Herne. Ein größerer Teil des öffentlichen Herner Ladenetzes für E-Autos muss verkauft werden. Was dahinter steckt, welche Folgen das haben könnte.
Am Kreisverkehr Hordeler Straße/Edmund-Weber-Straße hat die Stadt vier Parkboxen errichtet, die nur für das Aufladen von E-Autos genutzt werden dürfen. Das Problem: Es gibt dort gar keine Ladesäulen. Auf Anfrage erfuhr Eickels CDU-Bezirksfraktion-Chef Jascha Hoppe, dass diese Posse indirekt mit dem besiegelten Rückzug der Stadtwerke aus der Herner Ladeinfrastruktur zu tun hat. Ein Schritt mit weitreichenden Folgen, denn: Die Stadttochter ist ein wichtiger Akteur im Ladenetz für E-Autos.
Insgesamt 63 öffentliche und „halb-öffentliche“ Ladesäulen - darunter drei Schnellladesäulen - mit insgesamt rund 110 Ladepunkten gebe es derzeit in Herne, so berichtet die Stadtverwaltung auf Anfrage der WAZ. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen, denn: Auf einer App für E-Autos findet man aktuell allein im Bereich Zurbrüggen/Decathlon 18 Ladesäulen.
Die Stadtwerke betreiben in Herne nach eigenen Angaben 38 Ladesäulen und zwei Schnellladesäulen mit insgesamt 79 Ladepunkten. Am Kreisverkehr Hordeler Straße/Edmund-Weber-Straße hatte der Energieversorger weitere Ladesäulen errichten und betreiben wollen, dieses Angebot aufgrund der Rechtslage aber inzwischen offiziell zurückgezogen.
Der Ausstieg der Stadtwerke aus dem Netz erfolgt nicht freiwillig, sondern ist Folge einer Gesetzesänderung, die den Wettbewerb stärken soll. Stadtwerke-Sprecherin Angelika Kurzawa erläutert das auf Anfrage so: Nach Paragraf 7c des Energiewirtschaftsgesetzes dürften Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen, die so wie die Stadtwerke Herne aufgestellt seien, ab 2025 weder Eigentümer von Ladepunkten für Elektromobile im öffentlichen Raum sein noch diese Ladepunkte entwickeln, verwalten oder betreiben. „Darum sind wir in Verhandlungen, unser Ladenetz zu verkaufen.“ Aktuell führten sie sehr erfolgversprechende Gespräche und seien optimistisch, den Verkauf des Ladenetzes bis Ende des Jahres abzuschließen.
Die Reform geht auf eine EU-Richtlinie zurück, die bereits 2019 beschlossen worden ist. Warum werden die Stadtwerke Herne erst jetzt aktiv? Die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes habe im November 2023 Bundesrat und Bundestag passiert und sei Anfang 2024 in Kraft getreten, so Kurzawa. Erst seit diesem Zeitpunkt stehe fest, wie der Ladesäulenbetrieb für sogenannte De-minimis-Unternehmen – dazu zählten auch die Stadtwerke Herne – geregelt sei. „Mit Blick auf die mögliche Gesetzesänderung haben die Stadtwerke schon seit Beginn des Jahres 2023 nur noch Ladesäulen in Betrieb gesetzt, die sich bereits im Bau befunden haben“, so Kurzawa.
