Verbindung gebracht wird. „Die Babyklappe ist eine wichtige Möglichkeit, sollte aber immer das letzte Mittel sein“, betont SKF-Geschäftsführerin Sarah Mohr.

St. Josef Krankenhaus in Moers hat eine Babyklappe: Das passiert, wenn Kinder abgegeben werden

Sobald die Klappe geöffnet wird, geht an der Krankenhauspforte ein Alarm ein. Eine Ärztin und ein Pfleger gehen dann zeitnah – so schnell, dass das abgelegte Kind nicht zu lange alleine ist, aber mit so viel Abstand, dass das Elternteil das Gelände ungesehen verlassen kann – an das Bett. Für den Fall einer gesundheitlichen Notlage steht ein Erstversorgungskoffer bereit. „Bis jetzt waren alle Kinder, die hier waren, aber in einem guten Allgemeinzustand“, berichtet Dr. Miriam Saxe, Departmentleiterin der Geburtshilfe am St. Josef Krankenhaus. Ihre Kollegin Sarah Peters ergänzt: „Manche der Kinder haben noch Nabelreste. Daran sieht man, dass sie nur kurz nach der Entbindung abgegeben wurden.“

Auf die Ersteinschätzung am Babybett folgen Blutabnahmen und verschiedene Untersuchungen auf der Station. Auch auf mögliche Vererbungskrankheiten, die normalerweise schon während der Schwangerschaft von den Eltern abgefragt werden, überprüft das Klinikteam die Neuankömmlinge.

Pflegefamilien übernachten bei Babyklappen-Kindern im Krankenhaus St. Josef in Moers

Um die Kleinkinder kümmert sich das St. Josef-Fachpersonal nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern übernimmt auch die zwischenmenschliche Fürsorge, die ein Neugeborenes benötigt. Zumindest solange, bis sich eine Pflegefamilie gefunden hat. Meist passiert dies innerhalb weniger Tage. „Die Pflegefamilien übernachten dann so wie jede andere Familie kurz nach der Entbindung hier im Krankenhaus und geben dem Kind viel Hautkontakt“, erklärt Sarah Peters.

Dr. Miriam Saxe (St. Josef), Sarah Mohr und Sabine Tappen (beide SkF), Kerstin Pohl und Sabine Bonholt (beide Stadt Moers) und Sarah Peters (St. Josef) erklären, was passiert, nachdem ein Kind in der Babyklappe abgegeben wurde.
Dr. Miriam Saxe (St. Josef), Sarah Mohr und Sabine Tappen (beide SkF), Kerstin Pohl und Sabine Bonholt (beide Stadt Moers) und Sarah Peters (St. Josef) erklären, was passiert, nachdem ein Kind in der Babyklappe abgegeben wurde. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik entwickeln eine Bindung zu den Babyklappen-Kindern. Manchmal hat diese über die Adoption hinaus Bestand. So kommt es, dass Schwestern bereits zu Geburtstagsfeiern eingeladen wurden und Fotos von ihren früheren Schützlingen oder zu Weihnachten auch mal selbstgebackene Plätzchen bekamen. Die neuen Familien bekommen stets ein Gruppenfoto des Krankenhausteams mit. So kann das Kind später einmal genau sehen, wer es in seinen ersten Tagen umsorgt hat.

Bewegender Fall aus Moers: Junges Paar legt emotionalen Brief mit in die Babyklappe

Oft legen die leiblichen Eltern noch etwas mit in das Bettchen an der Babyklappe. Meistens sind das Stofftiere, Rasseln oder eine Tasche mit Kleidung. Daran sehen die Ärzte und Pfleger, dass die Eltern ihr Kind nicht aus einem Mangel an Liebe, sondern aus schierer Verzweiflung abgeben. Besonders bewegt hat das Team auf der anderen Seite des Fensters der jüngste Fall aus dem Frühjahr 2023. Ein Pärchen, Mitte 20, hatte seinem Neugeborenen einen Brief beigelegt. „Darin haben die jungen Eltern geschrieben, dass sie überfordert sind und es nicht schaffen. So etwas ist wertvoll für das Kind, um später zu verstehen, warum die Eltern es abgegeben haben“, sagt Miriam Saxe.

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Nur eine Woche später wählt das Paar die Telefonnummer auf dem SKF-Flyer, weil es seine Entscheidung bereute. Bis die Adoption abgeschlossen ist (in der Regel dauert dieser Prozess etwa ein Jahr), haben leibliche Eltern die Möglichkeit, ihr in einer Babyklappe abgegebenes Kind zurückzunehmen. Nach Terminen bei der Schwangerschaftsberatung und später mit dem Jugendamt war die junge Familie wieder vereint. Die Eltern nehmen nun Unterstützung in Anspruch.

Babyklappe ist der letzte Ausweg für verzweifelte Eltern – auch in Moers

„In solch einer Kurzschlussreaktion hätten sie auch anders reagieren können“, betont Departmentleiterin Dr. Saxe. Schließlich kursieren immer wieder Nachrichten von Eltern, die ihr Baby aussetzen oder zurücklassen und es so in Gefahr bringen. Der Fall des letzten Kindes, das in das Bettchen an der Josefstraße gelegt wurde, nahm für die Familie ein positives Ende. Dank dem letzten Ausweg Babyklappe.