Neukirchen-Vluyn. Im Vorfeld zum dritten Christopher-Street-Day in Neukirchen-Vluyn gab es Hasskommentare und Vandalismus. Wie lief die Demo für Toleranz und Liebe?
Christian Pelikan spricht aus, was viele der Anwesenden auf dem Vluyner Platz in Neukirchen-Vluyn wohl denken. „Ich will die Stimmung nicht trüben“, sagt er in sein Mikrofon. „Aber was war das im Vorfeld für eine Scheiße?“ Dafür spendet ihm die Menge Jubelzurufe und Applaus.
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Der dritte CSD in Neukirchen-Vluyn, der am Samstag an den Start ging, stand unter besonderer Beobachtung. Im Vorfeld hagelte es zahlreiche Hasskommentare im Netz, bislang unbekannte Täter randalierten zudem und rissen unter anderem die Ankündigungsplakate herunter (wir berichteten). Von Hass und Hetze ist an diesem Nachmittag nichts zu spüren. Pelikan, einer der Mitorganisatoren der Demonstration für Toleranz und Liebe, ist sichtlich erleichtert und zufrieden.
CSD Neukirchen-Vluyn: Regenbogenflaggen und Seifenblasen
So viele wie nie sind dem Aufruf gefolgt, für Gleichberechtigung auf die Straße zu gehen. Pelikan schätzt die Zahl der Teilnehmenden auf 300. „Auf jeden Fall mehr als in den Jahren zuvor.“ Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Parade versammeln sich zahlreiche Menschen an der Bergmann-Skulptur auf Niederberg, die in diesem Jahr als Startpunkt dient. Viele Regenbogenflaggen sind zu sehen, viele der Teilnehmenden tragen zudem passende Armbänder und Aufkleber. Jung und Alt stehen nebeneinander, unterhalten sich und lachen zusammen. Auch die Drag-Queen Fiona Fabulous ist vor Ort. „Das macht uns sehr stolz“, sagt Pelikan.
Die Strecke führte in diesem Jahr rund zwei Kilometer über die Niederrheinallee. Zwei Wagen gehören zum Spektakel, aus Lautsprecherboxen schallt stimmungsvolle Musik, einige der Teilnehmenden schießen Konfetti in die Luft, andere haben Vorrichtungen bei sich, die Seifenblasen in die Menge pusten. Und: Auffallend viel Polizeipräsenz begleitet den Demonstrationszug. Die Parade verläuft ruhig. Trotz mancher Drohung im Vorfeld gibt es keine Pöbeleien, keine Beleidigungen, keine Zwischenfälle. Im Gegenteil: Viele der entgegenkommenden Verkehrsteilnehmenden winken, hupen, klingeln und zeigen den Daumen nach oben, um ihre Unterstützung zu zeigen. Die Demonstranten honorieren es mit Jubelrufen.
Demo für Liebe und Toleranz in Neukirchen-Vluyn: „Woher kommt dieser Hass?“
Auf dem Vluyner Platz warten zahlreiche Infostände auf die Teilnehmenden, Parteien und Organisationen sind vertreten, um den dritten CSD zu unterstützen. Auf der Bühne sorgt die Band „Headempty“ für einen passenden musikalischen Rahmen. Auch Bürgermeister Ralf Köpke (parteilos), Schirmherr des Christopher-Street-Days, ist vor Ort. „Ich frage mich, woher dieser Hass kommt“, sagt er und appelliert: „Ich kann euch sagen, das ist eine Minderheit. Wir dürfen dem Hass keinen Hass entgegensetzen, sondern das machen, was wir hier heute machen: Haltung zeigen.“
Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete für die Grünen, erinnert daran, dass der Weg zur Gleichberechtigung noch lang sei. Obwohl schon einiges erreicht worden wäre, etwa das Selbstbestimmungsgesetz oder das gekippte Blutspende-Verbot für homosexuelle Männer, fehlten noch entscheidende Punkte. So ist die sexuelle Identität nach wie vor nicht vom Grundgesetz geschützt.
Christopher-Street-Day in Neukirchen-Vluyn: Warnung vor Angriff auf queere Menschen
Ibrahim Yetim, Präsident der Awo im Kreis Wesel, sieht in der CSD-Parade das, was die Menschen in dieser Welt seiner Meinung nach brauchen: Toleranz, Offenheit und Gerechtigkeit. „Das, was uns Menschen unterscheidet, muss uns noch lange nicht trennen.“ Und der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren warnt vor einem Angriff auf das, was beim CSD gefeiert wird. „So wie die Rechte von Geflüchteten unter Angriff stehen, stehen auch die Rechte von Queeren unter Beschuss“, erklärt er. Er erinnert an den CSD in Bautzen, bei dem rund 1000 Teilnehmende auf rund 700 rechtsextreme Gegendemonstranten stießen. Rechte politische Strömungen versuchten zudem den Hass strategisch zu nutzen. „So bedrückend die politische Lage auch ist, am Ende werden wir gewinnen, am Ende wird die Liebe gewinnen.“
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Die Reden und das Begleitprogramm kommen an. „Dafür, dass der CSD vor zwei Jahren noch so klein war, ist er jetzt einfach nur schön“, sagt Kilian. Der 23-Jährige fällt mit seinem bauchfreien Netz-Top auf. Er ist in Neukirchen-Vluyn aufgewachsen, war in seinem Leben selbst Opfer von Mobbing und Homophobie. „Das habe ich alles erlebt. Und das macht etwas mit einem.“ Es sei daher selbstverständlich, dass er an diesem Tag beim CSD dabei ist. Er möchte ein Zeichen setzen, konkret gegen Homophobie ankämpfen. „Deswegen stehe ich hier und ziehe mich so an“, erklärt er. „Liebe ist für alle da.“
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