Herne. Nach dem Machtwechsel in Syrien könnte man denken, dass die syrisch-orthodoxe Gemeinde in Herne ein frohes Fest feiert. Das ist nicht der Fall...
Samuel Gümüs, Dekan der syrisch-orthodoxen Gemeinde, wird an Heiligabend reichlich zu tun haben. Er werde die Heilige Messe nicht nur in der Kirche in Wanne zelebrieren (unter anderem in deutscher Sprache), sondern auch in Essen und Duisburg, wo die Gemeinde inzwischen Standorte hat. Doch von einem frohen Fest könne auch in diesem Jahr keine Rede sein. „Die Stimmung ist immer noch gedrückt.“
Der Machtwechsel in Syrien und die Flucht von Diktator Baschar al-Assad hätten nicht den Jubel wie bei anderen Syrern ausgelöst. Zu groß sei die Ungewissheit der syrischen Christen, in welche Richtung sich das Land in Zukunft entwickelt. „In der Zukunft ist sehr viel Finsternis“, sagt Gümüs im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Niemand könne bislang sagen, was die neuen Machthaber vorhaben, die Rebellengruppe HTS mit ihrem Anführer Abu Muhammad al-Dscholani sei früher eine islamistische Terroristengruppe gewesen. Für Samuel Gümüs stellt sich die bange Frage, ob die christliche Minderheit in Syrien nicht wieder verfolgt werde. Obwohl Christen schon seit tausenden Jahren im Nahen Osten lebten, hätten sie immer wieder unter Verfolgung und Unterdrückung zu leiden gehabt. Gümüs erzählt, dass es in den vergangenen Tagen Meldungen gegeben habe, dass in der Stadt Hama eine Kirche zerstört worden sei.
Zwei Erzbischöfe sind seit mehr als zehn Jahren entführt
Doch es gibt noch einen zweiten Grund, warum bei Gümüs keine Festtagsstimmung aufkommen will: Im Frühjahr 2013 sind zwei Erzbischöfe der syrisch-orthodoxen Kirche in Syrien verschleppt worden. Seitdem hängt nicht nur ein Transparent mit den Fotos von beiden in der Kirche, versehen mit dem Versprechen „We pray for your Return“ - wir beten für Eure Rückkehr. Doch nach wie vor sind beide Bischöfe in den Händen ihrer Entführer, „wir gehen davon aus, dass sie noch leben“, so Gümüs, denn einer der beiden habe auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Gümüs begnügt sich längst nicht nur mit Gebeten, er steht an der Spitze eines ganzen Komitees, dass sich seit mehr als zehn Jahren um die Freilassung der Erzbischöfe bemüht.
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Treffen mit der EU, dem Vatikan und Geheimdiensten
Und dabei lässt Samuel Gümüs nichts unversucht: In all dieser Zeit sei er unter anderem in Türkei, nach Russland und in die USA gereist, um mit Verantwortlichen zu sprechen. Er habe mit Stellen bei der Europäischen Union gesprochen, mit kurdischen Vertretern, er hat den russischen-orhodoxen Patriarchen getroffen. Erst vor wenigen Wochen war er in Rom, um mit dem Sekretär des Außenministeriums des Vatikans zu sprechen, bei dieser Gelegenheit traf er auch den Papst. Und an der Deutschen Straße in Wanne waren auch Vertreter eines Geheimdienstes zu Gast. Inzwischen besitze er drei Smartphones, die er nur abschalte, wenn er die Messe zelebriere. „Wir werden diesen Fall lösen“, sagt Samuel Gümüs. Und dann wird vielleicht ja 2025 ein frohes Fest für die syrisch-orthodoxe Gemeinde in Wanne.
>>> Gemeinde vereint syrisch-orthodoxe Christen aus dem ganzen Ruhrgebiet
Die Geschichte der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien reicht zurück bis ins 3. Jahrhundert. Nach der sogenannten Urgemeinde von Jerusalem ist die Kirche von Antiochien die älteste christliche Kirche überhaupt.
Der Sitz der syrisch-orthodoxen Kirche ist Damaskus. Die Schätzungen zur Zahl der Gläubigen schwanken zwischen 1,5 und 2 Millionen. Die meisten von ihnen, etwa eine Million, leben in Indien. In Deutschland sind es etwa 60 000. Die deutsche Erzdiözese hat ihren Sitz in Warburg.
Die Gemeinde in Wanne vereint Christen der syrisch-orthodoxen Glaubensrichtung aus dem ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus. Etwa 1000 Mitglieder gehören zur Gemeinde. Die führte bis 1990 ihre Gottesdienste in der Laurentiuskirche. Dann kaufte sie die Kirche an der Deutschen Straße.