Stadt Herne glaubt an Weiterbetrieb auch ohne Verkauf
Die Frage, ob die bisherigen Investitionskosten durch den Verkauf des Netzes gedeckt würden, beantworten die Stadtwerke ausweichend. Die Wirtschaftlichkeit der Ladeinfrastruktur sei deutlich komplexer, als Investitionskosten und Verkaufspreis gegenüberzustellen, teilt die Sprecherin mit. Weitere Faktoren wie beispielsweise Förderung und Treibhausgasminderungsquote spielten dabei auch eine Rolle. „Insgesamt kann man sagen, dass das Geschäftsfeld aktuell wirtschaftlich betrieben wird und eine notwendige Investition in die E-Mobilität in unserer Stadt darstellt.“
Wird es ab Januar 2025 Engpässe im öffentlichen Ladenetz für E-Fahrzeuge geben, wenn die Stadtwerke den Verkauf nicht - wie gefordert - bis Ende des Jahres über die Bühne bringen? Das kann sich die Stadtverwaltung nicht vorstellen. „Wir gehen davon aus, dass die öffentlichen Ladesäulen der Stadtwerke weiterhin betrieben werden, bis sich ein geeigneter Käufer findet“, so Stadtsprecher Patrick Mammen zur WAZ.
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Was überrascht: Die Politik ist über diesen Vorgang bislang offenbar nicht offiziell informiert worden, obwohl der nach der Kommunalwahl 2020 eingerichtete Ausschuss für Digitales, Infrastruktur und Mobilität (DIM) sich in den vergangenen vier Jahren häufig mit dem Thema E-Mobilität auseinandergesetzt hat. Auf Anfrage erklärte der DIM-Ausschussvorsitzende Roberto Gentilini (SPD), dass er bislang keine Kenntnis über den Verkauf gehabt habe. Er kündigte an, dieses Thema in der DIM-Sitzung am 14. November auf die Tagesordnung setzen zu wollen: „Es sind noch viele Fragen offen.“
Eine Frage ist sicherlich auch: Ist dieses Thema im (hinter verschlossenen Türen tagenden) Aufsichtsrat der Stadtwerke besprochen worden? Und falls nicht: Warum war es dort kein Thema? Diesem 18-köpfigen Gremium - die Mitglieder sind zur Vertraulichkeit verpflichtet - gehören zahlreiche Stadtverordnete an, darunter auch Roberto Gentilini.
Zurück zur Posse am Eickeler Kreisverkehr: Auf die Idee, dass Parkplätze fürs Aufladen von E-Autos ohne Ladesäulen wenig Sinn machen, kam die Stadt offenbar erst durch den CDU-Vorstoß. Direkt nach der Sitzung wurden die entsprechenden Schilder an der Hordeler Straße/Edmund-Weber-Straße entfernt und die Parkplätze somit freigegeben.
Jenseits dieses Vorgangs wundert sich der Christdemokrat Jascha Hoppe darüber, dass die Kuh nicht längst vom Eis ist, sprich: dass das Ladenetz nicht längst an den Käufer gebracht worden ist. „Das Problem hätte die Stadt schon eher lösen können.“ Man habe aber vor allem auf die Stadtwerke und nicht auf private Anbieter setzen wollen.
>>> Stadtwerke Herne wollen weiter auf Elektromobilität setzen
- Das Thema Elektromobilität ist für die Stadtwerke mit dem Rückzug aus der Ladeinfrastruktur nach eigenen Angaben nicht erledigt. „Wir halten Elektromobilität für einen wichtigen Schritt bei der Dekarbonisierung der Mobilität“, so Sprecherin Angelika Kurzawa. Dekarbonisierung bedeutet: die Reduzierung von CO₂-Emissionen mit dem langfristigen Ziel, sektorübergreifend keine Treibhausgasemissionen mehr auszustoßen.
- Und weiter: „Darum halten wir daran fest, unsere eigene Fahrzeugflotte - wo es möglich ist - auf Elektrofahrzeuge umzustellen, unsere Privat- und Gewerbekunden beim Thema Ladeinfrastruktur zu beraten und Ökostrom zum Laden anzubieten.“
- In Herne waren zum 31. Dezember 2023 nach Angaben der Stadt insgesamt 1249 rein elektrisch betriebene Kraftfahrzeuge gemeldet; das waren 336 E-Kfz mehr als zum 31. Dezember 2022 (plus 36,9 Prozentpunkte). Die derzeitige Versorgung Hernes mit E-Ladesäulen ist nach Einschätzung der Stadt „flächendeckend und ausreichend“.