Herne. Wanne-Eickel und Herne haben keine Ehe aus Liebe geschlossen. Wir haben mit Hilfe eines Experten die Folgen einer Scheidung durchgespielt.

Auch nach 50 Jahren spüren viele Wanne-Eickeler den (Phantom-)Schmerz der Städte-Ehe mit Herne. Mal ist von Zwangsehe die Rede, mal von 50 Jahren Besatzung.

Da könnte man nach vier Jahrzehnten auf die Idee kommen: Wir lassen uns scheiden. Doch ist das machbar? Und welche Konsequenzen hätte das? Die WAZ spielte diese höchst theoretische Vorstellung mit Professor Jörg Bogumil durch. Bogumil ist an der Bochumer Ruhr-Universität Lehrstuhlinhaber für Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik.

Bei einer Scheidung müssten beide Städte sehr aufwändig entflochten werden

Gesetzt den Fall, dass der Herner Rat tatsächlich über einen Scheidungsantrag abstimmen würde und sich sogar eine Mehrheit fände, so müsste immer noch der „Scheidungsrichter“ sein Okay geben: der Landtag. Für Bogumil ist dies so gut wie ausgeschlossen, „ansonsten würden am nächsten Tag zehn weitere Anträge kommen“.

Aber bleiben wir bei der Theorie - und Wanne-Eickel und Herne bekämen tatsächlich die Erlaubnis zur Scheidung. Dann müssten beide Städte quasi entflochten werden. Dies wäre ein höchst komplizierter Prozess. Klar wäre, dass zwei Räte neu gewählt werden müssten, wobei zuvor neue Wahlkreise gebildet werden müssten. Auch die Parteien müssten sich neu organisieren.

Professor Jörg Bogumil, Kommunalexperte an der Ruhr-Universität Bochum, hat für die Herner WAZ eine „Scheidung“ von Wanne-Eickel und Herne durchgespielt.
Professor Jörg Bogumil, Kommunalexperte an der Ruhr-Universität Bochum, hat für die Herner WAZ eine „Scheidung“ von Wanne-Eickel und Herne durchgespielt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der Haushalt müsste auseinanderdividiert werden

Darüber hinaus müssen aber auch die Verwaltungen neu aufgebaut werden. Was zu der Frage führt: Welcher Mitarbeiter geht wohin? Doch dies zu beantworten, würde wohl zu den einfacheren Aufgaben gehören. Höchst komplex wird die Scheidung beim Blick auf die Finanzen: Der Haushalt müsste auseinander dividiert werden. Bogumil macht auf folgende Details aufmerksam: Wer würde denn welche Schulden - von denen Gesamt-Herne ja reichlich hat - übernehmen? Und wie sieht es mit Fördergeldern des Landes aus? Wer zahlt die zurück? Wer darf welche behalten? Die Verteilung der Gewerbesteuer könnte sich an den Stadtgrenzen orientieren. Stellt sich eben nur die Frage, wer gut dabei weg kommt und wer schlecht. Andere Einheiten - wie die Agentur für Arbeit - blieben unangetastet, weil sie zu übergeordneten Bezirken gehören. Auch die Zugehörigkeit mit Landschaftsverband Westfalen-Lippe bliebe für beide Städte bestehen.

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Herne verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++

Bei einer Scheidung wären beide Städte zu klein, um kreisfrei zu bleiben

Für Bogumil steht fest: Eine Scheidung wäre mit höheren Kosten verbunden. „Je kleiner die Einheiten, desto weniger effizient sind sie.“ Vor dem Hintergrund all dieser Detailfragen macht der Experte auf eine ganz zentrale Tatsache aufmerksam: Bei einer Scheidung hätten sowohl Herne als auch Wanne-Eickel weniger als 100.000 Einwohner - und wären damit zu klein, um kreisfreie Städte zu bleiben. So gäbe es auf den zweiten Blick so etwas wie den lachenden Dritten: den Kreis Recklinghausen. Teile der Verwaltung - so Bogumil - würden nach Recklinghausen gehen, etwa das Gesundheitsamt. Der dortige Kreistag würde größer, die Oberbürgermeister Wanne-Eickels und Herne würden zu Bürgermeistern schrumpfen, die Kommunalparlamente würden wegen der geringeren Einwohnerzahl kleiner. Verwaltungs-Chef würde plötzlich der Landrat.

+++ Nachrichten aus Herne. Lesen Sie auch +++

Doch selbst dieses theoretische Gebilde hat einen entscheidenden Haken: Zurzeit gehört Herne zur Bezirksregierung Arnsberg, der Kreis Recklinghausen jedoch zur Bezirksregierung Münster. Es müsste also eine völlig neue Zuordnung geschehen, denn es gibt keinen anderen Landkreis, mit dem Herne eine Grenze teilt.

Das Fazit dürfte eindeutig sein: Auch wenn die Städte-Ehe nicht im Himmel geschlossen wurde, eine Scheidung kommt - bei gesundem Menschenverstand - einfach nicht in Frage.

Dieser Text erschien 2015 erstmals in der WAZ - aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der Städte-Ehe zwischen Wanne-Eickel und Herne.