Herne. Zahlreiche Mieter eines Hochhauses in Herne sind verzweifelt. Der Aufzug ist seit über zwei Monaten defekt. Manche fühlen sich eingesperrt.
Die Aussicht auf Herne vom Balkon in der siebten Etage ist herrlich, doch Christel Bergert hat seit einiger Zeit keine Freude mehr an diesem Blick, der löst bei der 87-Jährigen eher Verzweiflung aus. Der Grund: Seit dem 26. August- also seit mittlerweile mehr als zwei Monaten - funktioniert der Aufzug in dem markanten Wohnhaus des Immobilienkonzerns an der Berninghausstraße nicht mehr.
„Ich kann an nichts mehr teilnehmen und keinen Besuch einladen“
Die Seniorin fühlt sich eigentlich noch ganz fit für ihr Alter, doch sieben Etagen auf der Treppe hochzusteigen (über)-fordert sie dennoch. „Ich mache mindestens drei Pausen“, erzählt sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Doch angesichts dieser Anstrengung verlässt sie die Wohnung nur noch zu den nötigsten Anlässen. So lässt sie ihren Kleingarten, den sie sogar vom eigenen Balkon aus sehen kann, von Vereinsfreunden pflegen. „Ich kann an nichts mehr teilnehmen, ich kann auch keinen Besuch einladen“, so Bergert.
Dass sie dennoch regelmäßig die Mühen des Treppensteigens auf sich nimmt, liegt daran, dass ihr Ehemann Hans zurzeit im Krankenhaus liegt und dort vor wenigen Tagen seinen 90. Geburtstag gefeiert hat. Möglicherweise sei er schon so weit geheilt, dass er nach Hause entlassen werden könnte, doch Bergert ist sich alles andere als sicher, dass er es ohne Aufzug bis in die siebte Etage schafft.
Eine halbe Stunde bis zur fünften Etage
Bergert ist längst nicht die einzige, der der Fahrstuhl-Ausfall arg zu schaffen macht. Werner Zimmermann wohnt in der fünften Etage. Da er COPD habe und auf zusätzliche Sauerstoffversorgung angewiesen ist, benötige er für die Stufen bis zu seiner Wohnung nicht weniger als eine halbe Stunde. Er müsse auf jeder Etage eine längere Pause machen, um wieder Luft zu bekommen. Mieter berichten im Gespräch mit der WAZ, dass eine Bewohnerin seit dem 26. August das Haus nicht mehr verlassen konnte.
Was die betroffenen Mieter aufregt: Der Aufzug habe schon vor dem Komplettausfall seine Macken gehabt, doch darauf hat es nach ihrer Wahrnehmung keine Reaktion gegeben. Und nach dem Defekt sei es fast unmöglich gewesen, eine Auskunft zum Stand der Dinge zu bekommen. Einige der Mieter haben inzwischen einen Anwalt und die Verbraucherzentrale eingeschaltet und loten die Möglichkeit aus, die Miete teilweise zu kürzen.
Mieterbund: LEG nicht fähig oder nicht Willens, ein gutes Wohnumfeld für seine Mieter herzustellen
Was die Mieterinnen und Mieter in den vergangenen Tagen besonders geärgert hat: Während ihr Aufzug streikt, hat das Unternehmen 219 Millionen Euro in die Hand genommen, um weitere 9100 Wohnungen in NRW zu kaufen. Der Deutsche Mieterbund findet dazu deutliche Worte, die wohl auch den Mietern an der Berninghausstraße aus der Seele sprechen: „Es vergeht keine Woche, in der die LEG nicht in die Schlagzeilen gerät. Schimmelbefall, ausgefallene Aufzüge, defekte Heizungsanlagen, Ratten- und Müllprobleme werden regelmäßig aus den Beständen der LEG gemeldet. Der Konzern ist nicht fähig oder nicht Willens ein gutes Wohnumfeld für seine Mieter herzustellen. Mit der Übernahme von 9.100 Einheiten der BCP, die in Teilen eine schlechte Substanz und Investitionsstau aufweisen, wird der Bock zum Gärtner gemacht“, so Hans-Jochem Witzke, 1. Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes.
+++ Nachrichten aus Herne. Lesen Sie auch +++
- Santander in Herne nach Sprengung: Was machen Kunden jetzt?
- 46-jährige Koch-Auszubildende begeistert Jury bei Wettbewerb
- Neue Strategie: McDonald‘s schließt Filialen in Herne
Die LEG hat auf die Anfrage der Herner WAZ-Redaktion und reagiert und den Ausfall des Fahrstuhls bestätigt. Man setze alles daran, den Aufzug so schnell wie möglich wieder zur Nutzung freigeben zu können. Allerdings: Das für die Reparatur notwendige Ersatzteil sei keine Lagerware, sondern müsse in Einzelanfertigung hergestellt werden. Dieser Prozess sei sehr zeitaufwendig und könne nicht von der LEG beschleunigt werden. „Daher rechnen wir derzeit erst gegen Ende November mit dem Abschluss der Arbeiten“, teilt ein Sprecher mit.
LEG denkt über Kompensationen für die Mieter nach
Um für die Mieterinnen und Mieter die Situation zu erleichtern, habe die LEG einen Tragedienst eingerichtet, der dienstags und freitags zwischen 15 und 18 Uhr zur Verfügung stehe. Leider habe die LEG bislang keinen Dienstleister ermitteln können, der sich um den Transport von Personen aus und in ihre Wohnungen kümmern kann. „In medizinischen Notfällen bitten wir unsere Mieterinnen und Mieter daher, stets die örtlichen Rettungskräfte zu alarmieren.“ Sollten die Mieter abseits solcher Notfälle auf einen Personentragedienst angewiesen sein und selbst einen geeigneten Dienstleister hierfür finden, könnten sie sich zwecks Kostenausgleich gerne jederzeit bei der LEG melden. Und: Nach Abschluss der Arbeiten werde die LEG die einzelnen Mietparteien über mögliche Kompensationen für den Ärger informieren.
Hohe Nachzahlungsforderungen sorgen für zusätzlichen Ärger
Doch das wird den Mietern wohl kaum reichen. Eine andere Sache bringt sie geradezu in Rage: Die LEG hat sie mit happigen Nachzahlungen für die Jahre 2022 und 2023 konfrontiert. Die vierstelligen Beträge würden die meisten von ihnen überfordern. Die ersten haben rechtlichen Beistand geholt.