Herne. Mit einer Spezialbrille in virtuelle Welten eintauchen - diese Technik nutzt die Herner Elisabeth-Gruppe nun für die Ausbildung.
Der Effekt tritt schon in wenigen Sekunden ein: Kaum hat man die Spezialbrille aufgesetzt, wähnt man sich in einem völlig anderen Raum: Schränke tauchen auf, an der Wand hängt ein Gerät, um die Hände zu desinfizieren, auf einem Tisch liegt die Akte eines fiktiven Patienten. Die reale Welt hat man auch gedanklich schnell ausgeblendet, man konzentriert sich ganz auf die Arbeit in der virtuellen Realität - und die nutzt die Herner Elisabeth-Gruppe seit wenigen Wochen für ihre Ausbildung.
Was sich inzwischen unter dem Begriff „Gamification“ entwickelt hat, nutzt auch die Elisabeth-Gruppe. Elemente von Videospielen werden in einem anderen Kontext eingesetzt. In diesem Fall sollen die Auszubildenden in der virtuellen Realität eine Infusion vorbereiten und dabei alle im echten Krankenhaus-Alltag notwendigen Schritte absolvieren: die Patientenakte lesen, die 6R-Regel anwenden (richtiger Patient, richtiges Medikament, richtige Dosierung, richtige Zeit, richtige Applikation, richtige Dokumentation), die Hände desinfizieren und so weiter.
Die VR-Brille dient als Brücke zwischen Theorie und Praxis
Selbstverständlich gibt es in der virtuellen Realität keine Desinfektionsflüssigkeit, muss aber auch nicht, so Michael Teerhöfer, Ausbildungs- und Praxiskoordinator bei der Elisabeth-Gruppe. Es gehe darum, die vorgeschriebenen Abläufe zu verinnerlichen. „Die Brille dient hier als Brücke zwischen Theorie und Praxis“, so Teerhöfer im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Darüber hinaus gibt es ganz pragmatische Gründe für den Einsatz der VR-Brille. Sollten mehrere Dutzend Auszubildende in der Realität üben, wie man eine Infusion vorbereitet, würde dies deutlich zu aufwendig.
Die Rückmeldungen der Auszubildenden seien bislang positiv - und auch beim diesjährigen Ausbildungsforum der Elisabeth-Gruppe mit rund 550 Schülerinnen und Schülern aus dem mittleren und östlichen Ruhrgebiet ist die VR-Brille auf großes Interesse gestoßen.
Wie üblich - und genau wie bei der VR-Brille - stand das Ausprobieren im Zentrum: sei es das Nähen einer Banane, das Eingipsen eines Arms oder die visuelle Überprüfung eines Schluckvorgangs mit Lebensmittelfarbe. Die Schülerinnen konnten in verschiedene Rollen schlüpfen. Diese Praxisorientierung sei spannend, so Elke Post. Als Koordinatorin für Studien- und Berufsorientierung am Emschertal-Berufskolleg sei sie seit Jahren quasi Stammgast bei dieser Veranstaltung. „In der Schule können wir nur die Theorie zu den einzelnen Berufsbildern vermitteln, gerade in der Coronazeit waren die Jugendlichen aufs Theoretische beschränkt“, so Post. Beim Ausbildungsforum könnten die Jugendlichen die Berufsbilder selbst ausprobieren. Viele Schülerinnen und Schüler kämen nicht nur einmal, sondern auch ein zweites Mal und würden dann in ihrer Entscheidung bestärkt, in welchen Zweig sie gehen wollen. „Es gehen relativ viele Schüler vom Emschertal-Berufskolleg zur Elisabeth-Gruppe.“
Vielleicht auch der 18-jährige Mohammed. Ursprünglich habe er sich für die Physiotherapie interessiert, doch an diesem Tag habe er die Ergotherapie kennengelernt. „Das kannte ich vorher gar nicht. Ergotherapie kann ich mir jetzt eher als Ausbildung vorstellen.“